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Auf dem Pfad der Weis(s)heit

Von der altehrwürdigen Kirche zum modernen Architektur-Highlight: Ein Beispiel für gelungene Umnutzung alter Bausubstanz aus Québec City, Kanada

von Franziska Horn


Staubige Büchereien mit Endlosregalen? Das war gestern. Diese Sanierung einer ehemaligen Kirche von 1848 in der Innenstadt von Quebec City fungiert als beispielhafte Umnutzung alter Bausubstanz, für die es selbst in Nordamerika kaum Vergleiche gibt. Die hochmoderne Bibliothek namens ,Maison de la Littérature' gilt heute als Architektur-Highlight und ist ein multivisionaler Denkraum – und eine Hommage an die Farbe des Schnees. Der preisgekrönte Umbau stammt von Chevalier Morales Architekten aus Montreal.


Vielleicht waren es die verschneiten Flächen im hohen Norden Kanadas, die Pate standen für das gestalterische Konzept dieser Bücherei. Ein beinahe unendliches Weiß als Seelenlandschaft, das zu einer bespielbaren Leinwand wird. Die Wirkung dieser Nichtfarbe entfaltet sich in den turmhohen Räumlichkeiten, komplett Weiß in Weiß gehalten, zur Gänze. Physikalisch betrachtet die Summer aller Farben, steht das Weiß für Vollkommenheit, für Schlichtheit und Reinheit, Licht und Bescheidenheit.


Als Methodistenkirche presbyterianischer Ausrichtung war der sogenannte Wesley-Tempel 1848 im neogotischen Stil nach Plänen von Edward Staveley erbaut worden. Der Tempel liegt in der Rue Saint-Stanislas im oberen Teil der Altstadt von Québec City, welche zu den ältesten Nordamerikas zählt und für ihre zahlreichen Kirchen und Klöster bekannt ist. Kirchen spielten bereits in den Anfängen um das Jahr 1600 eine große Rolle für die Besiedelung, viele davon wurden später umgenutzt, erhielten eine zweite Karriere. Oder eine Dritte, wie der Wesley-Tempel. Ein nüchtern-eleganter Bau in hellem Steingrau, mit gotisch hoch aufstrebenden Türmen, einem Hauptschiff und zwei Seitenschiffen.


1931 wurde die Kirche geschlossen, in den 1940er Jahren zog das L'institut Canadien de Québec mit einer Bibliothek und einer Konzerthalle ein. Bis 1999 diente der Bau als Tempel der Kultur mit Vorträgen und Lesungen. 2015 transformierten Chevalier Morales Architekten aus Montreal mutig das Innere des Baus, der weiterhin als Bibliothek dienen sollte. Die Fassade blieb erhalten, das Innere wurde entkernt, dazu ein moderner, halbtransparenter Glaskubus als Nebenbau angegliedert. Schon in der Planungsphase gewann das Projekt den "Canadian Architect Award of Excellence", weitere Preise folgten.


Wer dem Trubel von Québec City entflieht und die hohe Haupttür hinter sich schließt, den umfängt sofort eine tiefe Stille. Diese unterstreicht noch die Raumwirkung mit ihren unendlichen Weißschattierungen, unterlegt vom warmen Ton des Holzparketts. Der Raum öffnet sich bis unters hohe Satteldach, von dem ein sternförmiger Leuchter mit Leuchtstäben hängt. Durch die meterhohen Spitzbogenfenster fällt Tageslicht ein und schafft ein dekoratives Chiaroscuro. Wie angesogen von all der Helligkeit möchte man sich zwischen den – ebenfalls weißen – Regalen verlieren oder die freistehende Wendeltruppe erkunden, die als Helixstruktur zur Empore aufsteigt. Von dort oben lässt sich das Raumkonzept wirklich erfassen bis hin zur mittleren kreisrunden Öffnung, die das Tageslicht ins untere Geschoss leitet.


Über 25.000 Bücher, Zeitschriften, Dokumente, Musik-CD's und Film-DVD's, beherbergt die öffentliche Bibliothek, vor allem Werke frankokanadischer Autoren und Künstler. Ein hochmodernes Archiv mit Bildschirmen und Touchscreens, mit Multimedia-Features, thematisch unterteilt in Sektionen wie Comics, Science Fiction, Theater oder Poesie. "Dieser Bau ist der Freiheit gewidmet", sagen die Architekten Stephan Chevalier und Sergio Morales ganz schlicht.

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