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Designer Michael Geldmacher: Kurven mit Ecken

Seine Inspiration sind Haie, Elefanten oder die Existenzialisten. Obwohl die Entwürfe des Münchner Designers Michael Geldmacher minimalistisch herüberkommen, bestechen sie durch einen formalen Twist. Und haben dabei Erfolg.


Wie politisch ist Design? Soll ein Designer überhaupt politisch sein? „Natürlich“, findet Mi- chael Geldmacher. „Das heutige Schweigen der kreativen Klasse ist – bis auf die üblichen Verdächtigen – ziemlich skandalös“, sagt der Gestalter. „Welche Designer ergreifen denn heute noch Partei?“ Wer mit dem Münchner diskutiert, darf gerne den eigenen Standpunkt vertreten, zu Aspekten wie Grundeinkommen, Volkswohl oder Neoliberalismus, kurz: zur Fra- ge, wie wir leben wollen. „Mit ihrem damaligen demokratischen Ansatz zählten die Ulmer Hoch- schule und das Bauhaus zu den wichtigsten De- signschulen überhaupt“, sagt Geldmacher, der schon mal „Stoppt Söder“-Schilder für eine Demo drucken lässt, um sie auf Protestmärschen einzu- setzen, und grundsätzlich findet, „dass Design eine Gesellschaft verändern sollte“ – durch Ent- würfe, zu denen man entweder pro oder kontra

steht, die jedoch immer eine Haltung verlangen. Nachdenklich sitzt Geldmacher in seinem ruhi- gen Studio in einem Münchner Hinterhof unweit des Hauptbahnhofs, die schrägen Strahlen der späten Nachmittagssonne fallen in den ebenerdi- gen Raum. An den Wänden reihen sich Maschinen, Materialproben und Regale mit Modellen von Pro- toypen, auch ein übergroßer Setzkasten ist dabei, voll kurioser Fundstücke, Erinnerungen und Sou- venirs aus aller Welt, eine Wunderkammer und ein Sammelsurium komischer Dinge, zu denen das Kreativzentrum des menschlichen Gehirns fähig ist. Davor steht im klaren Kontrast ein langer Kon- ferenztisch mit den selbstentworfenen schlicht-eleganten „Elephant Chairs“ für Kristalia. 

Out of the box • Seit seinen Anfängen gehört Geldmacher, Jahrgang 1968, quasi zur kleinen, feinen Elite deutschsprachiger Gestalter – ganz ohne Lehrjahre im Designbüro eines Altmeisters, so wie viele andere. Seine Schule war die des Denkens: Er studierte Philosophie (Sartre! Existenzialismus!) und später Industriedesign an der Fachhochschule für angewandte Wissenschaften (HM) in München, wo er auf seine Studiopartne- rin Eva Paster traf. 1999 gegründet, arbeitete das Designduo Neuland Industriedesign 15 Jahre für ein Best-of internationaler Auftraggeber, entwarf das minimalistische Bett „Kengo“ und das Regal „Reef“ für Interlübke, die linearen Hocker und Barstühle „Park“ für B-Line, das Regal „Insert Coin“ für Nils Holger Moormann, die Regale „Melody“ und „Random“ für MDF Italia, Letzte- res brachte prompt eine Nominierung für den renommierten Compasso d’Oro ein – auch weil es das gewohnte Rasterschema eines Regalsystems aufbricht. Stattdessen folgen die Fächer einem unregelmäßig gestalteten Leitmotiv. „Out of the box“ zu denken, ohne formal zu sehr aus dem Rahmen zu fallen, dieser Balanceakt ist es, der den Erfolg brachte.

Ein Stier, ein Hai, ein Elefant: Oft sind es stilisierte organische Formen der Tierwelt, an die sich die Modelle des freigeistigen Designers anlehnen, der seit 2015 unter eigener Flagge entwirft: Für den Stuhl „Toro“ von B-Line gab es zum Beispiel im Dezember 2018 den Iconic Award 2018 vom Rat für Formgebung. Zur DNA Geldmachers gehö- ren ausgereifte, eigenständige Objekte, die das Ergebnis einer eigenen Herangehensweise sind: „Der Gedanke ist mein Lieblingsmaterial“, sagt er. Sein Verständnis für Um- und Querdenker ist groß, denn er ist selbst einer, der sich zudem im steten Über-den-Tellerrand-Schauen übt.

Das beweist auch ein Projekt, das Geldmacher mit Kollegen wie Architekt Matthias Marschner und Initiatorin Nicola Borgmann von der Archi- tekturgalerie für das Münchner Kulturzentrum Bellevue di Monaco realisierte: Für das dazugehörige Café entwarf er gemeinsam mit Geflüchteten und Studierenden der Fakultät für Design der Hochschule München Stühle und Tische im Retro-Look, die der Möbelhersteller Go In auflegte – für Geldmacher ein Beispiel, wie Integration gelingen kann: „Mein Job hierbei war mehr der eines Artdirectors und hat mich in Kontakt zu Menschen gebracht, die per Schlauchboot übers Mittelmeer gekommen sind.“ Was das bewirkte? „Demut“, sagt er und erzählt zudem von Erfahrungen mit diversen Design-Workshops mit Studenten des Architekturinstituts EIABC 2017 und 2018 in Addis Abeba, Äthiopien. Er empfiehlt: „Jeder sollte mal drei Monate in einem Entwicklungsland gelebt haben.“

Probleme zu lösen, in Europa oder anderswo – das ist für ihn immer noch eine Hauptaufgabe von Gestaltung. „Design beschreibt ja nicht nur eine Form, sondern sucht und findet die Lösung für ein Problem.“ Mit dieser Haltung betrachtet er sich jedoch im heutigen Anything-goes-Designzeit- alter als eine Art Fossil – mit Augenzwinkern, natürlich: „Design bedient nach wie vor die Eitel- keiten und Sehnsüchte der Menschen nach dem Schönen, dem Anderen, der Differenzierung.“ Doch dem Gestaltungsprozess sollte idealerweise etwas anderes vorausgehen, nämlich das Bewusstsein für die wahren Probleme der Welt wie zum Beispiel die heutige Umweltverschmutzung und „auch der Stand der Bildung, denn gute Bil- dung verhindert, dass die Natur vernachlässigt wird“.

Mailänder Möbel-Bahö • Wer Geldmachers Wirken und Werken über die Jahre folgte, stellt persönliche Veränderungen fest: Zum jeher hohen politisch-sozialen Engagement ist ein Stück Gelassenheit gekommen. „Arbeit war früher das zentrale Thema für mich. Heute mache ich nur noch so viel wie nötig, ich reise viel, gehe in die Berge, mache mal ein Sabbatical. Das ist wichtig. Je mehr Druck man hat, desto lockerer muss man damit umgehen“, meint er und schlussfolgert: „Ich habe inzwischen deutlich mehr innerliche Distanz. Auch zum Lärm der großen Messen in Köln oder Mailand, da wird so viel Wind ge- macht“, grinst er im Gedanken an das jährliche Möbel-Bahö rund um Kitsch, Kopien und die im- mer selben Klassiker, die mitunter wenig Platz für Neues lassen. „Die Verplüschifizierung einer neuen Wirtschaftswunderwelt“, nennt er dieses Phänomen und sieht es „in Versagensangst“ begründet. „Alles war schon mal da – es neu aufzulegen gibt Gestaltern und Kunden vermeintliche Sicherheit.“

Dann folgt ein klares Bekenntnis gegen das landläufige Stilgeschwurbel: „Das überborden- de Formenvokabular des Barock fordert dich nicht, es erschlägt dich eher. Beim Minimalis- mus dagegen musst du selbst der helle Punkt sein, der strahlt. Du musst einen Inhalt haben, eine Haltung. Das ist natürlich die größere He- rausforderung.“ Also bleibt der Gestalter unbe- eindruckt vom Formenwirrwarr der Mailänder Fiera lieber der eigenen Linie treu: „Nach wie vor versuche ich, einem Problem zuerst kon- zeptionell zu begegnen, danach gestalterisch“, sagt er. Das gelingt immer wieder, wie auch Hängelampe „Sujù“ für Martinelli Luce beweist, bei der das Stromführungskabel gleichzeitig das Hängekabel ist. Ein kleines Kolumbus-Ei, sozusagen. Ob es Idealismus braucht, so zu arbeiten, wie Geldmacher es noch immer tut? „Ja, zu 100 Prozent“, antwortet er, bevor er hinterherschiebt: „Wobei – ein Prozent hat sich im Laufe der Jahre abgenutzt. Sagen wir, zu 99 Prozent!“




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