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Radio FM4 - Online (11)

An diesem Freitag im Mai mag sich die Krawatte Enrique Peña Nietos womöglich etwas eng angefühlt haben. „¡Fuera, fuera, fuera! - Raus, raus, raus!", hallt es durch die Gänge der Universität. Zumindest der Anzug sitzt perfekt. Gemeinsam mit Beratern steht er vor den Toiletten und überlegt, wie er das Gebäude am Besten verlassen könnte. Mithilfe unzähliger Sicherheitsmänner schafft er es schließlich, sich einen Weg Richtung Ausgang zu bahnen.


Déjà-vu am Wahlsonntag

Morgen, Sonntag, wird in Mexiko ein neuer Präsident gewählt. Drei Männer und eine Frau stehen zur Wahl, einer davon ist Enrique Peña Nieto von der PRI, der Institutionellen Partei der Revolution. 71 Jahre lang war diese Partei in Mexiko an der Macht, bis sie im Jahr 2000 von Vicente Fox und 2006 vom heute amtierenden Präsidenten Felipe Calderón und der Partei der Nationalen Aktion (PAN) abgelöst wurde. Andrés Manuel López Obrador, Gründungsmitglied der Partei der Demokratischen Revolution (PRD), einer Abspaltung der PRI, war damals Calderóns größter Kontrahent. Nur 0,58% Stimmanteil trennten ihn offiziell vom Wahlsieger. López Obrador war sich sicher, dass die Wahlen gefälscht worden waren. Am Sonntag wird er wieder antreten: dieses Mal gegen Peña Nieto.


#YoSoy132

Es ist die Universität Iberoamericana in Mexiko Stadt, wo die Studenten lautstark gegen Enrique Peña Nieto protestieren. „¡Ibero no te quiere! - Ibero will dich nicht!", schreien sie. Und weiter: „¡Peña asesino! ¡Atenco no se olvida! - Mörder Peña! Atenco ist nicht vergessen!" Später sollte Peña Nieto sagen, dass die jungen Menschen auf dem Campus keine Studenten gewesen und von der Opposition engagiert worden wären, um Unruhe zu stiften. Hätte er gewusst, dass er mit diesen Vorwürfen direkt vor der Wahl eine große Protestbewegung heraufbeschwören würde, hätte Enrique Peña Nieto sie womöglich nicht ausgesprochen.

Nur wenige Tage später steht ein Video auf Youtube. Der Titel: 131 Studenten der Ibero antworten. Sie erklären darin, dass sie von niemandem engagiert worden waren, zeigen ihre Studentenausweise der Universität Iberoamericana in die Kamera, nennen ihre Namen und Matrikelnummern. Innerhalb kürzester Zeit verbreitet sich das Video im Internet. Als sich schließlich Studenten anderer Universitäten auf Twitter und Youtube unter dem Hashtag #YoSoy132 - IchBin132 - solidarisieren, war in Mexiko eine neue Protestbewegung geboren.


Die Geschehnisse in Atenco

Der Dokumentarfilm Atenco: Breaking the Siege fasst die Ereignisse in Atenco zusammen und versucht kritische Analyse der Rolle der Mainstream-Medien (mit englischen Untertiteln)

Mai 2006. Eigentlich begann alles mit einem Verbot. Acht Blumenhändlerinnen war von der Stadtverwaltung untersagt worden, ihre Waren auf einem Markt im östlich von Mexiko Stadt gelegenen Texcoco anzubieten. Die Frauen baten die im benachbarten San Salvador Atenco ansäßige Bauernorganisation FPDT um Unterstützung. Diese hatte sich fünf Jahre zuvor erfolgreich gegen ein geplantes Flughafenprojekt zur Wehr gesetzt. Im Mai 2006 errichtete die FPDT Straßenblockaden und bewaffnete sich mit Macheten und Molotowcocktails, um Widerstand zu leisten. Es kam zu wilden Straßenkämpfen zwischen der Polizei und den Bewohnern von Atenco. Dann ein Toter. Die Situation eskaliert.

Der Governeur des Bundesstaates Mexiko schickt noch mehr Polizeieinheiten in die Stadt, um Ordnung und Frieden wiederherzustellen, wie er tags darauf im Fernsehen erklärt. Die Polizei geht brutal gegen die Menschen in Atenco vor. Die Nationale Kommission für Menschenrechte schreibt später in einem Bericht, dass sie 211 Beschwerden erhalten hat. Das Ergebnis der zwei Tage Straßenkampf sind zwei Tote, hunderte Festnahmen von Menschen, die teilweise in das Geschehen nicht involviert waren, unzählige Verletzte auf beiden Seiten und von der Polizei vergewaltigte Frauen. Der Governeur, der den Befehl zu dieser Polizeioperation gab, war Enrique Peña Nieto.


Verschränkung von Politik und Medien

Jetzt sind es die Studenten der Bewegung #YoSoy132, die Peña Nieto so kurz vor der Wahl mit den Geschehnissen von Atenco konfrontieren. Laut Umfragen liegt der PRI-Kandidat vorne, die Studenten wollen dies aber nicht glauben. Sie prangern die Verschränkung der Mainstream-Medien mit der Politik an und werfen Peña Nieto ein Naheverhältnis zu Mexikos und Lateinamerikas größtem Medienkonglomerat Televisa vor.

„90% der Informationen erreichen die Menschen über das Fernsehen. Das Fernsehen besitzt die Fähigkeit, Präsidenten zu machen und zu stürzen, es ist unser neues Evangelium", sagt ein Student der Bewegung #YoSoy132 in einer Diskussion im Internet. Wen das Fernsehen denn 2012 zum Präsidenten gemacht hätte, fragt der Moderator. „Enrique Peña Nieto", kommt es wie aus der Pistole geschossen. Auch 2006 war es das Fernsehen, das Stimmung gegen die Bewohner von Atenco gemacht und ein hartes Durchgreifen der Polizei befürwortet hat. „Aber das Fernsehen ist nicht die Wahrheit. Die Wahrheit sind wir, das Volk ist die Wahrheit", fügt der Student hinzu.

Der Protest, so vermutet man, könnte Andrés Manuel López Obrador zugute kommen, der vor allem auf die Stimmen junger Menschen zählen kann. Allerdings, so betonen die Mitglieder der Bewegung #YoSoy132, stünden sie keinem der Kandidaten nahe, es ginge ihnen nicht um die Wahl an sich. Sie fordern eine umfassendere Veränderung der zutiefst korrupten und ungerechten Situation in Mexiko.

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