Mit dem Tod des Lampendesigners Ingo Maurer ist die Welt ein kleines bisschen dunkler geworden. Eine Ausstellung in München würdigt den Meister des Lichts, der auch vom Schatten fasziniert war.
Erst im Mai hatte Ingo Maurer sein Kunstobjekt "Pendulum" in der Rotunde der Pinakothek der Moderne vorgestellt. Ein silberfarbenes Riesenpendel in Eiform, drei Meter hoch, gefertigt aus hochglanzpoliertem Aluminium, das noch bis Februar 2020 dort hängen wird. Ein sanfter Schub durch Menschenhand, dann schwingt es wie in Trance oder Zeitlupe durch den Raum, bis seine Ausschläge kürzer werden und schließlich ganz ausbleiben.
Bewegung war immer Teil des maurerschen Lichtkonzepts, auch nach dem Tod des Gründers im Oktober dieses Jahres wird sein Team weitermachen wie bisher: "Die Schubladen sind voller Ideen zu neuen Projekten", sagt Designer Sebastian Hepting, der schon ab 2003 für den Münchner Lichterfinder arbeitete.
Seine große Ausstellung, "Ingo Maurer Intim. Design or what?", in der Paternoster-Halle hatte Maurer mit geplant, die Eröffnung Mitte November sollte er nicht mehr erleben: Maurers Lebenslicht erlosch am 21. Oktober. Die Retrospektive zeigt einen Streifzug durch das reiche Schaffen des 87-Jährigen, ein Daniel Düsentrieb der Lichtbranche, stets mehr Erfinder denn klassischer Industriedesigner.
Über 80 Objekte; Modelle und Fotos sowie ein Video zeigen nun die Gedankenwelt Mauers, eine Art Wunderkammer. Der Besucher erstaunt angesichts der aberwitzigen, absurden oder verspielten Gebilde. So kommen beispielsweise die Stehleuchten der "MaMo Nouchies"-Serie als verträumte Gespinste aus Japanpapier daher, mit ihrer tänzerischen Leichtigkeit wirken sie wundersam wie neu entdeckte Lebewesen aus tiefster Tiefsee.
"Dabei hat er sein Leben lang die Wüste geliebt", erzählt sein ehemaliger Mitarbeiter Hepting, der zum Eröffnungsrundgang gekommen ist, auch Maurers Tochter Claude und weitere Teammitglieder sind da. "Wir haben uns nie von Trends, aber immer von Emotionen leiten lassen", sagt Hepting über die Zusammenarbeit mit dem Altmeister. "Und Visionen, Ideen, Eingebungen, die hatte er bis ganz zuletzt."
Der Schatten gehört mit zum Entwurf
Die Abwesenheit von Licht, den Schatten, hat Maurer als wichtigen Gegenpart stets mit einkalkuliert. Fasziniert von dieser Dualität und von der Immaterialität des Lichts nahm er Alltagsgegenstände aus ihrem Kontext und entwarf ironische, lustige oder minimalistische Skulpturen, zum Beispiel rund um Readymades, er arbeitete mit Federflügeln, Camparifläschchen, Spaghetti, Plastikkrokodilen, Servietten, Deko-Storchenbeinen - oder mit Gummihandschuhen, die er in Yves-Klein-Blau färbte, um dann an deren Fingerspitzen Leuchtkörper zu hängen.
Kaum ein Gegenstand schien ungeeignet, er deutete ihn um, spielte mit Illusionen. Er experimentierte mit Materialien wie Japanpapier, Blattgold, Stoff, Metall. Für "seven rats" stapelte er 17 Käfige aus Gold, Messing, Stahl aufeinander, in die er sieben Kunststoffratten setzte. Die Inspiration dazu brachte er von asiatischen Märkten mit - das Werk steht in Maurers Showroom in der Kaiserstraße.
Dafür schimmern die "Flying flames" hier in einem Winkel der Paternoster-Halle, ein schwebendes LED-Lüstersystem, das perfekt den natürlichen Kerzenschein simuliert, entstanden in Zusammenarbeit mit Designer Moritz Waldemeyer. Die Wandleuchte "Oops", eine Bahn aus Papier, dreht sich an der Wand gegenüber poetisch um sich selbst wie eine Korkenzieherlocke. Hinter jeder Leuchte steht eine Geschichte. Manche erzählen sich schnell, wortwörtlich, wie die Leuchte "What we do counts" mit ihrer Comic-Sprechblase.
Namen waren ihm gleichermaßen wichtig, wie die lineare Tischleuchte "Mozzkito" zeigt. Maurer baute possierliche Modelle wie das Wandlicht "Lucellino" mit Flügeln - dachte ebenso im großen Stil, plante umfassende Lichtkonzepte wie ganze U-Bahnhöfe (Marienplatz und Westfriedhof in München), den berühmten Torre Velasca in Mailand tauchte er in klares Rot oder Blau.
Weltweit erste serienreife OLED-Leuchte
Der 1932 in Reichenau geborene Maurer arbeitete lange als Grafiker in den USA, 1966 vertrieb er als Autodidakt die Birne "Bulb", seitdem widmete er sich ausschließlich dem Licht. Er gründete früh eine eigene Firma, um alle Schritte von Produktion über Marketing und Vertrieb selbst zu steuern. So konnte er seine Ideen nächstmöglich an der ursprünglichen Vision realisieren. Der internationale Durchbruch gelang ihm mit seinem Lichtsystem "YaYaHo", eines der ersten Niedervolt-Seilsysteme für Halogenreflektoren. Mit "Early Future" schuf er mit dem Hersteller Osram 2008 die weltweit erste serienreife OLED-Leuchte.
Doch so improvisiert die filigranen, oft an dünnem Draht schwebenden Modelle auch schienen, tatsächlich waren sie technisch ausgefeilt, bis hin zu seinen letzten Werken wie "Silver Cloud" für das Residenztheater München von 2019. Für Angelika Nollert, Direktorin der Neuen Sammlung München, zeigen sie "die Raffinesse in der Einfachheit".
Zu sehen ist "Ingo Maurer intim. Design or what?" noch bis zum 18. Oktober 2020 in der Pinakothek der Moderne in München.