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SpaceX-Start mit Astronauten: Amerikas Rückkehr ins All - WELT

Weltraum SpaceX-Start mit Astronauten

Amerikas Rückkehr ins All

Seit neun Jahren können US-Astronauten nur mithilfe von Sojus-Raketen in den Weltraum. In wenigen Tagen startet erstmals wieder eine bemannte US-Rakete zur ISS. Ausgerechnet jetzt gibt es Ärger um den Nasa-Chef der bemannten Raumfahrt.

Die USA leiden enorm unter Corona, ein Erfolgserlebnis wäre dringend nötig, um den Nationalstolz ein Stückchen geradezurücken. Eine Pioniertat müsste her, die vom Abenteuermut und von der technologischen Supermacht kündet, wie man sie aus den einst glorreichen Tagen kannte. Auch deshalb werden sich am kommenden Mittwoch alle Augen auf den US-Weltraumbahnhof Cape Canaveral in Florida richten - einem Ort, der wie gemacht ist, um derzeit von Krisen und Katastrophen abzulenken.

Von Cape Canaveral aus sollen erstmals wieder Astronauten aufbrechen ins All. Neun lange Jahre gab es das nicht, die Spaceshuttles waren ausgemustert worden und die USA bei bemannten Reisen ins All auf Mitfluggelegenheiten bei den Russen angewiesen. Es ist der US-Weltraumbehörde nie leichtgefallen, eine solche Dienstleistung in Anspruch zu nehmen und für die Passagiere zu zahlen - aber es ging nicht anders.

Denn seitdem am 21. Juli 2011 die Raumfähre „Atlantis" aus dem All zurückkehrte und sicher am Kennedy Space Center in Florida gelandet war, war das extrem teure Spaceshuttle-Programm endgültig beendet. Die „Atlantis" wurde, wie zuvor schon die Schwesterschiffe „Endeavour" und „Discovery" eingemottet. Pilot der Goodbye-Mission STS-135 war Doug Hurley. „Wir sind die Shuttles 30 Jahre lang geflogen", erinnert sich der US-Astronaut, „und jetzt besinnen wir uns wieder auf Kapseln, so wie in den Anfangszeiten der Raumfahrt."

Es ist ausgerechnet dieser Doug Hurley, heute 53 Jahre alt, der nun die neue Ära der US-Raumfahrt einleiten wird. Er erklärt, warum die Nasa dabei nicht mehr auf Shuttles setzt, sondern auf Kapseln. Sie seien einfach, bewährt und sicher, sagt er. Sie erlaubten jederzeit die Möglichkeit eines Startabbruchs, von der Abschussrampe bis hinauf ins All. Das ging mit den Raumfähren nicht. „Deswegen sind Kapseln verlässlicher", betont Hurley.

Doug Hurley wird nun der Commander der sogenannten Demo-2-Mission sein, dem bemannten ersten Einsatz eines neuen Raumschiffs - einer Kapsel. Die Bedeutung dieses Jungfernflugs könne man gar nicht überschätzen, findet Nasa-Chef Jim Bridenstine. Und er erinnert an die Programme „Mercury", „Gemini", „Apollo" und an die Spaceshuttles. Das seien die vier Male in der Geschichte gewesen, bei denen die USA Menschen in nagelneue Raumschiffe gesetzt hätten. „Und jetzt machen wir das ein fünftes Mal", frohlockt der Chef.

„Diese Mission ist wichtig für die Vereinigten Staaten von Amerika", so Bridenstine vor wenigen Tagen während einer Pressekonferenz, die quarantänebedingt nur im Internet stattfand. „Wir müssen unseren Zugang zur ,Internationalen Raumstation' (ISS) sicherstellen. Somit ist dies eigentlich sogar eine wichtige Mission für die gesamte Welt."

Mitten in die letzten Vorbereitungen platzt eine für die Nasa ungelegene Nachricht. Der Leiter des Bereichs bemannte Raumfahrt hat überraschend gekündigt. Doug Loverro verantwortete nicht bloß den jetzigen Start der Astronauten, sondern auch das „Artemis"-Programm, das Amerikaner bis 2024 wieder auf den Mond bringen soll. Am vergangenen Montag trat er zurück; es wurde erst am Donnerstag bekannt. In einer Erklärung schrieb Loverro von „einem Risiko", das er eingegangen sei. Damals habe er dies als richtig für die Mission eingeschätzt, es habe sich mittlerweile als Fehler erwiesen, dafür müsse „er alleine die Konsequenzen tragen".

Loverro war erst seit Dezember 2019 im Amt. Auf Nachfragen, ob dieser Fehler mit dem Mondprogramm „Artemis" zu tun habe, verweigerte der Manager die Antwort. Immerhin stellte er sicher, dass der Rücktritt nicht mit dem aktuellen Start in Florida zusammenhänge, es gäbe keinerlei Probleme, nichts sei „weiter von der Wahrheit entfernt". Die sonst wortreiche Nasa hat einen Ersatzmann eingesetzt und schweigt zu alledem. Der Countdown für die Demo-2-Mission muss weitergehen.

Viel steht auf dem Spiel, auch die Reputation. Die ISS ist ein Gemeinschaftsprojekt, an dem neben den USA auch Europa, Kanada, Japan und Russland beteiligt sind. Und das schafft Abhängigkeiten. Um sicherzustellen, dass alle Partner kontinuierlich Zugang zur ISS haben, müsse man auch mit den Raumschiffen des jeweils anderen starten, sagt Nasa-Chef Bridenstine. „Wir warten auf den Tag, an dem russische Kosmonauten an Bord amerikanischer Raketen und US-Astronauten mit russischen Raketen starten."

Auch der ehemalige deutsche Astronaut Thomas Reiter von der Europäischen Weltraumagentur (Esa) findet: je mehr Beförderungsmittel ins All, desto besser. Denn wenn mit der Produktion oder dem Betrieb der russischen Sojus-Kapsel etwas schiefginge, wäre die Raumstation nicht mehr einsatzfähig. „Und es gibt kein anderes System", betont Reiter, der selbst auf der russischen „Mir"-Station und auf der ISS war. „Die gesamte Partnerschaft hängt im Moment von einem einzigen Transportsystem ab."

Redundanzen sind also wichtig in der Raumfahrt. Es gab bereits den Fall, dass der Zugang zur ISS zumindest vorübergehend nicht mehr möglich war - Ende 2018 nach dem Fehlstart einer russischen Sojus-Rakete. Das soll nie wieder passieren. Und hier kommt SpaceX ins Spiel.

Seit neun Jahren fliegen „Falcon 9"-Raketen der kalifornischen Firma routinemäßig ins All. Auf ihrer Spitze tragen sie die „Dragon"-Kapseln Richtung Raumstation. An Bord: Wasser, Nahrung und neue Experimente. Das alles funktioniert so gut - was läge näher, als mit der „Dragon" auch Astronauten in den Orbit zu fliegen? Und so macht sich nun eine weiterentwickelte Version, die „Crew Dragon", für den baldigen Regelflugbetrieb startklar. Sie sieht im wesentlichen so aus wie ihr unbemanntes Gegenstück, und sie funktioniert auch so.

Aber wird dieser nächste Schritt gelingen? Ja, nervös sei sie, und ob, gibt Gwynne Shotwell zu, die Präsidentin von SpaceX. Und daran werde sich nichts ändern, bevor die beiden Astronauten nicht im All seien. Erst wenn sie die Raumstation erreicht hätten, dann werde sich wohl ein wenig Erleichterung breitmachen. Aber entspannt schlafen werde die SpaceX-Chefin erst können, wenn die beiden auch wieder sicher auf der Erde gelandet seien.

Damit wäre der gesamte Ablauf dieses Jungfernflugs beschrieben: Eine „Falcon 9"-Rakete von SpaceX soll erst mal zwei Astronauten an Bord der Mannschaftskapsel „Crew Dragon" zur ISS fliegen. Dort docken sie an, bleiben ein Vierteljahr an Bord und wassern dann mit der gleichen Kapsel wieder in der Nähe des Startplatzes Cape Canaveral vor Floridas Atlantikküste. Fertig.

Falls das nicht gelingt und gleich beim Start etwas schiefgeht, trennt sich die Mannschaftskapsel blitzschnell von der Rakete. Bei einem Startabbruch würden fünf Sekunden lang spezielle Notfalltriebwerke an der „Crew Dragon" brennen. Sie sollen die Kapsel aus dem Gefahrenbereich der Startplattform heraustragen. Nach Brennschluss öffnen sich Fallschirme. Und nach ungefähr zwei Minuten wassert die Kapsel - möglichst unversehrt vor der Küste Floridas.

Bob Behnken, der zweite Astronaut auf dem Jungfernflug der „Crew Dragon", sagt: „Amerika hat seit Jahrzehnten keine Astronauten mehr wassern lassen." Er und Commander Doug Hurley würden zwar erwarten, dass die Landung etwas sanfter ausfalle als bei den russischen Sojus-Kapseln, die schließlich hart auf dem Festland aufsetzen würden. Aber sie werde definitiv härter werden als die Landung der Spaceshuttles, die wie ein Flugzeug ausgerollt seien. „Wie es uns dann in der Kapsel, auf dem Ozean schwimmend, ergeht, davon erzähle ich Ihnen in der nächsten Pressekonferenz", scherzt Behnken, ebenfalls aus seiner Quarantäne heraus.

Zwischen Start und Wasserung liegt das Docken an der „Internationalen Raumstation". Gelingt dies, hätten die USA damit nach fast einem Jahrzehnt wieder einen eigenen Zubringer zur ISS. SpaceX hat - neben der bewährten Transportrakete „Falcon 9" - seinen unbemannten „Dragon"-Frachter weiterentwickelt zu einem bemannten Raumschiff, das wiederverwendbar sein soll.

„Nach jeder Mission werden wir die Kapsel überholen und sie auf ihren nächsten Flug vorbereiten", erklärt Benji Reed, der Direktor für bemannte Missionen bei SpaceX - einer ganz neuen Abteilung im Hause. Denn dies ist das erste Mal, dass die Firma den Schritt wagt, Menschen an Bord ihrer Raketen und Kapseln zu starten.

Der unbemannte Testflug der „Crew Dragon" im vergangenen Jahr war ein Erfolg. Dennoch will die Nasa überzeugt werden, bevor sie ihre Astronauten endgültig einem Privatanbieter überlässt. Nasa-Chef Bridenstine hat angekündigt, erst nach der Mission zu entscheiden, ob sie im Herbst mit dem regulären Crewtransport durch „Dragon"-Kapseln zur ISS beginnen werden. Vielleicht wird sie aber auch mit den Russen über mindestens einen weiteren Sitz an Bord ihrer Sojus-Kapsel verhandeln müssen.

So sehr Amerika auch die Abhängigkeit von russischen Raketen und Kapseln verhasst ist - die Nasa will nicht den Fehler machen, sich zu früh auf die privaten Weltraumneulinge im eigenen Land zu verlassen. Denn eine andere verheißungsvoll gestartete Kapsel hatte bei ihrem unbemannten Testflug im vergangenen Jahr ihr Ziel verfehlt: Der „Starliner" des Luft- und Raumfahrtkonzerns Boeing hatte die ISS erst gar nicht erreicht. Die Tür zu Mitfluggelegenheiten bei den Russen kann also nicht endgültig zugeschlagen werden.

Geht alles gut, werden künftig auch europäische Astronauten mit amerikanischen „Dragon"-Kapseln zur ISS und damit zum europäischen Raumlabor „Columbus" gelangen. Damit wird auch für Europa die Abhängigkeit von Russland enden. Beim ersten operationellen Flug der „Crew Dragon" im Herbst sollen dann statt vier wie dieses Mal nur zwei Astronauten an Bord sein. Sieben wären maximal möglich. Vorausgesetzt, bei diesem Testflug klappt alles - und zwar wirklich alles.

Co-Pilot Bob Behnken findet, es sei längst an der Zeit, dass amerikanische Raketen wieder von Florida aus amerikanische Astronauten ins All schießen. „Es ist wahrscheinlich der Traum eines jeden Testpiloten, die Gelegenheit zu bekommen, ein brandneues Raumschiff zu fliegen", schwärmt er. „Im Namen von Nasa und SpaceX kann ich es kaum erwarten, die bemannte Raumfahrt zurückzubringen an die Küste Floridas."

Dort, in Cape Canaveral an Floridas Atlantikküste, soll der Jungfernflug der „Crew Dragon" am späten Mittwochabend europäischer Zeit seinen Anfang nehmen.

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