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Nicht ohne mein Schatzi

Kosovo lebt vom Geld seiner Auswanderer. Im Sommer kehren sie zurück und lassen sich feiern.

An Bord der kleinen Adria-Airlines-Maschine JP 838 ist jeder Platz ausgebucht. Die Passagiere haben Schwierigkeiten, Stauraum für ihr Handgepäck zu finden. Eine junge Frau mit Jeansjacke und Birkenstocksandalen fragt ihren Sitznachbarn, ob sie am Fenster sitzen könne. Klar, sagt er – ein Mitt­zwanziger mit Hugo-Boss-Shirt und Diesel-Uhr. Er streckt ihr die Hand hin – ›Hi, ich bin Liridon‹ – sie lächelt, ›Liridona‹. Die beiden kommen ins Gespräch. Über den albanischen Vornamen, den sie sich teilen. Über den Sommer, den sie in der alten Heimat verbringen werden. Einer Heimat, die ihnen eigentlich fremd ist. Darüber, ein ›Schatzi‹ zu sein.

Ein was? Liridon und Liridona schmunzeln. Im Kosovo ist dieses deutsche Wort weit verbreitet. So nennt man Mitglieder der Diaspora, die unter dem Jahr Geld nach Hause schicken und im Sommer zurückkehren. Albaner, die in Wien, Zürich oder München leben – und deren Verwandte in einem der ärmsten Länder Europas zurückgeblieben sind. ›Meine Cousins im Kosovo verdienen 200 Euro im Monat‹, sagt Liridon – und nach einer kurzen Pause: ›Ich kaufe mir Schuhe für so viel Geld!‹

In weniger als eineinhalb Stunden hat die kleine Maschine einen großen Teil des Westbalkans überflogen – Slowenien, Kroatien, Bosnien und Teile Serbiens und Montenegros. Hier lag einmal Jugoslawien. Als der Vielvölkerstaat in den Neunzigerjahren gewaltsam zerfiel, flohen Hunderttausende Familien aus ihrer alten Heimat. So wie Liridon und Liridona. So wie die meisten Passagiere, die heute in der Maschine JP 838 sitzen.


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