Die Neue Nachbarschaft in Berlin-Moabit ist Café, Bar und Sprachzentrum in einem. Das Konzept lautet: Voneinander und Miteinander Lernen. Dass das so gut funktioniert, liegt vor allem an den vielen tatkräftigen Menschen, die sich für die Initiative engagieren.
Umgeben von grell leuchtenden Dönerbuden und Spätis wirkt die graue Fassade der Neuen Nachbarschaft in Berlin-Moabit etwas schal. Fast würde das Kulturzentrum zwischen den dicht aneinander gereihten Wohnhäusern nicht auffallen - wäre da nicht die Menschentraube von um die 50 Leuten, die sich vor der Bar gebildet hat.
Es ist 19.30 Uhr. Der dreimal wöchentlich hier stattfindende Deutschstammtisch ist gerade vorbei. Einige Menschen verabschieden sich vor der Tür voneinander, einige zünden sich eine Zigarette an und gehen nach dem Rauchen wieder hinein. Denn das Team von freiwilligen Helfer_innen der Neuen Nachbarschaft hat aufgetischt: Auf einem hektisch aufgebauten Buffet gibt es Reis mit Linsen, Suppe und Brot. Die ganze Bar ist gerammelt voll: Menschen sitzen an Tischen, stehen an Bar oder Buffet an. Einen freien Stuhl gibt es kaum noch.
Mittendrin flitzen immer mal wieder ein paar Helfer_innen von A nach B. Sie bauen zusätzliche Tische auf oder bringen schmutziges Geschirr in die Küche. So auch Tobias. Er ist Theologiestudent und engagiert sich seit fast zwei Jahren bei der Initiative Neue Nachbarschaft. Beim Deutschstammtisch spricht er mit Geflüchteten und bringt ihnen Dinge wie Personalpronomen oder das scharfe S bei. In 1,5 Stunden versucht er so gut wie möglich auf alle Leute einzugehen, die mit ihm Deutsch lernen wollen. Seine Schüler_innen kommen aus verschiedenen Ländern. Die meisten von ihnen sind Geflüchtete aus Gebieten des Nahen Ostens. In der einen Woche lernt Tobias mit einer Person Deutsch; in der nächsten Woche können es fünf sein.
Insgesamt können die Helfenden schwer voraussehen, wie der jeweils nächste Deutschstammtisch aussehen wird. An diesem Mittwochabend sind fast 200 Leute hier. Das ist ein neuer Rekord; vor zwei Wochen waren es maximal 150 Menschen pro Abend. Genauso variiert die Zahl der Helfenden stark. Freiwillig zu helfen heißt eben auch, dass man mal eine Woche aussetzt. Bezahlt wird in der Neuen Nachbarschaft niemand. Bei einem Bier an der Theke erzählt Tobias, dass er in nächster Zeit wieder etwas kürzer treten möchte in der Initiative. Den Sommer habe er fast ausschließlich in der Beusselstraße 26 verbracht. Dort habe er aufgeräumt, Wände gestrichen und die Zapfanlage installiert, durch die seit Anfang September Getränke fließen. Sein Studium habe er dabei ganz schön vernachlässigt. Doch das tut Tobias aus gutem Grund, wie er findet. „Ich würde anderen Leuten dolle empfehlen herzukommen, weil das ´ne wunderbare Sache ist, sich hier zu engagieren", erklärt er und nimmt einen Schluck von seinem Bier. „Es gibt hier ganz viele Räumlichkeiten, die wir alle selbst gestalten können und mit Ideen füllen können."
Tobias freut sich darüber, Teil eines Projekts zu sein, das seit seiner Gründung enorm gewachsen ist. Entstanden vor zwei Jahren als Idee der Moabiterin Marina ist die Neue Nachbarschaft heute eine sorgfältig durchgeplante Initiative mit eigenem Raum auf zwei Ebenen. Und da finden nicht nur montags bis mittwochs die Deutschstammtische statt, sondern auch Kinderbetreuung, Konzerte, Arabischkurse und der tägliche Regelbetrieb ab mittags.
Das alles zu stemmen erfordert von den sich Engagierenden Energie und Zeit. Zeit, die Tobias eigentlich gar nicht für die Neue Nachbarschaft hat. Denn er will diese Hausarbeit schreiben, die er seit Monaten immer wieder hinten anstellt. Außerdem möchte er auch seine Diplomarbeit bald angehen. Tobias befindet sich in einer vertrackten Situation, die viele Helfende umtreibt. Er will gerne so viel wie möglich anpacken, mit Menschen aus anderen Ländern sprechen, sie kennenlernen und sie unterstützen. Der junge Student genießt das wärmende Gemeinschaftsgefühl, das ihm die Arbeit in der Initiative gibt. Doch dann plagen ihn unbequeme Fragen: Wie viel länger werde ich studieren? Wie kann ich meine Miete bezahlen? Aber auch: Wer übernimmt meinen Part, wenn ich heute nicht zum Deutschstammtisch gehe? Kommen sie ohne mich klar? Tobias weiß zwar nicht, wie es nächste Woche in der Neuen Nachbarschaft aussehen wird. Aber er weiß, was er auf gar keinen Fall machen möchte: Menschen, die Hilfe benötigen, im Stich lassen.
Anschrift: Neue Nachbarschaft Adresse: Beusselstraße 26 10553 Berlin
Öffnungszeiten: Täglich ab 12 Uhr; Deutschstammtisch montags bis mittwochs von 18 bis 19.30 Uhr; Arabischkurs donnerstags 18 Uhr
Engagieren kann man sich als Deutschlehrer_in oder als Begleiter_in von Geflüchteten bei Behördengängen, zum Arzt usw. Auch Sachspenden sind gern gesehen. Eine aktuelle Bedarfsliste findet ihr auf der Homepage der Initiative.