Let’s talk about money: 30 Jahre nach dem Fund von Ötzi entbrennt in Südtirol erneut ein Streit –
um das neue Zuhause und um die Hoheitsrechte an
der berühmtesten Gletscherleiche der Welt. Dabei geht es um
ethische, kulturelle, wissenschaftliche Motive. Nicht zuletzt geht es dabei
natürlich auch um: Geld.
Von Franziska Horn
"Rund 270.000 Besucher kommen pro Jahr, um einen Blick auf Ötzi zu werfen“, sagt Elmar Pichler Rolle, gelernter Journa- list, Ex-Politiker, Ex-Geschäftsführer der Schnalstaler Gletscherbahnen und heute Kommunikationschef der Athesia AG. In dieser Funktion führt er die geladenen Journalisten durch die Bozener Altstadt, deren Reichtum einst Kaufleute aus Vene- dig und Augsburg prägten. Vor dem Palais Menz in der Mustergasse bleibt Pichler Rolle stehen. Um 1800 gehörte das Palais der reichsten Bozner Kaufmannsfamilie Menz. Seit 2013 gehört das Patrizierhaus einem der reichsten Menschen Österreichs: dem milliardenschweren Investor René Benko, der es sanierte. Nur ein paar Hundert Meter weiter ruht der Mann aus dem Eis in seinem gekühlten Glassarg im 1998 eröffneten Bozner Archäologiemuseum – nach hinlänglich bekanntem Gerangel zwischen Nord- und Südtirol um die Besitzrechte am Gletscherfund.
Vor dem Sichtfenster steht der Südtiroler Archäologe Andreas Putzer: „Seit 23 Jahren liegt Ötzi hier und seitdem forschen und lernen wir an ihm. 5,5 Millionen Besucher haben die berühmteste Gletscherleiche der Welt gesehen“ – die übrigens von den Engländern der Ein-fachheit halber ,Frozen Fritz‘ genannt wird. Doch darf man Mumien, ethisch betrachtet, überhaupt ausstellen? Wie steht es mit der Pietät? „Man darf nicht nur, man muss!“, findet der ebenfalls anwesende Forscher und Rechtsmediziner Oliver Peschel von der LMU Mün- chen. Seit 2016 befasst er sich mit den Geheimnissen des alten Gebeins. Aus dem Kreis der Fachleute ist zu hören, dass in unbestimmter Zeit die Pfeilspitze aus Ötzis Schulter minimalinvasiv entfernt werden könnte, weil man sich erhofft, daran die DNA des Mörders zu finden. Das könnte neue Hinweise auf das Leben unserer alpinen Vorfahren, vielleicht sogar eine neue Sensation ergeben. Der Krimi geht weiter. Aber weil das Archäologiemuseum, eines der führenden in ganz Italien, zu klein ist und nicht mehr zeitgemäß, wartet man derzeit auf das Okay, in ein größeres Haus umzuziehen – das Land Südtirol sucht längst einen neuen Standort.
Ötzi soll wieder zurück auf den Berg, auf einen kleinen zumindest: hinauf auf den Virgl, den bis dato kaum bebauten Felsklotz südlich der Altstadt, den die Autobahn untertunnelt. Die Fahrbahnen Richtung Norden laufen auf einen markanten Sakralbau zu, die barocke Heiliggrabkirche. Was für eine Nachbarschaft! Treibende Kraft für den Umzug ist der österreichische Milliardär René Benko, der mit seiner Signa-Unternehmensgruppe 600 Millionen Euro in Bozen investiert. Ein Wohnquartier und ein Busbahnhof sind bereits fertig, ein Shoppingcenter samt Hotel und Büros namens Walther-Park mit 22.000 Quadratmetern entsteht derzeit, entworfen vom britischen Star-Architekt David Chipperfield. Weil der Immobilienmagnat (Benko) bereits die halbe Stadt aufgekauft habe, würden die Einheimischen ihre Heimatstadt inzwischen ,Benko-City’ nennen, heißt es. Für Weltstar Ötzi plant Benko nun ein standesgemäßes Museum auf dem Virgl in Form einer Glaskuppel, dazu eine Seilbahn, ein Restaurant, eine Aussichtsplattform, Ausstellungsflächen, ein ganzes Museumsquartier also, und das in 200 Meter Höhe über der Stadt. 38 Hektar Land hat Benko dafür aufgekauft.
Eine Landmarke soll hier entstehen, ähnlich jenem Wahrzeichen, das Architektin Zaha Hadid mit der ikonischen Bergisel Schanze für die Stadt Innsbruck erschaffen hat. Nur ein paar Dimensionen größer. Doch dagegen laufen die Bozner Kaufleute Sturm, die die Gletscherleiche gern in ihren Reihen behalten wollen, unten in der Stadt, zwei alternative Standplätze gäbe es auch hier, sagen sie – schließlich soll das Geld von rund 300.000 jährlichen Besuchern weiterhin in die Altstadt fließen. Um Ötzi herum ist längst eine bedeutende Wirtschaftsmacht entstanden. Das neue Benko-Museum mit besagter Seilbahn, die den Besucher in knapp zwei Minuten hinauf in eine futuristisch angehauchte Welt beamt, könnte dagegen 900.000 Besucher bringen, jährlich. Das hat eine Simulation der Besucherströme ergeben. Aber halt oben auf dem Berg.
Auf die Seite der Bozner Kaufleute stellte sich die Athesia Druck GmbH, Südtirols größter Verlag und längst ein Mischkonzern. Dieser würde am liebsten selbst ein neues Museum bauen. In der Stadt. Schließlich stimmten die Bozner Bürger ab, und zwar für die BenkoVersion, für das neue Wahrzeichen, entworfen von dem renommierten norwegisch-amerika- nischen Team Snøhetta. Deren 2008 fertiggestelltes Opernhaus in Oslo zitiert die kantigen Formen nordischer Eisberge, es gilt als größtes norwegisches Kulturprojekt der Nachkriegszeit. Rund 20 Museen hat das Architekturbüro Snøhetta bereits geplant oder gebaut. In dieser Südtiroler Gemengelage musste ein weiterer Schiedsrichter her, in Form einer technischen Kommission, doch die entschied sich ebenfalls für die Benko-Version. Inzwischen hat Benko den Bozner Flughafen gekauft und plant zudem, einen Büroturm hochzuziehen.
Das aktuelle Ringen um wirtschaftliche, kulturelle und ökologische Interessen im alpinen Kontext setzt sich auch im nahe gelegenen Schnalstal fort. Also dort, wo ,Frozen Fritz‘ auf dem 3208 Meter hohen Tisenjoch gefunden wurde. Auf dem benachbarten Gipfelgrat der Gra- wand poppten 2020 zwei neue architektonische Kunstwerke auf: Die von Künstler Ólafur Elíasson geplante begehbare Kugel namens „Our Glacial Perspectives“ gemahnt ans Ende der Gletscher, es ist das erste Werk Elíassons in Südtirol überhaupt. Von der Gipfelstation der Schnalstaler Gletscherbahnen mit dem Glacier Hotel Grawand (höchstes Hotel der Alpen!) führt der Weg wie eine Pilgerreise durch neun Bögen, die für die Längen der Eiszeiten stehen, und hält genau auf die blaue Armillarsphäre zu. Es ist eine Art Kalender oder Sonnenuhr, auf der man anhand der Ringe die Zeit bis zur nächsten Sommer- oder Wintersonnenwende bemessen kann.
Bei der Eröffnung im Oktober 2020 sagte Elíasson: „Diese Gletscher hier rund um den Hochjochferner gibt es vielleicht noch 15 bis 20 Jahre. Ich frage mich: Wie würde man hier eine Beerdigung organisieren? Ich biete mich als Grabsteinhersteller für die Gletscherbeerdigung an.“ Vier Jahre hatte es gedauert, bis der eigens gegründete Kulturverein „Talking Water Society“ rund um Künstler Ui von Kerbl den Weltstar Elíasson ins Schnalstal holen und die Kugel mit Kosten von rund einer Million Euro realisieren konnte. Zeitgleich entstand eine Aussichtsplattform auf der anderen Seite der Grawand-Bergstation, erbaut vom Architektur- und Designstudio noa* aus Bozen. Die Plattform in 3251 Meter Höhe heißt „Iceman Ötzi Peak“. Der beinahe ...(...)