Stand: 16.04.2017 23:10 Uhr
Dass ein Sportplatz um die Ecke auch ein Tatort für sexualisierte Gewalt sein kann, ist schwer begreiflich, aber traurige Realität. Laut einer Studie sind fünf Prozent der Athletinnen betroffen. Doch nur in einem von fünf Fällen kommt es zu einer Verurteilung der Täter. Nach Recherchen der NDR Sportredaktion ist sexualisierte Gewalt im Sport im Norden ein unterschätztes Problem: In mehreren Fällen konnten Trainer und Betreuer sogar zu anderen Vereinen wechseln und dort weitere Taten begehen. Den Verbänden sind die Hände gebunden.
43 Missbrauchs- und Übergriffsfälle gab es den NDR Recherchen zufolge allein in Hamburg in den vergangenen sechs Jahren. Experten schätzen die Dunkelziffer aber weit höher ein. Der Fall von Laura* steht exemplarisch für die mehr als 40 Fälle allein in der Hansestadt.
Die Fußballerin ist 15, als ihr 49 Jahre alter Trainer anfängt, ihr per WhatsApp immer mehr Komplimente zu schreiben. Als er ihren "tollen Körper" erwähnt, findet sie es seltsam. Die Jugendliche weiß nicht, wie sie auf das ständige Umschmeicheln des Erwachsenen reagieren soll. Bald darauf kommt es zu sexuellen Übergriffen des Coaches. Schließlich verlangt er von ihr Oralverkehr, sie will nicht, lässt es aber über sich ergehen. Erst danach begreift das Mädchen, was der Trainer mit ihr gemacht hat und erstattet Anzeige. "Ein Täter will ganz bewusst immer weiter über die Grenze gehen. Er hat dieses Prozedere schon mehrmals eingeübt", sagt Conny Sonsmann von der Hamburger Sportjugend: "Das Opfer erlebt diese Situation aber zum allerersten Mal."
Moralisch angreifbar, aber nicht strafrechtlich relevantZur Überraschung der Familie stellt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein. Zwar sei das Verhalten des Trainers moralisch angreifbar, strafrechtlich relevant ist es nicht. Der Täter habe zum Beispiel keine physische Gewalt angewendet. "Nicht alles, was rechtlich akzeptiert ist, ist moralisch in Ordnung. Und ein eingestelltes Verfahren heißt nicht zwingend, dass nichts passiert ist", erklärt Sonsmann.
Nachbesserungen im Bundeskinderschutzgesetz gefordertDoch das eigentliche Problem ist: Der Täter ist damit nicht vorbestraft und somit unschuldig. Er könnte, wie in mehreren anderen Fällen im Norden, in einem anderen Verein ohne jeden Verdacht neu anfangen. Gegen das sogenannte "Täterhopping" sind die Sportverbände machtlos. "Manchmal ist es dem Zufall überlassen, ob ich etwas davon mitbekomme und eingreifen kann", schildert Sonsmann. Denn aus Datenschutzgründen dürfen Sportverbände keine Verdachtslisten führen. Und selbst das Führungszeugnis reiche oft nicht aus, so Sonsmann. Die Hamburger Sportjugend fordert deshalb Nachbesserungen im Bundeskinderschutzgesetz.
Opferberatungsstelle: "Ein geplantes Verbrechen"Christina Okeke von der Opferberatungsstelle "Zündfunke" schult seit Jahren in Zusammenarbeit mit dem Verband Sportvereine: "Wir wissen, dass Täterinnen und Täter oft Mehrfachtäter sind und es gibt keine Fälle, in denen jemand 'aus Versehen eine Kind missbraucht' hat. Sexualisierte Gewalt ist ein Verbrechen, das geplant ist und das sich in aller Regel steigert."
Verein will keine Fehler einsehenIm Fall von Laura will der Verein keine Fehler einsehen. Doch noch bevor die Stellungnahme des Vereins eintrifft, bekommt die NDR Sportredaktion Post vom Anwalt von Lauras Ex-Trainer. Der Hamburger Fußballverein hat den übergriffigen Mann nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern pflegt bis heute Kontakt mit ihm. Laura hat mit dem Fußballspielen aufgehört.
*Der Name der Betroffenen ist geändert. Hinweis: Aus rechtlichen Gründen können keine personen- oder vereinsbezogenen Details genannt werden.Dieses Thema im Programm:
Sportclub | 16.04.2017 | 23:05 Uhr