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Ausstellung: SCHEIN ODER SEIN. Der Bürger auf der Bühne des 19. Jhs. - Baden-Baden

Salon in der Ausstellung: SCHEIN ODER SEIN. Der Bürger auf der Bühne des 19. Jahrhunderts, Museum LA 8 Baden-Baden, Foto: Helga Waess - Pressefoto für diesen Beitrag

Ausstellungstipp Baden-Baden: SCHEIN ODER SEIN. Der Bürger auf der Bühne des 19. Jahrhunderts


OHNE SCHEIN KEIN SEIN! Eine Ausstellung über Lebensechtheit, Ich-Inszenierung, Lebenskunst und das ganze Theater im 19. Jahrhundert

 Eine sehenswerte Ausstellung bis zum 08. September 2019 im Museum LA 8 Baden-Baden. Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts

Baden-Baden. Großer Auftritt des Bürgertums in Baden-Baden „SCHEIN ODER SEIN. Der Bürger auf der Bühne des 19. Jahrhunderts" , so der Titel der derzeitigen Ausstellung im Museum LA 8 Baden-Baden.


Zu sehen sind zeittypische Gemälde, Atelierfotografien,Theaterkarikaturen, historische Bühnenentwürfe, Plakate, Requisiten und Kostüme sowie Theater-Architekturmodelle. Schon beim betreten der Ausstellung steht der Betrachter Theatermodellen gegenüber, die an eine plüschig anmutende und den Adel nachahmende Zeit erinnert. Der Besucher wandelt vorbei an bürgerlichen Wohnsalons oder sind das Theaterbühnen? 


Die Ausstellungsmacher haben hier eine sehr inspirierende Atmosphäre geschaffen, die uns in eine Zeit zurück versetzt, in der das Selbstbild ausgiebig gepflegt und inszeniert wurde. Das müssen Theatermacher heute erst einmal schaffen!


Lebensgroße Schaufensterpuppen in zeittypischer Kleidung bevölkern hier und da die Ausstellungsflächen - man inszeniert die Begegnung mit dem heutigen Besucher


Eine Dame, die, vermutlich eigens herbeigerufen, gerade das Zimmer betritt, erwartet wohl einen Gast. Und schon bekommen die ausgestellten „ Cartes-de-visite" ihren Sinn. Die Visitenkarte mit dem eigenen Konterfei als Heldenfigur aus einem Theaterstück von William Shakespeare war das Mindeste. Die Carte-de-visite wurde dem Hausmädchen überreicht und auf einem silbernen Tablett an die Dame oder den Herren des Hauses weitergereicht.

Kleidung wie aus dem Theaterfundus

Die aufwendige Kleidung erscheint aus heutiger Sicht umständlich, wie aus einen Theaterfundus: Rüschen und feinste, schwere Damast- und Samt-Stoffe, Anzüge, die Anklänge an militärisches Auftreten verraten, steife, unbequem anmutende Hemdkragen und Kinder als kleine Erwachsene ausstaffiert sind. Letztere schauen dabei auf den Atelier-Fotos nicht gerade glücklich in die Kamera, aber, dass sollten sie auch nicht. - Man stelle sich das Fotoatelier vor. Es war vermutlich ein Fundus an Theaterrequisiten, denn schließlich musste die Foto-Carte, wie eine heutige Model-Karte ständig dem neuesten Trend entsprechen.



Wer etwas im Leben erreichen will, ist ernst und zielstrebig! Und: wer etwas erreicht hat, der zeigt es, damit es alle wissen! Was und wem nützt es sonst?


Schließlich lebt man jeden Tag für den nächsten großen Auftritt. Das Leben des Bürgertums und vor allem des Großbürgertums im 19. Jahrhundert ist Theater. Im wahrsten Sinne des Wortes. Außerdem umgibt man sich nur mit Gleichgesinnten, die ebenfalls in ihrem Auftritt, samt Familie, auf ihre Außenwirkung hin Leben. Im bürgerlichen Leben hat jeder seine Rolle. Auf die Alltagsrolle als Schauspieler des eigenen Bühnen-Lebens wurde man früh vorbereitet. Vorbilder gab es in der eigenen Umgebung genug und andere Lebensideale oder -formen waren nicht „Standesgemäß".


Das Hoftheater wurde im vorletzten Jahrhundert zunehmend durch Stadttheater ersetzt


Hier liefen klassische Stücke wie „Hamlet" oder „Romeo und Julia" für das Bürgertum, welches sich aus der alten Ordnung der Stände und der Adelsherrschaft endgültig löste und ein eigenes Lebensideal aufbaute. Wer etwas hatte, zeigte es und griff bei den eigenen Requisiten auf erlebte Theaterinszenierungen zurück - welche ja ein Lebensideal vorspielten.

Die Karikaturen eines Honoré Daumier lockern das Bürger-Ambiente der Ausstellung zum 19. Jahrhundert auf. Schließlich hatte man doch auch Humor in jenem 19. Jahrhundert. Karikaturen waren gern gesehen, gedruckt und gesammelt wurden - was die Vorgänger-Ausstellungen zu „Gediegener Spot. Bilder aus Krähwinkel" und „Wilhelm Busch" im LA 8 gut zeigten.


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Bei der Theatralisierung des bürgerlichen Alltags jedoch wurde jeder zum Hauptdarsteller seines eigenen Stückes.


Großes Theater war angesagt - Theaterabende waren ein MUSS


Im Museum LA 8 in Baden-Baden stellt diese Ausstellung, die uns Einblicke in die Lebensrealität des Großbürgertums in das 19. Jahrhundert gestattet, fest, dass der Bürger im vorletzten Jahrhundert die Selbstinszenierung liebte und lebte. Frei nach dem Motto „SCHEIN ODER SEIN " erzeugte das gehobene Bürgertum in Lebensstil, Auftreten, Kleidung und Freundes- oder besser Umgangskreis das Selbstbild eines gespielten Lebens. Man spiegelte sich in Wohn-Ambiente und Kleidung an überladenen Inszenierungen klassischer Bühnenstücke.


Theaterprogramme, Bühnen-Plakate und Bühnen-Modelle erweitern die Ausstellung, und lassen uns nachempfinden, was der Bürger, der seinen Abend plante für sehenswert hielt: 


die Theater waren häufig ausverkauft und Klassiker kamen immer an.


Die Theaterinszenierung zeigte dem Bürgertum eine Daseinsform, die nachgelebt wurde

Die Bühne diente somit nicht nur der Kurzweil und Unterhaltung. Das zeigen zahlreiche Fotodokumente 


-vom Künstlerfürsten in seinem Atelier,

- bühnenbildhaft erscheinenden Gemäldesujets großbürgerlicher Familien mit Minnesänger im überreich ausgestatteten Salon

- und Porträtfotos als Julia auf dem Balkon

- und als tiefsinniger Hamlet auf der „Carte-de-visite".


Alles schien inszeniert und nichts blieb dem Zufall überlassen.


Die Selfie-Generation des 19. Jahrhunderts nutzte nach der Eigendarstellung im Gemälde das Medium der Fotografie

Hätte es damals schon das Smartphone gegeben, es wäre eine selbstverliebte Selfie-Generation überliefert, die den Großen Auftritt liebte. Oder wie Prof. Dr. Matthias Winzen - Direktor des Museums LA 8 Baden-Baden - im unbedingt empfehlenswerten Ausstellungskatalog ausführt:


Ohne Schein kein Sein!


SCHEIN ODER SEIN. Der Bürger auf der Bühne des 19. Jahrhunderts

Ausstellung bis zum 08. September im 


LA 8 in Baden-Baden

Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts


Lichtentaler Allee 8

76530 Baden-Baden


Homepage: museum.la8.de

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