Entlang der Maas entschleunigen
Sobald sich die Sonne zwischen den Wolken zeigt, füllen sich die Terrassen auf dem Vorplatz. Tropft es, weichen die Kunden an die Tische unter den Arkaden aus. In der Mitte des Platzes richten die Mitarbeiter des Bauhofes die letzten Details, damit aus der rechteckigen Place Ducale die „Plage Ducale" wird. Der Platz ist das Herz von Charleville-Mézières, Hauptstadt des Département Ardennes.
Wer schon in Paris am Place des Vosges war, erlebt auf der Place Ducale ein Déjà-vu. Obwohl der Platz in der Hauptstadt in seiner Mitte grün ist und der in Charleville-Mézières gepflastert, sind die beiden architektonische Gegenstücke. Erstaunlich ist es nicht, denn mit Louis (Paris) und Clément (Charleville) Métezeau waren hier zwei Brüder am Werk. In Paris zieht der Platz, der zur Nobeladresse avanciert ist, viele neugierige Besucher an. Auf den Terrassen der Place Ducale hingegen sucht man vergeblich nach Touristen mit Fotoapparat oder Selfie-Stange. Die meisten Besucher der Heimatstadt des berühmten Dichters Arthur Rimbaud kommen aus Paris, nur knapp zwei Stunden mit dem Schnellzug TGV, wollen für ein Wochenende frische Luft tanken und raus aus der Hauptstadt-Hektik.
Der Touristenmagnet schlechthin ist ein anderer Teil der ehemaligen Region Champagne-Ardenne: nämlich die Landschaft und die historische Provinz Champagne, wo nicht nur Deutsche, sondern mittlerweile auch Touristen aus Fernost sich vor der Kathedrale in Reims ablichten lassen und in Gewölbekellern den exklusiven Schaumwein in allen Variationen probieren. Seit der französischen Gebietsreform gehören sowohl die Champagne als auch die Ardennen zur Region Grand Est. Beim jüngsten informellen Gipfel der Großregion wurden die Ardennen als Beobachter aufgenommen. Zu Recht, meinen die Ardenner, die mit ihren wallonischen Nachbarn bereits eng zusammenarbeiten. Auch die Fahrt von Saarbrücken nach Charleville führt über Luxemburg und Belgien - eine Art Schnell-Trip durch die Großregion.
Mit ihren belgischen Nachbarn haben die Ardenner die Liebe zum Bier gemeinsam. Von den über 200 Brauereien Ende des 19. Jahrhunderts konnten jedoch nur wenige überleben. Es wird wenig exportiert, doch die heimische Kundschaft ist treu geblieben. „Ardwen", „Cuvée d'Arthur", „Sedane" oder „Woinic": Ein Blick auf die Getränkekarten der Kneipen auf der Place Ducale reicht, um sicher zu sein: Hier wird lokal getrunken - überwiegend helle und Amberbiere. Wer kein Bier mag, kann auf Cidre ausweichen. Der Apfelwein, den man eher aus der Bretagne kennt, wird im landwirtschaftlich geprägten Süden des Départements hergestellt.
Dort startet die sogenannte „Voie verte" (Deutsch: grüner Weg). Auf einer Strecke von 120 Kilometern wurden die ehemaligen Leinpfade am Maas-Ufer für Fahrradfahrer umgestaltet. Die überwiegend flache Strecke, die auch für Inlineskater oder Wanderer geeignet ist, steht ganz im Zeichen der Entschleunigung. Welchen Teil des grünen Wegs Radfahrer zurücklegen wollen und wo sie sich eine Pause gönnen, hängt von den jeweiligen Interessen ab.
Die Möglichkeiten sind vielfältig. Südlich von Charleville-Mézières ist die mittelalterliche Burg von Sedan mit über 35 000 Quadratmetern die größte ihrer Art in Europa. Ein paar Kilometer nördlich der Hauptstadt beginnt der regionale Nationalpark. Den schönsten Blick darauf muss man sich verdienen. Denn der Aussichtspunkt „La Roche à 7 heures" befindet sich am Ende eines steilen Aufstiegs. Spätestens hier sollte man Inliner gegen Wanderschuhe tauschen. Von dort blickt man auf die Maas-Schleife und das darin eingebettete Dorf Monthermé mit seinen Schieferdächern.
Von hier im Zusammenfluss von Maas und Semoy startet ein weiterer Radweg, diesmal allerdings für Fortgeschrittene. Die „Trans-Semoysienne" ist mit ihren erheblichen Höhenunterschieden (vor allem am Ende der 20 Kilometer langen Strecke) eher mit einem Moutainbike zu bezwingen.
Zurück auf dem grünen Weg weiter Richtung Belgien. Auch nach Monthermé dreht die Maas weitere - kleinere - Schleifen. In vielen der Dörfer, an denen sie vorbeifließt, scheint die Zeit stehen geblieben. Während in den Weilern eine nostalgische Stimmung herrscht, sieht es in den Städten anders aus. Die Industrie ist weg, das schmerzt, und man merkt es. Zum Beispiel in Revins, wo früher Electrolux-Waschmaschinen für ganz Europa hergestellt wurden. Gegenwärtig steigt die Arbeitslosigkeit in der Gegend über die Zehn-Prozent-Marke. Umso mehr setzt das Département Ardennen auf den grünen Tourismus, mit individuellen Unterkünften zu vernünftigen Preisen.
Die Ardennen sind nicht die Bretagne oder die Côte d'Azur. Doch wer im Urlaub auf einen Strandtag nicht verzichten will, fährt zum Baggersee der alten Hütten (Lac des vieilles forges) und seiner Freizeitanlage. Und da, auf dem angrenzenden Campingplatz im Wald versteckt, findet man sie doch: die ersten ausländischen Touristen. Belgier und Niederländer. Auf die Deutschen warten die Ardennen allerdings noch.