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Fanprotest in Israel: Jerusalemer Verhältnisse - DER SPIEGEL - Sport

Die Berge Jerusalems thronen über dem vom Flutlicht erleuchteten Kunstrasenplatz. Die Spieler sprinten über das Feld, eine Drohne zeichnet ihre Bewegungen auf. "Wenn euch jemand den Ball zuspielt, dann lauft ihr nicht weg!", ruft die israelische Trainerlegende Yossi Mizrahi den jungen Fußballprofis zu. Der 66-Jährige, früher als Coach unter anderem bei Maccabi Tel Aviv oder Apollon Limassol auf Zypern verantwortlich, hatte sich eigentlich schon aus dem Profifußball verabschiedet - kehrte aber Anfang des Jahres zurück, um Hapoel Katamon bei der Mission Erstligaaufstieg zu unterstützen: "Aus dem Nichts schaffen sie hier ein Wunder, sagt Mizrahi.

Bis in die Neunzigerjahre war der Jerusalemer Fußball klar zwischen den beiden Vereinen Beitar und Hapoel aufgeteilt. Beitar konservativ und fester Bestandteil der ersten Liga; Hapoel linksorientiert und eine klassische Fahrstuhlmannschaft. Fast vergleichbar mit dem HSV und dem FC St. Pauli in Hamburg. Ab der Jahrtausendwende driftete der Jerusalemer Fußball allerdings ins Chaos, und seitdem haben Fans beider Klubs jeweils einen eigenen Protestverein gegründet.

Fans vor verschlossenen Toren

Zuerst traf es Hapoel. 2000 spielte der Verein das letzte Mal erstklassig und stieg danach immer weiter in die Bedeutungslosigkeit ab. Die Besitzer zerstritten sich und ließen den Klub verfallen: keine Jugendarbeit, keine Transfers, kein Dialog mit den Fans. Der Streit eskalierte 2007, nachdem die Besitzer keine Sicherheitsleute für eines der entscheidenden Spiele der Saison engagiert hatten. Die Polizei sperrte daraufhin die 2000 vor dem Stadion wartenden Fans aus - der Schlüsselmoment für die Gründung Hapoel Katamons.

Schlimmer noch erwischte es Beitar. Der Klub steckt nicht in einer sportlichen, sondern sogar in einer politischen Krise. Als einziger israelischer Profiverein hatte Beitar noch nie einen arabischen Spieler unter Vertrag - und auch Muslime sind eine Seltenheit; hierauf ist die Fangruppierung "La Familia" besonders stolz. Die Ultras dominieren seit knapp 15 Jahren die Fankurve mit Sprüchen wie "Tod den Arabern" und feiern sich als "rassistischster Verein des Landes". Als Beitar 2013 zum ersten Mal seit über zehn Jahren zwei muslimische Tschetschenen verpflichtete, liefen die radikalen Ultras Sturm. Sie steckten das Vereinsheim in Brand, die Spieler konnten nur noch mit Personenschutz zum Training. Für die liberalen Fans, die der Verein auch hat, war das zu viel - sie gründeten Beitar Nordia Jerusalem.

Politisch aufgeladen ist der israelische Fußball nicht nur in Jerusalem. Die meisten Klubs gehören zu einem der drei großen Sportverbände des Landes - das sind Maccabi, Hapoel oder Beitar. Jeder dieser Verbände ist aus einer politischen Bewegung entstanden. Während Hapoel (übersetzt Arbeiter) die linksliberalen Vereine vertritt, sind die Maccabi- und Beitar-Fans traditionell eher rechtskonservativ. Jerusalem ist aufgrund seiner religiösen Bedeutung für die orthodoxen Israelis eher konservativ ausgerichtet. Gleichzeitig gibt es aber auch in der Stadt Engagierte, die anders, liberaler denken: "Wir wollen, dass sich die Vielfalt Jerusalems in Beitar widerspiegelt", sagt Renan Ohana, Mitbegründer Beitar Nordias.

Hapoel hat Schritte nach vorn gemacht

Der Klub versucht eine antirassistische Haltung zu vermitteln - nicht nur mit einer liberaleren Kaderpolitik, sondern auch mit Programmen an Schulen. Der sportliche Erfolg ist dabei Mittel zum Zweck, sagt Renan: "Wir wollen so groß werden, dass Beitar uns braucht." Langfristig kämpfen sie für ein vereintes Beitar - das haben die Fans im vergangenen Jahr auch in ihre Satzung aufgenommen. Ein ambitioniertes Ziel für den Drittligisten.

Hapoel Katamon ist hingegen schon einen Schritt weiter. Der Klub steht in den Playoffs um den Aufstieg in die erste Liga - der Ursprungsverein Hapoel steht hingegen kurz vor dem Abstieg in die vierte Liga. In den vergangenen zehn Jahren haben die Fans aber nicht nur sportliche Erfolge gefeiert. Ihnen geht es besonders darum, wieder die Werte von Hapoel zu leben. Sie haben die erste Frauenfußballmannschaft Jerusalems gegründet, veranstalten inklusive Fußballspiele und organisieren eine religionsübergreifende Schulliga.

In den nächsten Wochen entscheidet sich, ob Hapoel Katamon in die erste Liga aufsteigt. "Wir geben unser Bestes, aber es ist eine große Herausforderung", sagt Trainer Mizrahi. Egal ob der Aufstieg in diesem Jahr klappt oder nicht: Die liberale Seite Jerusalems hat sich erneuert. Beitar Nordia ist hingegen ein gutes Stück davon entfernt, den "rassistischsten Verein des Landes" in einen liberalen Klub zu verwandeln. Bevor die gespaltene Jerusalemer Fußballszene also wieder zusammenfindet, werden noch einige Jahre vergehen.

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