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Neue Verfahren: Wie Mikroplastik aus dem Berliner Trinkwasser ferngehalten werden soll

Regina Gnirß wirft einen zufriedenen Blick auf die Flasche in ihrer Hand. Die Leiterin der Forschungsabteilung der Berliner Wasserbetriebe steht im Klärwerk Schönerlinde im Norden Berlins. Das Wasser, das hier über den Rand des Ablaufs in die Gräben und schließlich über eine Aufbereitungsanlage in den Tegeler See fließt, war als braune, übelriechende Brühe im Klärwerk angekommen, hat verschiedene Reinigungsstufen durchlaufen und ist nun nahezu klar.

Nur eine leichte Färbung kann Gnirß in ihrer gerade gezogenen Probe erkennen. Was die Umwelttechnikerin aber noch viel mehr interessiert, ist etwas, das sie mit dem bloßen Auge nicht erkennen kann: Mikroplastik. Ist das Wasser frei davon?

Plastikpartikel, die kleiner als fünf Millimeter sind, gelangen zunehmend über das Abwasser in die Klärwerke, die auf die neue Herausforderung reagieren müssen. Die Teilchen werden als Reifenabrieb mit dem Regenwasser in die Kanalisation gespült, geraten als Zusätze in Waschmitteln und Kosmetik ins Abwasser oder als Reste von Plastikmüll, der von Wind und Wellen zerrieben wurde. Millionen Tonnen dieser Schnipsel, Kügelchen und Splitter landen jedes Jahr in der Umwelt - und verweilen dort für Hunderte von Jahren.

Welches Ausmaß die Plastikverschmutzung tatsächlich besitzt, wie sie sich auf Umwelt und Organismen auswirkt, wie die Teilchen verbreitet werden und was man dagegen tun kann, ist noch wenig erforscht. Die Projekte zum Thema laufen gerade erst an. Die Wasserproben aus dem Klärwerk Schönerlinde sollen dazu beitragen.

Trinkwasser stammt meist aus dem Grundwasserreservoir

Martin Jekel von der Technischen Universität Berlin koordiniert das Projekt, an dem neben den Berliner Wasserbetrieben elf wissenschaftliche Institute und Behörden beteiligt sind. Seit drei Jahren treibt ihn das Thema um. Nun ist der Professor seit einigen Monaten im Ruhestand - und dennoch lässt ihn das Vorhaben nicht los.

„Mikroplastik ist das Reizthema unserer Zeit", sagt er. Von Panikmache hält der Wasserforscher allerdings nichts. Ihn ärgern allzu reißerische Meldungen - etwa von Mikroplastik im Trinkwasser. Mikroplastik sei im Trinkwasser - zumindest in Deutschland - kein Thema, versichert der Forscher. Denn hierzulande stammt das Trinkwasser meist aus dem Grundwasserreservoir. Es hat meterdicke Sand- und Bodenschichten durchlaufen, die selbst die kleinsten Partikel zurückhalten.

Berichte über verunreinigtes Trinkwasser seien auf fehlerhafte Messungen zurückzuführen, sagt Jekel. Die Methodik sei alles andere als ausgereift und müsse dringend weiterentwickelt werden, sagt er. Die Wasserproben aus Schönerlinde werden mit einer speziellen Mikroskopiertechnik untersucht - in Laboren mit staubfreier, gefilterter Luft und penibel gereinigten Geräten, um die Proben nicht zu verfälschen.

Jedes Jahr gelangt mehr Mirkoplastik in den Wasserkreislauf

Das Mikroplastik kommt also bislang nicht aus dem Wasserhahn. Dennoch ist es in der Umwelt: in Böden, Flüssen, Seen und Meeren, selbst im Eis der Arktis und in Fischmägen. Bisher weiß niemand so genau, wie viel Mikroplastik tatsächlich jedes Jahr freigesetzt wird. Fakt ist: Jedes Jahr gelangt mehr davon in den Wasserkreislauf. Letztlich landet das meiste im Meer. Wie man den Eintrag der Kunststoffe in die Umwelt verringern kann, ist eine der drängenden Fragen unserer Zeit.

Auch Regina Gnirß beschäftigt sich mit dieser Frage. „99 Prozent aller abfiltrierbaren Stoffe werden im Klärwerk eliminiert", sagt die Forscherin. Rückstände von Fäkalien und Nahrung gehören ebenso dazu wie unlösliche Stoffe aus Reinigungs- und Waschmitteln. Und eben auch Mikroplastik. All diese Stoffe landen als Schlamm auf dem Grund der Klärbecken, der getrocknet und verbrannt wird.

Aber was ist mit dem einen Prozent an Stoffen, die nicht zurückgehalten werden, fragt Regina Gnirß und zeigt auf die Flasche in ihrer Hand. Die Probe wird in den kommenden Wochen an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) analysiert. Dort soll genau ermittelt werden, welche Stoffe in dem geklärten Abwasser noch vorhanden sind und ob sich darin Bestandteile von Plastik finden. Auch eine zweite Probe geht an das BAM. Sie stammt aus einer neuen Filteranlage, die Gnirß mit ihrem Team gerade testet.

Feinkörnige Schichten halten neben Mikroplastik auch Rückstände von Medikamenten und Haushaltschemikalien zurück

Die meterhohen durchsichtigen Säulen der sogenannten Zweischichtfilter sind mit Sand und Anthrazit gefüllt. Sie sollen hocheffizient auch die kleinsten Partikel noch aus dem Abwasser entfernen - und damit den Ablauf des Klärwerks zusätzlich reinigen.

Die feinkörnigen Schichten halten nicht nur das Mikroplastik zurück, sondern können auch andere Stoffe binden, die in den Klärwerken zunehmend für Kopfzerbrechen sorgen: Rückstände von Medikamenten, Haushaltschemikalien und andere sogenannte Spurenstoffe. In Schönerlinde werden diese Stoffe durch eine Ozonbehandlung aufgespalten und in der Filteranlage aus dem Wasser entfernt. Die ersten Ergebnisse der Testphase sind vielversprechend: „Wir kommen damit für viele Stoffe bis zur Nachweisgrenze", sagt Gnirß.

Neben dem Abwasser, das aus den Berliner Haushalten in die Klärwerke gelangt, haben die Wasserbetriebe auch andere mögliche Quellen für Mikroplastik im Blick. Nach Schätzung der Weltnaturschutzorganisation IUCN gelangen etwa zwei Drittel des gesamten Eintrags an Mikroplastik über Straßenabflüsse in die Umwelt. Wenn es stark regnet, spült das Wasser jede Menge Mikroplastik in die Gullys. Vieles davon stammt vom Abrieb der Autoreifen. „Das ist ein größeres Problem als Plastikkügelchen in der Zahnpasta", sagt Gnirß.

Innerhalb des Berliner S-Bahnrings landet das Regenwasser im Mischsystem der Abwasserentsorgung und damit in den Klärwerken. Doch der weitaus größere Teil - 75 Prozent - wird über Regenwasserkanäle abgleitet und umgeht damit die Reinigung in den Klärwerken. An einigen stark befahrenen Straßen wird das Niederschlagswasser in Regenklärbecken mechanisch gereinigt.

Zudem testen Wissenschaftler und die Wasserbetriebe Retentionsbodenfilter, die auch kleinste Partikel aus dem Regenwasser herausfiltern können. Flächendeckend können diese Systeme aber nicht eingesetzt werden. Oft landet der Niederschlag ungeklärt in Seen und Flüssen - und mit ihm eine Fracht, über deren Auswirkungen im Ökosystem wenig bekannt ist.

Bundesforschungsministerium initiiert großes Forschungsprogramm

Als besonders kritisch könnten sich gerade die kleinsten Partikel erweisen, die nur wenige Mikrometer groß sind. „Es gibt Hinweise darauf, dass diese in Zellen entzündliche Reaktionen auslösen können", sagt Martin Jekel. Zudem werden diese winzigen Kunststoffpartikel von Planktontierchen aufgenommen, die am Beginn der Nahrungskette stehen und selbst nur wenige Mikrometer groß sind. Über die Nahrungskette könnte sich das Mikroplastik auch in Fischen anreichern.

Die Unsicherheiten sind groß, der Forschungsbedarf ebenso. Das ist in der Politik angekommen. Vor anderthalb Jahren hat das Bundesforschungsministerium eines der weltweit größten Programme zum Thema Plastik in der Umwelt initiiert. 35 Millionen Euro gibt das Ministerium dafür aus. Das Geld ist gut angelegt, findet Jekel: „Es ist höchste Zeit, das Problem genauer zu erforschen."

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