FOCUS Magazin | Nr. 51 (2014)
Der RB Leipzig ist das umstrittenste Projekt der deutschen Fußballgeschichte. Die Gegner glauben, dass die Red-Bull-Millionen den Wettbewerb zerstören. Die Befürworter jubeln, dass es endlich guten Fußball im Osten gibt. Wer hat Recht?
Leidenschaft und Tradition - ihr seid kein Teil davon", steht zur Begrüßung auf den Transparenten. Egal, ob der „Rasenballsportverein" Leipzig beim SV Darmstadt, der Düsseldorfer Fortuna oder beim TSV 1860 München antritt, die herben Sprüche in den Fankurven der Gastgeber gehören inzwischen zur üblichen Empfangsfolklore.
Der sächsische Zweitligist ist das wohl umstrittenste Vereins-projekt der deutschen Fußballgeschichte. Gesponsert mit aberwitzigen Millionen des österreichischen Brauseherstellers Red Bull, gilt der Rasenballsportverein Leipzig bei seinen Gegnern als Retortenclub. Der RB sei von einer gewieften PR-Abteilung einzig mit dem Ziel geschaffen, mehr Brause zu verkaufen, lautet die Kritik. Kurzum: Er sei so künstlich wie der Energy-Drink selbst. Zu den Zutaten der Diskussion zählt aber auch eine Portion Scheinheiligkeit. Welcher Club würde schon die Millionen eines Weltkonzerns ausschlagen?
Red Bull investiert seit fünf Jahren in die Leipziger. Derweil marschierte das Team von der Oberliga Nordost bis in die Spitzengruppe der zweithöchsten Spielklasse. Nüchtern gesehen, ist der Getränkeriese ein Segen für den Fußballbetrieb des Ostens, dem 2009 mit dem Abstieg von Energie Cottbus aus der ersten Bundesliga das Aushängeschild abhandenkam. Bereits in ihrer ersten Zweitliga-Saison gehören die Leipziger erneut zu den Aufstiegskandidaten. „Die Bundesliga, so schnell wie möglich, das ist das ultimative Ziel", erklärt Gérard Houllier, 67, Global Sports Director von Red Bull. „Leipzig könnte ein Verein wie Dortmund oder Schalke werden."
Neben den RB-Geldern hilft den Leipzigern beim Marsch durch die Ligen, dass sie Teil eines weltweiten Netzwerks sind: Red Bull unterhält Teams in Salzburg, New York und Campinas/São Paulo (siehe Grafik S. 146) und verschiebt seine Kicker dorthin, wo sie am nötigsten gebraucht werden - und das ist momentan Sachsen. „Ich konnte dem Team direkt helfen", erklärt dazu Salzburg-Export und Verteidiger Georg Teigl, „weil ich den aggressiven Red-Bull-Fußball schon kannte." Die Spielphilosophie der RB-Teams ist international.
Von den Branchenhütern wird das Modell mit all seinen Wettbewerbsvorteilen nicht beanstandet, schließlich bringt es der Liga eine Menge Geld und Aufmerksamkeit. „Wer sportlich aufsteigt und die Lizenzierungsordnung des Ligaverbands erfüllt, hat das Recht, in der Bundesliga zu spielen", konstatiert Reinhard Rauball, Präsident der Deutschen Fußball Liga (DFL). „Wollen Sie einem Club aus moralischer Entrüstung die Lizenz verweigern?"
Die Roten Bullen aus Leipzig springen indes immer nur genau so hoch, wie die Latte liegt. Verbietet der DFB „Red Bull" als Vereinsnamen, erfinden die Salzburger den „Rasenballsportverein", kurz: RB. Beanstandet die DFL das Vereinswappen als zu leicht verwechselbar mit dem Konzern-Logo, ändern sie nur kleine Details. Die 50+1-Regel der DFL, nach der eine heute im Profisport übliche Fußball-GmbH mehrheitlich von ihrem „Mutterverein" kontrolliert werden muss, umging die Clubführung, indem sie einfach jahrelang keine GmbH gründete. Als die DFL die 50+1-Regel zuletzt auf eingetragene Vereine ausweitete, überführte der Club die Profis dann doch eilig in die neue Rechtsform.
Ziel des Konzerns ist dabei, stets die Macht über den Verein zu behalten. Zumal mit Protesten der Fans kaum zu rechnen ist. „Eine Mitbestimmung brauche ich nicht", erklärt beispielsweise Christian Krug, Vorsitzender der Fan-Vereinigung Bulls Club und RB-Fördermitglied. „Ich bin ja froh, dass hier nach 20 Jahren endlich Fachleute am Werk sind." Auf die RB-Mitgliederversammlung war Krug zwar geladen. Abstimmen durften aber nur die 14 vollwertigen Mitglieder, allesamt mit engen Verbindungen zu Red Bull.
Die Alleinherrschaft des Konzerns und seines Besitzers Dietrich Mateschitz, 70, könnte auch über ein sogenanntes Financial Fairplay beschränkt werden. Glaubt jedenfalls FC-Bayern-Vorstand Karl-Heinz Rummenigge. Tatsächlich wollte die Uefa eine solche Begrenzung externer Investitionen auf 15 Millionen Euro pro Jahr ab 2015 einführen. „Das ist in Deutschland nicht möglich", kontert Liga-Geschäftsführer Christian Seifert. „Die nötigen Informationen liegen uns gar nicht vor, um etwa zu überprüfen, ob ein RB Leipzig, ob ein Volkswagen, ob ein Bayer seine Investitionen in diesem Rahmen tätigt."
Glaubt man allerdings dem Sportökonomen Christoph Breuer, wären die fehlenden „nötigen Informationen“ leicht zu beschaffen. „Doch viele Clubs haben kein Interesse daran, die heile Welt ihrer eingetragenen Vereine transparenter zu machen“, konstatiert der Professor der Kölner Sporthochschule. Denn auch viele sogenannte Traditionsvereine könnten ohne potente Geldgeber nicht mehr.
Der TSV 1860 München und seine RB-kritischen Fans wurden bereits mehrfach vom jordanischen Investor Hasan Ismaik vor dem finanziellen Kollaps gerettet. Die Berliner Hertha erklärte zwar auf Druck ihrer Anhänger, nie wieder ein Testspiel gegen das anrüchige RB-Team aus Leipzig zu absolvieren - nahm aber etwas später das Geld des amerikanischen Investors Kohlberg Kravis Roberts & Co. Und ausgerechnet Dietmar Hopp, der Gründer des Software-Konzerns SAP und Mäzen der TSG Hoffenheim, klagt öffentlich: „Red Bull sieht den Fußball als reines Marketinginstrument an.“ Wahrhaftiger klingen andere Aussagen.
„Das Geld, das bei RB Leipzig investiert wird, würden wir hier in Paderborn auch sofort nehmen“, gesteht stellvertretend für die Branche André Breitenreiter, Trainer von Erstliga-Aufsteiger Paderborn. Er lobt: In Leipzig würde „toll gearbeitet. Auch in der Jugend.“ Ein RB-Fan meint pragmatisch: „Ob der Verein Red Bull heißt oder Nutella, ist mir total egal. Endlich gibt es guten Fußball hier. Und vor allem: friedlichen Fußball.“
Viele Jahre war die 500.000-Einwohner-Stadt, in der sich im Jahr 1900 der Deutsche Fußball Bund gründete, Schauplatz der Krawallmacher. „Ich war mal bei einem Lokalderby. Da hat die ganze Bude gebrannt, und ich bin rückwärts wieder raus“, erinnert sich Stadionsprecher Tim Thoelke, der heute den RB-Fans im Red-Bullroten Sakko in der Red Bull Arena einheizt. Für die WM 2006 wurde der moderne Fußballtempel mitten in das altehrwürdige Leipziger Zentralstadion gepflanzt. „Wir bauen hier jeden Tag unsere eigene Tradition, unsere eigene Fußballgeschichte“, sagt Thoelke. Der neue Geist ist nicht mehr geprägt von Currywurst und Bier, sondern von der Zuckersüße der schicken Brause.
Als ein Stürmer aus Kaiserslautern in der Red Bull Arena einen Leipziger Fan mit einem Vollspann-Querschläger mitten im Gesicht trifft und dieser benommen taumelt, bleiben fliegende Pappbecher und wütende Parolen gen Spielfeld aus. Stattdessen ruft ein Zuschauer dem Übeltäter zu: „Entschuldige dich halt wenigstens!“ Die Leipziger sind ein freundliches Publikum, das in die Hände klatscht, wenn das Maskottchen dazu animiert.
„Der einzige Unterschied zwischen dem FC Barcelona, Bayern München und RB Leipzig ist in 500 Jahren der, dass diese Clubs 600 Jahre alt sind und wir 500“, sagt RB-Besitzer Mateschitz. Um zu den Großen der Branche aufzuschließen, bedarf es einer Menge Geld. 100 Millionen Euro sollen es bislang sein. Genaue Zahlen nennt der Club nicht. „Die Summe scheint aber realistisch“, glaubt Sportökonom Breuer. „Für die erste Liga bräuchten sie aber noch einmal so viel.“ Weitere 30 Millionen Euro kostet das neue Trainingszentrum in Leipzig. Bereits in Betrieb ist die hochmoderne Diagnostik in Thalgau bei Salzburg, welche die Leipziger gemeinsam mit anderen Red-Bull-Vereinen nutzen.
„Ich bin von Anfang an dabei gewesen, als wir noch in Markranstädt in Containern hockten“, sagt Bräutigam. „Und ich sage Ihnen: Was Dietrich Mateschitz anfängt, das bringt er auch zu Ende.“ Was nicht weniger ist, als eher heute denn morgen in den europäischen Wettbewerben mitzuspielen. Den selbstironischen Fan-Gesang schmettern die Leipziger Anhänger bereits: „Red Bull mit Cola, Red Bull mit Wodka, Red Bull für uns und ganz Europa.
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