Das neue Textil-Zentrum in Afrika zu werden, ist das Ziel von Äthiopien. Um sich gegen die Konkurrenz aus Asien zu wehren, senken die Fabrikbetreiber die Löhne bis ans Limit. Oder sogar noch weiter.
In Bangladesch bekommen Näherinnen vier Mal so viel Geld für ihren Job an der Nähmaschine wie in Äthopien. In China bekommen sie sogar das Zwölffache. In Äthiopien sind es oft nicht einmal 20 Cent pro Stunde.
Laut einer Untersuchung der Universität New York wird nirgendwo auf der Welt weniger gezahlt. Genau aus diesem Grund lassen so viele Textilhersteller ihre Kleidung in Äthiopien nähen.
Deutschlandfunk-Nova-Reporter Frederik Fleig hat in Äthiopien Zala kennengelernt. Sie steht ab fünf Uhr morgens an der Nähmaschine im Hawassa Industrial Park. Seit einem halben Jahr macht sie das. Genau wie 23.000 andere Menschen, deren Einstiegsgehalt umgerechnet 1,16 Euro pro Tag ist. Zala sagt: "Es ist auf keinen Fall genug, was wir bekommen, weil es in keinem Verhältnis zur Arbeit steht, die wir machen. Ich stehe acht Stunden lang an einer Stelle und nähe. 600 T-Shirts schaffe ich pro Tag."
Viele der Arbeiterinnen kündigen nach kurzer Zeit, andere streiken - wegen der schlechten Bezahlung, aber auch wegen der Arbeitsbedingungen, denn für Pausen ist nicht viel Zeit. "Wenn wir mit den Shirts nicht fertig werden, werden unsere Vorgesetzten wütend und schreien uns an", sagt Zala.
H&M, Calvin Klein, Tommy Hilfiger, Levis, Lee, Wrangler aber auch Aldi, Lidl, Kik und Tschibo lassen mittlerweile einige ihrer Kleidungsstücke von Näherinnen wie Zala in Äthiopien herstellen.
Temesgen Tilahun, Chef der Ethiopian Investment Commission und damit verantwortlich für die Industrie Parks im Land, sagt: "Die Textilindustrie ist ein schnelllebiges Geschäft. Sie begann in Europa, wanderte dann nach Asien, aber jetzt kommt ein ganz neuer Standort dazu: Afrika. Und gerade auf Äthiopien richten sich die Blicke der Investoren." Bis 2025 sollen überall verteilt im Land mehr als 30 Industrie-Parks in Betrieb sein und vielen Menschen Arbeit bieten.
Masho Berihu, Leiter des Dachverbandes der äthiopischen Gewerkschaften, ist zwiegespalten was den Textil-Boom angeht. Neue Jobs sind gut, meint er. Doch die Arbeitsbedingungen seien nicht akzeptabel, und der Lohn viel zu niedrig.
"Es ist einfach nicht genug. Bei Frauen reicht das Geld nicht mal für Binden oder Tampons."In Äthiopien herrscht eine extrem hohe Arbeitslosigkeit. Neue Jobs werden dringend benötigt. Bis zu 350.000 plant die Regierung allein mit der Textil-Branche, vor allem für Frauen. Auch ein Ausbau der Infrastruktur im Land ist ein positiver Nebeneffekt des Textil-Booms. Aber bei ihrem niedrigen Gehalt bringt Zala der Boom nur wenig. Sie sagt: "Mit dem Gehalt aus der Fabrik zu überleben, ist wirklich sehr schwierig. Wir hoffen, dass es irgendwann mehr wird."
Zala muss sich ihr Zehn Quadratmeter großes Zimmer mit zwei anderen Frauen teilen. Sonst hätte sie nur noch acht Euro im Monat zum Leben. Das reicht selbst in Äthiopien nicht, wo ein Kilo Kartoffeln um die zwei Euro kostet.
Zala weiß nicht, dass das hübsche H&M-Kleid am Ende in Deutschland mehr kostet, als sie in einem Monat bekommt. Oder dass sie für die verwaschene Used-Look Jeans von Levis aus der Halle nebenan monatelang arbeiten müsste.
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