Sie arbeiten nachts, heimlich, im Stillen, wo sie Großes erschaffen wollen. Sie streben nach Schönheit und Unabhängigkeit, und sie verwirklichen ihre Ideen auf Getreidefeldern im Süden Englands. Redbone und Calvert entwickeln und erzeugen in Benjamin Myers neuem Roman „Der perfekte Kreis" (DuMont) großflächige Kornkreise. Sie wollen anonym bleiben, obwohl ihre Kunstwerke als paranormale Phänomene gelten und Scharen von Neugierigen anlocken: Kornkreisjäger, Reporter, Ufologen, Physiker und New-Age-Jünger. Jeder sieht etwas anderes in den mysteriösen Naturbildern; für Redbone und Calvert sind sie eine überlebenswichtige Mission, die es ihnen ermöglicht, die Realität hinter sich zu lassen. Sie lieben es, gegen die Ordnung zu verstoßen und ihre eigene Ordnung ins Feld zu drücken.
Benjamin Myers porträtiert die unkonventionellen Künstler und ihre Werke mit elegant schwebenden Formulierungen. Redbone, ein gescheiterter Punkmusiker, lebt in einem heruntergekommenen VW-Bus. Calvert, ein traumatisierter Soldat, haust in einem gedrungenem Steinkasten. Die beiden Männer verbindet eine ungewöhnliche Freundschaft. In nahezu perfekter Symbiose erfüllen sie auf den Feldern ihre Aufgaben, meist wortlos, nach einem vorher festgelegten Plan. Wenn Myers seine rauen Ästheten bei ihren Einsätzen begleitet, sind alle Sinne geschärft - jene von Redbone und Calvert, und jene der Leser*innen. Denn Myers hört den Wind in den Ähren rauschen, sieht, wie sich der Nachthimmel verändert, beobachtet, wie Hasen durchs Getreide huschen und Vögel davonflattern. Dies ist auch ein Roman über den tiefen Respekt vor der Natur, der Stille, der Einzigartigkeit. Redbone und Calvert haben sich von Konsum, Karriere und Status losgesagt und streben nur noch nach einem: Dem perfektem Kreis, ihrem Opus Magnum.
Die Felder sind für Redbone und Calvert eine Leinwand. Für Benjamin Myers erfüllt seine 1989 angesiedelte Geschichte einen ähnlichen Zweck: Er malt ruhige Sätze aufs Papier, brilliert als Schöngeist, dem die Form mindestens so wichtig ist wie der Inhalt. Seine Literatur führt weit hinaus, nicht nur auf die Felder, sondern in einen größeren, spirituelleren Kosmos. Dorthin, wo die Kornkreiskünstler Reinheit und Vollkommenheit finden, zumindest für eine Nacht. Denn ihre Werke sind vergänglich wie das Leben, dem Redbone und Calvert zu entfliehen versuchen. (Übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann)
Ich habe den Roman in meiner Literatursendung auf egoFM am 25. September vorgestellt. Zur Show hier.