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Wut und Wehmut: Der nächste Buchhändler gibt auf

Leucht in seiner Buchhandlung

Es ist einer der letzten Tage der Buchhandlung Leucht in der Wagemannstraße 19. Der Inhaber schließt seinen kleinen Laden zum 31. Dezember nach nur viereinhalb Jahren, weil er muss und weil er will.


Auf diesem Niveau möchte ich mich nicht mit Ihnen unterhalten. Gehen sie doch woanders hin", schimpft der 65-Jährige Buchhändler mit grauem Jacket, samtiger Cord-Hose und runder Brille. Die Kundin bekommt rote Wangen, dreht sich um und verschwindet wortlos.

Es ist einer der letzten Tage der Buchhandlung Leucht in der Wagemannstraße 19. Der Inhaber schließt seinen kleinen Laden zum 31. Dezember nach nur viereinhalb Jahren. Wegen der wirtschaftlichen Entwicklung und dem eigenen gesundheitlicher Zustand muss er das tun. Aber irgendwie will er auch, denn die „davongaloppierende Kultur" und „nicht mehr wahrnehmbare Qualität von Bildung" in der Gesellschaft haben ihm die Lust verdorben.

„Die Leute suchen bei mir das, was sie in einer Talkshow gesehen haben. Sie haben keine Fragen, weil sie nicht mehr fragen können." Dafür sei er nicht Buchhändler geworden, sagt Leucht, der an einem Tisch, vollbeladen mit Bildbänden, Büchern und Papieren, sitzt. Der Mann mit dem schmalen Gesicht hält sich an einem Espresso-Becher fest.

Romantiker, Anarchist und Surrealist

Seit Mitte der 70er Jahre waren Buchhandlungen Leuchts Welt. Bis 1998 habe er das dreistöckige „Staadt" in der Langgasse von einem „Feld-, Wald- und Wiesenladen" zu einer der Top-20-Adressen in Deutschland gemacht. Danach war er Prokurist der Buchhandlung Wiederspahn in der Wilhelmstraße. „Ich hatte einen sehr guten Ruf", erinnert sich der 65-Jährige.

Jetzt kleben an den Schaufenstern seines 70 Quadratmeter Ladens weiße Rabattschilder. Drinnen stehen nackte Postkartenständer, verwaiste DVD-Halter und blaue Plastikkisten. Leuchts Schwerpunkt war immer die Geisteswissenschaft, Klassiker, Belletristik und Lyrik. Einsam liegt Stefan Zweigs Schachnovelle auf dem Rücken in einem der halbleeren Regalfächer.

Sich selbst bezeichnet Leucht als „Romantiker, Anarchist und Surrealist." Er verkehrte sein Leben lang in Intellektuellenkreisen, war mit dem Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch, dem Mainzer Unterhaus-Gründer „Ce-Eff" Krüger und Professor Andreas Höfele, dem früheren Vorsitzenden der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft befreundet.

Peter Leucht, der derzeit in Wiesbaden lebt, erzählt mit einem Schmunzeln, dass er eine Zeitlang imaginär nach Paris gezogen sei. Jazz, Existentialismus, Nouvelle Vague. „Dazu rauchte man natürlich", fügt er hinzu. Heute muss er dafür vor die Tür auf die Wagemannstraße. Doch immer wieder fällt ihm etwas ein, das es drinnen zu tun gibt, das Telefon klingelt, er läuft durch die halbleeren Bücherregale und zieht den Qualm seiner filterlos blauen Gouloises hinter sich her. „Camus und Co. haben die auch geraucht", erklärt er. Er sei ja sowieso immer auf Camus' Seite gewesen.

Seit zehn Jahren hat sich die Zahl der inhabergeführten Buchhandlungen in Wiesbaden nicht verändert.

25 Läden gibt es hier laut des Landesverbands Hessen vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels aktuell.

Fünf Antiquariate kommen hinzu und zwei große Ketten, wobei die Buchhandlung Thalia 2015 schließen wird.

Die Buchhandlung Leucht ist der einzige inhabergeführte Laden, der 2014 schließen musste. Vielmehr haben sogar zwei neue Geschäfte geöffnet, eine in Schierstein und das Buch-Café Nero39.

Gründe für Schließungen sind nach Angaben des Börsenvereins meist das Alter und fehlende Nachfolger, nicht untreue Kunden. haw

Sobald Leucht über große Literaten oder Cineasten spricht, lehnt er sich zurück, schlägt das eine Bein über das andere, hebt den Kopf und blickt sein Gegenüber aus den kühlen blauen Augen an. Er weiß, wovon der redet, verliert sich in Namen, Epochen, großen gesellschaftlichen Ereignissen und Kulturanalysen.

Ein Mann mit Plastiktüte und langem Mantel, der soeben in die Buchhandlung gekommen ist, hat nicht gegrüßt. „So macht man das heute, betritt wortlos den Raum." Leucht schüttelt resigniert den Kopf und führt weiter aus, wie er das sieht mit Sartre und Gott. Das Reden macht Leucht Mühe. Vor sieben Jahren stürzte er im Dunkeln seiner Wohnung über einen Staubsauger und bekommt seitdem regelmäßig epileptische Anfälle. Dazu noch eine Erkältung, ein verstauchter Knöchel. Es läuft derzeit nicht gut.

Der persönliche Abrutsch ist aus Leuchts Sicht eng mit den kulturgesellschaftlichen Veränderungen verwoben. 2007 starb seine erste Frau, die 30 Jahre die Buchhaltung machte. Er selbst hatte sich nie damit beschäftigt. Gleichzeitig beobachtet er einen Niedergang der Kultur, dass die Fußgängerpassagen aller großen Städte „ins Unendliche rutschen" und meint damit die Vereinheitlichung durch immergleiche Modeketten, Parfumgeschäfte und Handyläden. Und dann sei da noch Amazon. Auch ein Grund für die Schließung seines Ladens.

Planung, Verkauf und Raumaufteilung, das, was Leucht sein Leben lang machte, hat nun ein Ende. Er will er sich jetzt mit einem Projekt über Orpheus beschäftigen, literarische Inhalte weiter definieren und sich Kultur sowie ihrer Vermittlung widmen. „Außerdem bin ich das erste Mal im Leben gezwungen, ein bisschen Staatsknete anzunehmen", sagt er nachdenklich mit Blick auf seine wirtschaftliche Lage. „Es ist traurig alles aufgeben zu müssen." Doch dann erinnert er sich an die Kundin, die eine heruntergesetzte Hörspiele-Box zurückgeben wollte, weil die bei Hugendubel genauso viel kostet. All die Wut über die Entwicklungen, das Desinteresse an Kunst sowie Kultur und die Mentalität „Geier", wie er sagt, geballt in einem Moment. „Das macht es dann wieder leichter", sagt er, wirft seine Zigarette in einen Gulli und geht zurück in den Laden, der noch eine Woche seiner ist.

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