Herr Ehben, was haben Sie gedacht, als Sie von den tödlichen Schüssen auf den jungen Polizisten und die junge Polizistin in Kusel erfahren haben?
Stephan Ehben: Ich war geschockt. Das macht mich wieder sehr sensibel dafür, dass Einsätze ein solches Ende finden können. In diesem Fall hat mich der Vorfall in Kusel noch stärker berührt, da eines der Opfer eine Studierende der Polizei war, die gerade ein Praktikum an einer Dienststelle absolviert hat. Die Kollegin befand sich in der Ausbildung, das ist vergleichbar mit unseren Studierenden im Praktikum.
Wie werden denn angehende Polizistinnen und Polizisten auf nächtliche Verkehrskontrollen vorbereitet?
Relativ früh im Studium an der Polizeiakademie Niedersachsen lernen die Studierenden die Basiselemente. Sie bekommen beispielsweise eine reflektierende Sicherungsweste mit Aufdruck "Polizei", die bei Verkehrskontrollen getragen werden sollte. Unsere jungen Kollegen und Kolleginnen erfahren, dass es wichtig ist, immer als Polizist erkannt zu werden – insbesondere auch bei Nacht. Aus Gründen der Eigensicherung halten wir außerdem grundsätzlich nur vor uns fahrende Fahrzeuge an. In vorbereitenden, sogenannten Handhabungstraining lernen die Studierenden, ihren Einsatzgürtel mit Pfefferspray, Handfesseln und Pistole immer an der gleichen Stelle zu tragen.
Und tragen Polizistinnen und Polizisten bei Verkehrskontrollen auch immer kugelsichere Schutzwesten?
Inzwischen wird allen unseren Studierenden eine schusssichere Weste zur Verfügung gestellt.
Aber ist es verpflichtend, die Westen beim Streifendienst zu tragen?
Eine Schutzweste gehört zur Standardausstattung. Die Studierenden trainieren ausschließlich mit ihrer persönlich angepassten ballistischen Schutzweste. Mit der Zeit wird das Tragen der Schutzweste von den Studierenden nicht mehr als störend empfunden. Es gilt, das Selbstverständnis zu vermitteln, die Weste immer und in jedem Dienst zu tragen. Eine Verpflichtung gibt es indes nicht.
Wir vermitteln den Studierenden in der Theorie die Gründe für eine Fahrzeugkontrolle. Gibt es bereits konkrete Hinweise oder ist es eine allgemeine Verkehrskontrolle? Bei uns in Niedersachsen werden bei einer Verkehrskontrolle grundsätzlich immer zwei Einsatzkräfte eingesetzt. Eine Einsatzkraft überprüft den Fahrer und kommuniziert mit ihm, die andere sichert die Kontrollsituation. Ich selber bezeichne mich auch immer als einen „Eigensicherungsfanatiker“, weil Eigensicherung das Überleben der Einsatzkräfte bedeuten kann. Vor jedem Dienstbeginn muss jeder sich all diese Elemente bewusst machen. Der größte „Feind“ im Dienst ist negative Routine.
Routine ist wichtig für unseren Beruf, aber wir dürfen keine negative Routine entwickeln. Es darf niemals dazu führen, dass ich in einer Einsatzsituation nachlässig oder unkonzentriert bin. Denn zu jeder Zeit kann es zu einer Extremsituation kommen. Und das muss nicht Frankfurt oder München sein, das zeigt ja Kusel. Dabei wird auch nicht gefragt, ob in dem Streifenwagen erfahrene oder nicht erfahrene Kolleginnen und Kollegen sind. Wir geben unseren jungen Studierenden mit, diese Sensibilität jederzeit zu haben, jeden Einsatz hoch konzentriert anzugehen.
Gibt es dafür in der Ausbildung praktische Rollenspiele?
Wir nennen das situative Trainings. Das heißt, wir stellen eine Einsatzsituation möglichst realistisch nach. Die Studierenden halten zum Beispiel ein ziviles Trainingsfahrzeug an und führen eine Verkehrskontrolle durch.
Und wie werden die Auszubildenden auf Extremsituationen vorbereitet?
Im weiterführenden Studium gibt es vermehrt Stresstrainings. Die Studierenden lernen in den Trainings, nach einem bewaffneten Überfall ein flüchtendes Fahrzeug anzuhalten und dann Tatverdächtige aus der Distanz aus einem Fahrzeug heraus anzusprechen. Auch Trainings für Einsätze mit terroristischem Hintergrund oder aufgrund von Amokläufen, sogenannte lebensbedrohliche Einsatzlagen sind Hochstresstrainings. Die Studierenden wissen nicht, was genau in dieser Situation passiert. Da kann es auch zum Waffeneinsatz mit Trainingswaffen kommen.
Aber bei einer Situation wie in Kusel hatten die Beamten doch kaum Zeit, vom alltäglichen Geschäft bis hin zu einer existenziellen Verteidigung zu wechseln?
Bei einer Verkehrskontrolle ist es üblich, als Sicherungsbeamter, also die Einsatzkraft, die nicht mit den Insassen kommuniziert, die Hand an der Waffe zu haben. Alles andere ist bei uns Kommunikation. In der Kontrollsituation sage ich den Studierenden immer: Nie direkt vor den Fahrzeugtüren und -fenstern stehen. Der Bürger oder die Bürgerin sollen sich ruhig ein bisschen nach hinten drehen müssen. So wird ein direktes Einwirken auf die Beamten schwieriger. Es ist wichtig, Fälle wie in Kusel aufzuarbeiten und zu prüfen: Müssen wir unsere Inhalte anpassen? Muss an unserer Ausrüstung etwas verändert werden?
Die Erkenntnisse, die wir bisher haben, geben derzeit keinen Anlass, etwas in unserem Training zu ändern.
Denken Sie nach solchen Vorfällen darüber nach, Kontrollen mit gezogener Waffe durchzuführen, wie es zum Beispiel in den USA der Fall ist?
Die Neigung ist immer groß, Amerika ins Spiel zu bringen. Die Polizei in Deutschland und in Amerika kann jedoch in keiner Weise miteinander verglichen werden. In den USA kann jeder Mensch eine Waffe tragen. Vorfälle, bei denen Polizistinnen und Polizisten ermordet werden, sind hier in Deutschland zum Glück relativ selten. Die Chance ist größer, bei einem Verkehrsunfall ums Leben zu kommen, als in solch einem Einsatz. Wir in Niedersachsen sind eine bürgernahe Polizei. Das muss auch so bleiben. Es sollte immer eine offene Kommunikation mit den Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmern geführt werden.
Wie sollten Bürger und Bürgerinnen sich am besten während einer Verkehrskontrolle verhalten?
Bei einer Verkehrskontrolle sollte als erstes der Motor abgeschaltet werden. Zudem sollten die Hände am Lenkrad gelassen werden, damit keine falschen Interpretationen möglich sind. Dann frage ich: Wo haben Sie Ihren Führerschein und die Fahrzeugzulassung? Bitte händigen sie mir die Dokumente aus. So sehe ich immer, wohin sich die Hände der Person bewegen. Greifen sie in Bekleidungsteile oder zum Handschuhfach des Fahrzeugs? Die meisten Verkehrsteilnehmer wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen, weil es kein Gesetz dafür gibt. Ich würde mir wünschen, dass die Öffentlichkeit über das richtige Verhalten bei Verkehrskontrollen informiert wird. In den Fahrschulen könnte schon gelehrt werden: Wenn die Polizei euch anhält, dann haltet euch an folgende Regeln: Motor abstellen und die Hände am Lenkrad lassen.
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