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Likes und Wählerstimmen: Politik trifft Influencer

Louisa Dellert tanzt singend durch ihr Wohnzimmer, schwärmt von ihrem neuen Mantel oder isst eine Banane, während sie zeigt, wie sie sich morgens über das politische Weltgeschehen informiert. Das präsentiert sie auf ihrem Instagramkanal.

Dellert ist Influencerin, über 400.000 Menschen folgen ihr auf Instagram. Früher bewarb sie Sportprodukte und teilte ihre Fitnessroutine. Dann entdeckte sie vor ein paar Jahren das Thema Umweltschutz für sich und gründete einen nachhaltigen Onlineshop. Ihr Onlineauftritt veränderte sich.


Dellert: Meine Aufgabe, Fragen öffentlich zu stellen

Jetzt ist sie 30 Jahre alt, hat sich weiterentwickelt - ihre Community ebenfalls. Ihre Themen sind nun "Nachhaltigkeit und Politik". Immer wieder wird sie von Politikern zu Hintergrundgesprächen eingeladen. Die Abgeordneten hätten Interesse an diesem Austausch, an ihrer Community und deren Meinung, erklärt sie.


Die Community - das sind viele junge Menschen, die sonst teilweise nicht von der Politik erreicht werden. "Ich habe gemerkt, dass viele aus meiner Community auch viele Dinge nicht verstehen, aber Angst haben, Fragen zu stellen", meint Dellert. "Weil sie das Gefühl haben, man stempelt sie dann irgendwie als dumm oder naiv ab. Deswegen finde ich ist das meine Aufgabe, die Fragen öffentlich zu stellen, sodass andere von den Antworten dann auch profitieren und vielleicht dadurch dann Politik besser verstehen."


FDP-Chef Lindner lud Dellert zu Gespräch ein

Knapp zwei Jahre ist es her: Dellert merkte damals, dass sie selbst politische Prozesse besser verstehen wollte. Sie kommentierte unter einem Instagrampost von FDP-Chef Christian Lindner - der sie daraufhin zu einem Gespräch einlud.

In den sozialen Medien gab es ein gewisses Echo, mit Videos und gemeinsamen Fotos, beide lächelten in die Kamera. Ein Politiker, der sich mit einer Influencerin trifft, das kommt bei der Community gut an.


Dellert ist nicht die einzige und auch nicht die erste Influencerin, die an einem solchen Treffen teilnimmt. 2015 und 2017 lässt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel von mehreren bekannten YouTubern, darunter LeFloid, interviewen.


Bär: Influencer-Einfluss wurde lange unterschätzt

Für Dorothee Bär, Staatsministerin für Digitales, keine Überraschung. Die CSU-Politikerin steht regelmäßig im Austausch mit Influencerinnen und Influencern, lädt sie zum "Runden Tisch" ein, interessiert sich für ihre Welt. Sie selbst ist ebenfalls aktiv in den sozialen Medien, teilt auch mal ein Foto von Dackel Eddy oder fiebert beim Fußball mit. Das wiederum kommt bei den Influencern gut an, es gibt ein Like, man kennt sich.


Sie fände es beeindruckend, dass bestimmte Themen ganz ohne klassische Medien oder Anzeigenkampagnen Aufmerksamkeit bekämen, sagt Bär: "Dass man tatsächlich als Einzelperson mit einem einzigen internetfähigen Gerät die Welt verändern kann."

Sie sei schon immer der Meinung gewesen, dass man das nicht unterschätzen solle, aber es habe aber lange gedauert, bis sich das in der Bevölkerung beziehungsweise auch bei ihren Kolleginnen und Kollegen durchgesetzt habe. Viele, auch in ihrer eigenen Partei, haben es tatsächlich lange nicht verstanden und das Treiben der Influencer im Netz ignoriert.


Rezo-Video traf einen Nerv

Kurz vor der Europawahl im Mai 2019 veröffentlichte der bekannte YouTuber Rezo das Video "Die Zerstörung der CDU". Rezo analysiert darin eine knappe Stunde lang die vermeintlichen Fehler hauptsächlich von CDU und CSU, teilweise auch der SPD, und ruft dazu auf, die Unionsparteien nicht zu wählen. Das Video trifft die Partei unvorbereitet, lange ist sie nicht sicher, ob und wie sie darauf reagieren soll.


Auch wenn der Rezo-Effekt auf die Europawahl umstritten ist, das Video hat einen Nerv getroffen. Das weiß auch Digitalministerin Dorothee Bär. Ihrer Meinung nach wurde damals zu langsam und auch nicht ausreichend reagiert. Es habe aber auch dem ein oder anderen Kritiker ihrer Aktivitäten im Netz die Augen geöffnet, dass eben nicht nur wichtig sei, was am Ende in der Tagesschau läuft.


Politikberater Fuchs: Veränderungen festgestellt

Der Blogger und Politikberater Martin Fuchs dürfte vom Rezo-Video profitiert haben. Er habe daraufhin sehr viele Anrufe aus der Politik bekommen. Fuchs beobachtet beispielsweise, dass die Politiker Influencer viel stärker auf dem Radar haben:

"InfluencerInnen sind viel häufiger auf Panels eingeladen. Man bemüht sich, InfluencerInnen zu Gesprächen einzuladen, auf Parteitage, sie stärker an Parteien und die Kommunikation zu binden. Also ich habe da schon merklich einige Veränderungen festgestellt." Martin Fuchs, Politikberater

Politik kann von Influencern profitieren

Fuchs ist davon überzeugt, dass Politiker, die sich auf Influencer einlassen, ein Grundinteresse an Politik wecken können und sich Vertrauen, das Influencer genießen, auch auf politische Akteure übertragen kann.


Er sieht sogar Dinge, die Politiker von Influencern lernen können: etwa eine eigene Community aufzubauen und mit dieser in Dialog zu treten. Einige Politiker haben das schnell begriffen, teilweise auch schon vor dem Rezo-Video.


Vor ein paar Jahren wäre Dellert wohl kaum einer Politikerin oder einem Politiker ein Begriff gewesen, inzwischen kann man auf Instagram gemeinsame Bilder mit Anton Hofreiter, Cem Özdemir, Katharina Barley oder Sahra Wagenknecht finden. Sie wird zu Parteitagen eingeladen, Politiker sind zu Gast in ihrem Podcast, mit Bundesumweltministerin Svenja Schulze spricht sie auf Instagram live über Plastik.


Influencer als Brücke zwischen Jugend und Politik

Auch die nächste Bundestagswahl wird Dellert auf ihrem Kanal begleiten. Ihr sei bewusst, dass sie eine große Reichweite habe und eine Zielgruppe anspreche, die für alle Parteien wichtig sei. Deshalb versuche sie möglichst neutral zu bleiben: "Generell auch bei der Wahl würde ich niemals eine öffentliche Aufforderung machen: Wählt Partei X oder Y, das mache ich nicht. Ich probiere da schon alle Parteien vorzustellen. Dass sich jede und jeder dann ein eigenes Bild davon machen kann, weil ich irgendwie nur so als Brücke zur Politik hin dienen möchte."

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