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Verschuldung durch Krankenkassenbeiträge

Verschuldung durch Krankenkassenbeiträge Problem seit Jahren bekannt Künstlersozialkasse schließt Künstler und Journalisten aus Auf einer Seite lesen

Selbständige Geringverdiener müssen bis zu 50 Prozent ihres Einkommens für überhöhte Krankenversicherungsbeiträge zahlen und häufen dadurch einen Schuldenberg auf

Schätzungsweise 80.000 Menschen sind in Deutschland ohne Krankenversicherung, oft weil sie die in Relation zu ihrem Einkommen weit überhöhten Krankenversicherungsbeiträge nicht bezahlen können. Weit mehr noch sind wegen der Krankenkassenbeiträge verschuldet. Betroffen sind sogenannte "Solo-Selbstständige, also Selbstständige, die ohne Angestellte arbeiten. Viele von ihnen arbeiten als "Selbstständige" oder Freiberufler in unterbezahlten und nicht sozialversicherten Jobs, in Call Centern, als Paketbote, in der Pflege, als Teilzeit-Lehrer. Auch freie Journalisten oder Künstler, die zeitweise berufsfremde Tätigkeiten ausüben müssen und deshalb ihre Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse verloren haben, sind von den überhöhten Krankenkassenbeiträgen betroffen.

Im Bundestag haben Linke und Grüne in der letzten Wahlperiode dieses Problem immer wieder in Anfragen und Anträgen thematisiert. Im vergangenen Bundestagswahlkampf forderte neben SPD, Linken und Grünen auch die FDP eine Orientierung der Krankenkassen-Mindestbeiträge am tatsächlichen Einkommen und damit in vielen Fällen eine deutliche Senkung. Von der Grünen Abgeordneten Maria Klein-Schmeink war zu erfahren, dass das Thema auch in der ersten Sondierungsrunde zur Bildung einer "Jamaika-Koalition" besprochen wurde. In dem Papier mit dem Titel "Sondierungsstand Arbeit, Rente, Gesundheit, Pflege, Soziales 30.10.2017" heißt es dazu:

Wir wollen Selbständigkeit fördern und unterstützen, unter anderem durch Bürokratieabbau, insbesondere bei der Statusfeststellung, und einer Reduzierung der Mindest-Krankenversicherungsbeiträge. In Verbindung damit diskutieren wir auch über die Frage der weiteren sozialen Absicherung von Selbständigen (Pflicht zur Altersvorsorge, möglicher Einbezug in die gesetzliche Rentenversicherung).

Sondierungsrunde zur Bildung einer "Jamaika-Koalition"

Zu diesen gemeinsamen Feststellungen würde es eigentlich passen, dass auch die CDU/CSU ihre bisherige Blockadepolitik in diesem Punkt aufgäbe. Tut sie aber nicht. Aber auch ohne die Stimmen der Union gäbe es theoretisch eine Mehrheit zur Änderung der entsprechenden Gesetzesvorschriften und die Möglichkeit zur zeitnahen Entlastung der Geringverdiener unter den "Solo-Selbstständigen." Denn auch ohne Bildung einer Koalition und damit einer neuen Bundesregierung ist der Bundestag, als der Gesetzgeber, durchaus handlungsfähig.

Wie fix sie handeln können, haben die Abgeordneten von CDU/CSU, SPD und FDP vor wenigen Wochen eindrucksvoll bewiesen. Da ging es allerdings um etwas wirklich Wichtiges: die Erhörung ihrer eigenen Einkünfte, auch "Diäten" genannt. Die entsprechende Bundestagsdrucksache 19/236 trägt die Unterschriften der drei Fraktionen.

Den Vorteil der Diätenerhöhung genießen aber auch Grüne, Linke und AfD. Auch sie bekommen künftig mehr Geld. Derweil türmen sich für Tausende Monat für Monat weitere Schulden auf, obwohl es numerisch im Bundestag eine Mehrheit für die Beitragssenkung gäbe. Auch wenn die SPD die Frage der Krankenkassenbeiträge im Rahmen einer größeren Reform - nämlich der Einführung einer Bürgerversicherung - lösen möchte, spricht nichts dagegen, im Vorfeld schon mal die Krankenkassen-Mindestbeiträge dem jeweils realen Einkommen der Beitragszahler anzugleichen. Denn Monat für Monat erhöht sich die Verschuldung von sicherlich weit über hunderttausend Menschen. Sie darauf zu vertrösten, dass irgendwann die Bürgerversicherung kommt, kann nur als ignorant bezeichnet werden.


Problem seit Jahren bekannt

Seit Jahren bringen Grüne und Linke immer wieder Anfragen und Anträge zum Thema Krankenkassen-Mindestbeiträge im Bundestag ein. In dem Antrag "Mit Sicherheit in die Selbständigkeit - Für eine bessere Absicherung von Selbständigen", (Drs. 18/10035) forderten Die Grünen "dass gesetzlich versicherte Selbständige mit anderen freiwillig Versicherten gleichgestellt werden. Damit könnte das mindestens vorausgesetzte Einkommen auf derzeit rund 991 Euro sinken und entsprechend der Mindestbeitrag zur Krankenversicherung auf knapp 139 EUR (ohne Krankengeld), und der Mindestbeitrag zur Pflegeversicherung auf 25,29 EUR (ohne Kinderzuschlag) bzw. 27,77 EUR (mit Kinderzuschlag)." Die Linken fordern eine Senkung der Berechnungsgrundlage auf 450 Euro.

Auch im Bundesrat hatten drei Bundesländer eine Gesetzesänderung mit dem Ziel der Reduzierung der Berechnungsgrundlage für den Krankenkassenmindestbeitrag angestoßen.

In einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages im März 2017 wurden Zahlen genannt. So verdienen Berechnungen der Verbraucherzentrale zufolge gesetzlich versicherte Solo-Selbstständige im Durchschnitt 787 Euro im Monat. Doch ihr Beitrag bemisst sich nach einem fiktiven Monatseinkommen von 2.231,25 Euro. 

In einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages im März 2017 wurden Zahlen genannt. So verdienen Berechnungen der Verbraucherzentrale zufolge gesetzlich versicherte Solo-Selbstständige im Durchschnitt 787 Euro im Monat. Doch ihr Beitrag bemisst sich nach einem fiktiven Monatseinkommen von 2.231,25 Euro.

In der Bundestagsanhörung forderten Gewerkschafter und Vertreter der Krankenkassen gleichermaßen eine Senkung der Berechnungsgrundlage von den derzeit 2231 Euro auf 990 (AOK Bundesverband) bzw. 450 Euro - so die Forderung der Linken. In der Anhörung vom März 2017 verdeutlichte der als Sachverständige geladene Prof. Dr. Wolfgang Greiner den Umfang des Problems aus Sicht der Krankenkassen. Viele Selbstständige, ob Künstler oder Nachhilfelehrer, Blumenhändler oder freie Journalisten, können die geforderten Beiträge nicht zahlen und schieben einen daraus resultierenden Schuldenberg vor sich her:

Zu den Beitragsschulden möchte ich kurz etwas sagen, weil sie als Argument genannt wurden. Die letzte Zahl, die ich hatte, waren sechs Milliarden, die das Bundesversicherungsamt zum Jahresende genannt hat. Davon entfielen 4,63 Milliarden auf die freiwillig Versicherten. Die weitere Aufteilung ist relativ unklar ...

Wolfgang Greiner

Die Zahl der Solo-Selbstständigen hat sich - vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollt und gefördert - deutlich erhöht, von 1,4 Millionen im Jahr 1991 auf 2,3 Millionen im Jahr 2016. In der Bundestagsdebatte über einen Antrag seiner Fraktion am 30. März 2017 nannte der Linke Sozialpolitiker Harald Weinberg weitere Zahlen:

Wir haben in Deutschland 4,2 Millionen Selbstständige. Über 50 Prozent davon - also mehr als die Hälfte, nämlich 2,3 Millionen - sind Solo-Selbstständige, haben also selber keine Beschäftigten. Ein Drittel davon - jeder Dritte von den 2,3 Millionen - hat einen Verdienst von unter 1 100 Euro im Monat.

Harald Weinberg

Weinberg zufolge müssen diese Geringverdiener "zwischen 30 und 50 Prozent ihres Einkommens für Krankenversicherungsbeiträge berappen. Sie müssen also ein Drittel bis die Hälfte dessen, was sie verdienen, ausgeben, um krankenversichert zu sein. Häufig führt das zu Beitragsschulden und dadurch faktisch zu einem Wegfall des Rechts auf gesundheitliche Versorgung für diese Betroffenen."


DGB fordert sofortiges Handeln

Selbst die Empfänger der zu hohen Beiträge, also die Krankenkassen, sind für eine deutliche Absenkung der Bemessungsgrenze und somit für bezahlbare Beiträge. Gegenüber Frontal 21 erklärte Kai Behrens vom Bundesverband AOK: "Die neue Koalition sollte jetzt daran gehen, den Mindestbeitrag für Selbstständige auf 990 Euro abzusenken. Damit wären die Überforderung und eine Überschuldung von Selbstständigen abgewendet."

Für Knut Lambertin vom Deutscher Gewerkschaftsbund besteht sofortiger Handlungsbedarf. Er sagte in der Bundestagsanhörung: "Wir glauben, dass wir, bevor wir zu einer größeren Lösung kommen, eine Sofortregelung brauchen. Das heißt, dass wir die Mindestbemessungsgrenze für hauptberuflich selbstständige Erwerbstätige absenken müssen. Wir müssen die Berechnungsgrundlage analog zu der Regelung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gestalten."


Petition mit über 100.000 Unterschriften

Wer hindert also die SPD daran gemeinsam mit FDP, Linken und Grünen für eine deutliche Entlastung der Geringverdiener zu sorgen, indem sie dem zustimmen, was mittlerweile über 100.000 Menschen in einer Petition an den Bundestag mit ihrer Unterschrift unterstützt haben? In der von dem Blumenhändler Andreas Müller aus Saarbrücken eingebrachten Petition an den Bundestag heißt es:

Daher fordere ich, dass der Krankenkassenbeitrag an die gesetzlichen Krankenkassen für Selbstständige unter Wegfall der Mindestbeitragsbemessungsgrenze nach dem tatsächlichen Gewinn ermittelt wird, wobei zukünftig die Frage nach der Bedarfsgemeinschaft und dem Vermögen entfällt. Nur wenn das tatsächliche Einkommen zugrunde gelegt wird, gibt es gerechte Beiträge.

Petition

Doch auch bei der SPD ist bisher kein unmittelbarer Handlungswille erkennbar. Sie will bekanntlich die Bürgerversicherung durchsetzen und das Beitragsproblem der Selbstständigen erst in diesem Rahmen ändern. Aber das kann dauern - wenn es denn überhaupt gegenüber einem Koalitionspartner CDU/CSU durchsetzbar ist.

Die CDU/CSU spielt offensichtlich auf Zeit. Ihre Politiker sind mehr mit der privaten Versicherungswirtschaft verbandelt und weniger an der Situation verarmter Scheinselbstständiger interessiert. Für die Christdemokraten besteht offenbar kein unmittelbarer Handlungsbedarf. Zahlen und Fakten, wie sie in der Bundestagsanhörung genannt und auch in einer "Frontal-Sendung" eindrucksvoll dargestellt wurden, spielen für CDU/CSU offenbar keine große Rolle.

Vom zuständigen Abgeordneten der CDU/CSU, Timo Sorge, erhielt der Autor noch im November 2017 die Auskunft: "Das Problem der Krankenversicherungsbeiträge von Künstlern ist uns bekannt. Das Thema ist von den Fachpolitikern bereits in der letzten Legislaturperiode diskutiert worden. Im Hinblick auf die abgebrochenen Sondierungsgespräche ist momentan noch nicht absehbar, wann sich die Fachausschüsse mit der Thematik befassen werden. Kommen Sie am besten in den nächsten Monaten auf uns zu."


Künstlersozialkasse schließt Künstler und Journalisten aus

Immer wieder geraten auch Künstler und freie Journalisten in die Bredouille mit den viel zu hohen Krankenkassenbeiträgen - dann nämlich, wenn sie ihre Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse und damit ihre am tatsächlichen Einkommen orientierte Kranken- und Rentenversicherung verlieren.

Das kann schnell passieren, sobald ein Künstler nicht mehr alleine von der Kunst oder Journalisten nicht mehr von ihrer Arbeit leben können oder auch nur kurzfristig mehr Geld benötigt wird, - etwa um Kunstprojekte zu finanzieren.

Ein Beispiel aus der Praxis. Alexander N. hat Kunst studiert und arbeitet seit etlichen Jahren oft gemeinsam mit seiner Frau als bildender Künstler in Deutschland und im europäischen Ausland. Beide waren über Jahre Mitglied der KSK. Für Alexander endete diese Vergünstigung des künstlerischen Lebens 2015, weil er andere Jobs annehmen musste, um in diesem Jahr mehrere größere Kunstprojekte finanzieren zu können. Von den Honoraren allein wäre dies nicht möglich gewesen.

Doch ausgerechnet in dieser künstlerisch sehr erfolgreichen Phase überprüfte die KSK seine Mitgliedschaft und warf ihn raus. Mit der Begründung - er habe im Verhältnis zu den Einkünften aus der Kunst zu viel mit anderen Tätigkeiten verdient, also außerhalb der Kunst gearbeitet. Die Tatsache, dass er diese Jobs brauchte, um die ambitionierten, aber leider unterfinanzierten Kunstprojekte umsetzen zu können, interessierte die KSK-Bürokraten in Wilhelmshaven nicht. Wenigstens Alexanders Ehefrau konnte ihre Mitgliedschaft in der KSK aufrechterhalten. Alexander N. muss nun jeden Monat rund 400 Euro an Krankenkassenbeiträgen bezahlen.

Karoline B. ist ein weiteres Beispiel. Die freie Journalistin musste mangels journalistischen Aufträgen auch einen Nebenjob annehmen. Weil die Einnahmen daraus zeitweise die journalistischen Honorare überstiegen, wurde ihre KSK-Mitgliedschaft beendet. Statt rund 100 Euro an die KSK zahlt sie jetzt 270 Euro pro Monat an ihre Krankenkasse - bei Einnahmen von oft unter 1.000 Euro. Die 270 Euro gehen bereits auf eine Härtefallregelung zurück - normal wäre ein Beitrag von rund 400 Euro.

Die KSK wurde 1983 auf Initiative des damaligen SPD- Bundestagsabgeordneten Dieter Lattmann und des früheren Arbeits- und Sozialministers Herbert Ehrenberg (SPD) gegründet. Sie wird seit Bestehen besonders von der, eng mit der Versicherungswirtschaft verbandelten FDP angefeindet und auch von der CDU/CSU stets kritisch beäugt

Immer wieder gibt es Versuche, sie wieder abzuschaffen. Das verstärkt den Druck auf die KSK, den diese an ihre Mitglieder weiter gibt, mit der Folge, dass auch langjährige KSK-Mitglieder plötzlich horrende Krankenkassenbeiträge statt der bisher sozial abgefederten Einkommens abhängige KSK-Beiträge zahlen müssen. (Helmut Lorscheid)







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