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Mit der Schiefertafel in die Schule

Wir sollten um zehn Uhr dort sein. In dem Zimmer saßen ein Mann und eine Frau, die darüber entschieden, ob ich in die Schule komme oder nicht.


Der Lehrer und die Lehrerin fragten mich aus, aber ich gab nur bedingt eine Antwort. Die Lehrerin hatte lange rote Fingernägel. Sie gefiel mir nicht und ich gab ihr keine Antwort. Ab und zu stupste mich mein Vater an oder gab mir mit dem Ellbogen einen leichten Stoß in die Rippen.  Ich gab trotzdem keine Antwort. Der Lehrer, ich glaube, es war der Schulleiter, war nett. Mit ihm konnte man sich unterhalten. Das ist bis zum Ende der Schulzeit so geblieben. Ich bestand die Prüfung wider Erwarten und wurde in die Schule aufgenommen.

„Warum hast du mit der Lehrerin nicht gesprochen?“ wollte mein Vater auf dem Nachhauseweg wissen. „Sie gefällt mir nicht. Sie trägt zu viel Schmuck an den Händen und hat lange rote Fingernägel.“


Zum Schulanfang bekam ich eine große Tüte mit Süßigkeiten. Die Tüte war fast größer als ich. Das war bei uns so üblich. Der erste Schultag begann mit einem Gottesdienst in der Kirche. Anschließend gingen wir in die Schule, die direkt nebenan war, und wir bekamen Sitzplätze und Bänke zugewiesen samt Schulbüchern. Die ersten beiden Jahre musste ich ausgerechnet bei der blöden Lehrerin verbringen. Das gefiel mir nicht, aber es ließ sich nicht ändern.


Ich hatte einen roten Schulranzen aus Leder und neue Kleider erhalten. Bisher musste ich alle Sachen von meinen Brüdern auftragen, was mich oft ärgerte. Für die Schule bekam ich neue Kleider. Sie wurden von einer Schneiderin im Ort hergestellt. Meine Mutter kaufte Stoff und die Frau nähte mir Kleider und für den Sommer Kleiderschürzen, zu denen man eine Bluse trug.


In der Schule war ich nicht besonders gut. Ich lernte das Abc auf der Schiefertafel schreiben, die wir in den ersten beiden Jahren hatten. Später schrieben wir ins Heft, zuerst mit einer Feder und einem Tintenfass und dann mit einem Füller. Ich erhielt einen, auf dem mein Name eingraviert war.


Ich kaufte ihn zusammen mit meinem Vater in der Stadt. Der Füller war lange Zeit mein ganzer Stolz. Das Schreiben mit einer Feder war nicht so einfach, aber wir lernten es im Laufe der Zeit. Bevor man zum ersten Mal mit einer Feder schreibt, bzw. diese ins Tintenfass taucht, muss man die Feder mit der Zunge ablecken. Dann nicht mehr. Eine aus der Klasse hat dies fast nicht kapiert.


Als wir das Schreiben mit der Feder lernten, saß sie nach ungefähr einer Stunde mit einem tintenverschmierten Gesicht da. „Was machst du da?“ fragte die Lehrerin erstaunt. Das Mädchen hatte jedes Mal die Feder mit dem Mund abgeleckt, bevor sie wieder Tinte brauchte. Wir lachten alle und sie war fast am Heulen und hat uns unser Lachen lange nicht verziehen. Sie hatte die Lehrerin wohl nicht richtig verstanden und in ihrem Übereifer machte sie alles falsch. Sie wusch sich das Gesicht und ging erneut an die Arbeit, nachdem die Lehrerin noch einmal erklärte hatte, man müsse eine neue Feder nur vor dem ersten Gebrauch mit der Zunge ablecken, und dann nicht mehr.


Am liebsten ärgerten wir den Religionslehrer. Oft war der Unterricht frühzeitig zu Ende, wenn wir auf die Uhr am Kirchturm schauten. Meist hatten wir in der letzten Stunde Religionsunterricht. Der Raum lag zur Kirche hin und wir hatten die Turmuhr im Blickfeld. Die Stunden vergingen oft nur langsam. Er las uns eine Geschichte oder einen Text vor oder erklärte uns ein religiöses Thema.


Er war ein älterer Herr, aber mit Kindern kam er nicht besonders gut klar, obwohl er sehr gutmütig war. Er ließ sich leicht ärgern. Ich machte aus Zetteln kleine Bälle und warf sie durch die Gegend oder in die Luft und sie fielen herunter.


„Was war das?“ „Manna, das vom Himmel fällt.“


Meist knallte er die Bücher zu und ging. Dann kam eine Zeitlang eine Schwester, die mit uns Kirchenlieder für den Schulgottesdienst übte und dann wieder der Stadtpfarrer. Obwohl unser Ort klein war und weniger als tausend Einwohner zählte, hatte wir seit langen Jahren das Stadtrecht und waren eine Stadt mit Marktrecht.


Die Klassenlehrerin konnten wir nicht ärgern. Sie ließ sich nicht ärgern. Besonders gut war ich nicht. Aber das Klassenziel habe ich immer erreicht.


Nach zwei Jahren bekamen wir einen jungen Lehrer. Er war bei uns sehr beliebt. Wir machten viel in Kunst und lernten Melodica spielen. Die Schule gefiel mir. Wir trieben viel Sport. Er war jung und engagiert. Oft ging er mit uns nachmittags wandern und im Winter Schlittenfahren oder Schifahren. Er wohnte im Lehrerhaus und wenn er krank war, durften wir ihn besuchen. Er freundete sich mit meinem Bruder an und kam öfters zu uns. Bald erteilte er mir Klavierunterricht, aber mein Eifer heilt sich in Grenzen.


Einmal bekam ich in der Schule Bauchschmerzen. In der Pause schickte mich der Lehrer nach Hause. Ich hatte einfach nur Hunger. Als ich zwei Brezeln gegessen hatte, ging es mir besser. Meine Mutter meinte, ich solle eine Woche zu Hause bleiben. Der Arzt verschrieb mir ein Mittel, damit ich Hunger bekomme. Ich habe morgens nie gefrühstückt. Ich sollte es vor den Mahlzeiten zu mir nehmen. Aber es half nichts. Bis heute gibt es bei mir zum Frühstück nur zwei Tassen Kaffee.


Die Hälfte der Klasse ging nach der 3. oder 4. Schuljahr aufs Gymnasium. Ich blieb an der Volksschule und wurde erst in der Oberstufe gut. Von da an saß ich mit meiner Freundin in der ersten Reihe. Wenn wir zu viel redeten, musste ich mich zwei Bänke weiter nach hinter setzen. Der Oberlehrer hielt für mich immer eine Bank frei. Dahinter saßen die Jungs, aber mit denen konnte man auch reden. Manchmal mal setzte sich einer nach vorne und wir konnten uns die Zeit vertreiben. Die Mädchen saßen vorne, die Jungs dahinter. In dieser Zeit wurde ich in der Schule ziemlich gut und der Schulleiter meinte oft, ich solle mittlere Reife und Abitur machen, was sich aber nicht so einfach realisieren ließ. Meine Eltern hielten nichts davon. Der Lehrer ließ sich bei uns die Haare schneiden. So oft er kam, unternahm er einen Anlauf, meinen Vater davon zu überzeugen, er sollte mich auf eine andere Schule schicken. Es dauerte lange, bis meine Eltern nachgaben. Ich sollte eine Friseurlehre machen und das Geschäft übernehmen. Von klein an habe ich im Friseurgeschäft mitgeholfen und war mit allem vertraut. Ein Lebtag lang in diesem Ort, das war mir ein bisschen zu eng. Ich hatte den Eindruck, ich würde hier keine Luft bekommen. Ich lernte Schreibmaschine, Englisch und Mathematik, was mir später von Nutzen war, als ich auf dem Internat Abitur machte.


Es war Sommer und sehr heiß. Das Thermometer in unserem Klassenzimmer zeigte mehr als 30 Grad. Wir machten den Lehrer darauf aufmerksam und baten ihn, er solle uns doch hitzefrei geben, aber er wollte nicht. In der großen Pause mobilisierten wir die ganzen Schüler an der Schule und forderten lautstark „hitzefrei“. Die Lehrer berieten sich mindestens eine Stunde lang. Wir waren gespannt, als der Schulleiter die Klasse wieder betrat. Er meinte, die Abschluss Klasse hätte für den Rest des Schuljahres hitzefrei. Wir könnten gehen. Er war stinksauer. Es war ein komischer Abgang von der Schule. Ich konnte damit nichts anfangen und verbrachte zwei Wochen im Schwimmbad, ehe die Schulferien begannen und der große Andrang auf das Schwimmbad.


Die Eltern der Mitschüler meinten zuerst, wir sollten uns bei den Lehrern entschuldigen. Obwohl wir recht hatten, gingen ein paar hin. Der Schulleiter meinte aber, das mit dem hitzefrei mache er nicht rückgängig.


Die Abschluss Feier fand in den großen Ferien statt. Es war ein Sonntagnachmittag und wir gingen in die örtliche Turnhalle. Es gab nur eine kleine Feier und wir erhielten die Abschlusszeugnisse. Eigentlich konnte ich mit meinem Zeugnis zufrieden sein. Bald darauf machte ich die Aufnahmeprüfung für ein Internat, in dem ich Abitur machen konnte. Sie dauerte einige Tage und ich ging im Herbst auf ein Aufbaugymnasium, das im Oberland lag.


In: Geschichten aus meiner Kindheit, Fouqué-Verlag, Frankfurt/Main, 1998.