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Ein rostiger Nagel

Zusammen mit meiner Freundin machte ich viele Handarbeiten. Oft saßen wir nachmittags zusammen, meist bei ihr, denn ihre Eltern gingen arbeiten und wir hatten das Haus für uns.

Sie wohnten in einem kleinen Haus. Vor dem Haus war ein Brunnen, aus dem wir oft Wasser holten. Es war glasklar und frisch. Daneben stand ein altes Backhaus, das fast zusammenfiel. Wir kletterten oft dort herum. Irgendwie zog es uns an. Wir stiegen meist durch ein Fenster hinein. Es zog uns magisch an. Zwischen alten Spinnweben und Balken malten wir uns aus, wie hier früher Brot gebacken wurde. Wir stellten es uns romantisch vor, wenn hier Bäuerinnen ihre Brotlaibe zum Backen brachten und später wieder abholten. Meist wurde für eine ganze Woche gebacken. Der Brotteig wurde in runden Körben transportiert, die mit einem Tuch zugedeckt waren. Als ich noch Kinderschuhe trug, haben wir selber Brot gebacken, aber schon in einer anderen Bäckerei. Hier konnte man auch Brot kaufen. Ein Brotlaib kostete 80 Pfennige, und ich kaufte dort gerne ein. Für die restlichen 20 Groschen durfte ich mir Süßigkeiten mitnehmen. Als das Brot teurer wurde und der Bäcker eine Mark dafür verlangte, musste ich zigmal ums Kleingeld für die Süßigkeiten betteln.

In der Backstube gab es einen großen Ofen. Es machte mir Spaß, dem Bäcker zuzuschauen, wenn er mit einer langen Schaufel das Brot herausholte oder hineinschob. Ich hatte ein langes Haar am Kinn, das wollte er mir oft ausrupfen, aber er schaffte es nicht.

Eine Zeitlang war ich schachmatt gesetzt. Ich konnte nicht gehen und musste das Bett hüten. Als wir unser Haus umbauten, bin ich oft auf den alten Brettern, die hinterm Haus lagen, herumgeturnt. Ich sollte es nicht tun, tat es aber trotzdem. Plötzlich blieb ich an einem langen rostigen Nagel hängen und kam nicht mehr weg. Ich schrie, bis mich jemand holte. Ich musste zwei Wochen im Bett bleiben, und es gab täglich Ärger. Der Arzt, der die Wunde versorgte, musste immer die Leiter bis zu meinem Zimmer nehmen. Wir hatten in dieser Zeit keine Treppe im Haus, wegen den Umbauarbeiten. Ausgerechnet in dieser Zeit musste das mit dem Fuß passieren.

 

Ich habe mich beklagt. Wenn die Nachbarn krank waren, wurden diese verwöhnt. Auf dem Nachttisch standen Kekse, Trauben und Apfelsinen, die ich oft sehnsüchtig anschaute, wenn ich einen Krankenbesuch machte. Ich wurde auf Sparkurs gesetzt, und mit dem kaputten Bein, auf dem ich lange nicht stehen konnte, kam ich nicht weit. Meist hatte ich zwei Handtücher darum gewickelt, die beim Laufen verrutschten. Ich war froh, als ich wieder gehen konnte.

Eine Schneiderin erteilte uns das Fach Handarbeit in der Schule und wir machten viele Sachen zum Anziehen für uns. Mein Vater war gut in Handarbeit und er hat mir oft die Sachen fertiggemacht. So z.B. ein Nadelkissen, das wir sticken mussten. Ich war meist froh, wenn er es fertigstellte. Ich war nicht ausdauernd genug. Abends waren bei uns oft noch Leute im Geschäft, und wir saßen dort und er machte Handarbeiten für mich fertig. Er war sehr geschickt mit den Händen und hatte mehr Geduld und mehr Ausdauer als ich. Abends spielte sich das Leben meist im Geschäft ab. Im Winter waren wir viel in der Küche und machten Spiele, etwa Schach oder Mensch ärgere dich nicht. Ich liebte die langen Winterabende.

Vor Weihnachten hatten wir im Geschäft viel zu tun. Ich half mit und verdiente mir ein Taschengeld dazu. Haare zusammenkehren, Wickler herausmachen und die Haarwaschbecken saubermachen, waren meine Hauptbeschäftigungen. Bei Dauerwellen musste ich oft die Wickler strecken, damit es schneller ging. Meist bekam ich eine oder zwei Mark zusammen. Das Trinkgeld der Eltern bekam ich meistens auch. Von den Eltern erhielt ich als Dankeschön eine Halskette oder Ohrringe oder einen Fingerring, fast nie Geld. Für das Geschäft bekam ich immer eine Schürze mit Säcken rechts und links. Dort musste ich immer hergerichtet sein. Etwas Anderes wurde nicht geduldet. Abends schnitt ich meinem jüngeren Bruder oft die Haare oder übte mich in Dauerwellen. Hatte ich die Haare nicht richtig geschnitten, nahm ich einen Augenbrauenstift und korrigierte nach. Die Farbe hielt meist so lange, bis die Haare wieder nachgewachsen waren. Er beklagte sich selten, zumal ich im Haare korrigieren sehr geschickt war. Lange Zeit wollte ich Frisöse werden und das Geschäft einmal übernehmen, aber irgendwann hatte ich es satt. Ein Leben auf dem Dorf gefiel mir plötzlich nicht mehr.  

Meine Freundin half manchmal mit, oft am Samstagnachmittag beim Putzen. Sie konnte ein Taschengeld brauchen. Hatte sie keine Zeit oder etwas Anderes vor, machte das nichts aus. Später gingen wir oft zusammen tanzen, und wir kannten bald alle Jungs in der Umgebung. Meist fuhr uns mein Vater zu den Veranstaltungen und holte uns dann wieder ab. Manchmal gingen meine Eltern während dieser Zeit Bekannte besuchen oder eben zu einer Veranstaltung. Als ich endlich den Führerschein hatte, bekam ich das Auto, und wir hatten mehr Freiraum. Dann musste ich den jüngeren Bruder mitnehmen. Das Passte mir manchmal nicht so gut. Er war so eine Art Anstandsdame. Eine Zeitlang zogen wir uns beide gleich an und man konnte uns nicht voneinander unterscheiden. Die Leute sahen mich oft irgendwo, wo ich überhaupt nicht war. In der Stadt sprachen mich oft Frauen und Mädchen an. Ich wusste nicht, wie mir geschah. Sie hielten mich für meinen Bruder. Sein Bekanntenkreis war damals ziemlich groß. Die Männer ließen mich meist n Ruhe. In diesen Reihen hatte er weniger Bekannte.

In: Geschichten aus meiner Kindheit, Fouqué Verlag, Frankfurt/Main, 1998.