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Barfuß Klettern: Unten ohne

Barfuß, blind, begnadet – als Junge aus dem Wald mag Charles Albert den Fels am liebsten pur.

Auf dieses Hilfsmittel verzichten nicht einmal Adam Ondra oder Alex Honnold: Kletterschuhe. Genau das aber tut der Franzose Charles Albert. Und knackt barfuß höchste Schwierigkeitsgrade... 


TEXT: FRANZISKA HORN


Er ist ein echter Bleausard. So nennen sich die ansässigen Boulderer in den Wäldern von Fontainebleau, rund 50 Ki- lometer südöstlich von Paris. Bouldern besteht per se aus Verzicht, auf Seil und Gurt und damit auf die Selbstsicherung. Der Franzose Charles Albert lässt auch noch das Crashpad und, für viele unvor- stellbar, die Schuhe weg. Hautnah neu definiert, sozusagen. Warum er das tut? „Um bestehende Problem noch interes- santer zu machen, um eine echte Her- ausforderung zu haben“, sagt er. Auch Videos von Barfußpionier Patrick Edlin- ger hätten anfangs eine Rolle gespielt. Noch unvorstellbarer ist allerdings, dass Albert barfuß genauso schwer klettert wie nur die Allerbesten ihres Fachs – mit griffigen Gummisohlen. Alberts Bestleistung: 8C+. „La revolutionnaire“ heißt die Route mitsamt ihrer Verlänge- rung, die Albert im November 2017 als erster durchstieg. Ohne Schuhe, eh klar, nur mit etwas Magnesium an den Fü- ßen. Weltweit gibt es nur ein Boulder- problem mit einem schwierigeren Grad, der zudem noch nicht bestätigt wurde. Zuvor galt die Route als größtes Problem in Fontainebleau. Was die Frage aufwirft: Brauchen auch Kletterer heute neben höchstem Können ein USP, ein Alleinstellungsmerkmal? Bei Albert steckt weit mehr dahinter als Marketing. 


Der Junge aus dem Wald

Geboren am 10. September 1997, beginnt Mogli – so wird er von Freunden genannt – mit sieben Jahren zu klettern. Mit sei- nem Vater übt er im heimischen Kletter- club von Avon das Bouldern, im Herzen der berühmten Wälder von Fontaine- bleau. Dort liegt die Keimzelle und das Epizentrum des Boulderns. Fontainebleau gilt als ältestes Bouldergebiet überhaupt, schon 1890 erkundeten die ersten Bleau- sards ihre Routen durch die zahllosen, im Wald verstreuten Sandsteinfelsen. Steinerne Probleme häufen sich hier in jedem Schwierigkeitsgrad: der achte ran- giert als oberster Bleau-Grad mit einigen hundert Routen. Bis zu 20.000 Boulder sollen hier existieren, mit Platten und Kanten, Pfeilern, mit Wandklettereien und Überhängen. Weltweit klassifizieren Boulderer ihre Probleme mit „Fb“ für „Fontainebleau“. Wie also kommt Charles Albert hier ohne den vermeint- lich so unverzichtbaren Gummigrip aus?

Wer Mogli „en action“ beobachtet, auf Vi- meo, Facebook oder Youtube, der sieht: Charles setzt seine Füße so geschickt ein wie andere ihre Hände. Er greift mit ih- nen punktgenau nach schmalen Kanten, spreizt und stemmt die Zehen in den Fels. Dabei trägt er die langen, dunklen Haare moglimäßig locker zum Pferde- schwanz gebunden – und dazu gern Jeans und Hoodie. „Hier im Wald bin ich voll- kommen frei. Niemand sagt mir, was ich zu tun habe. Darum liebe ich den Wald“, sagte er dem Kletterportal planetmoun- tain. Sein Rekord von 8C+ gelang barfuß, obwohl er mit Schuhen „nur“ eine 8a schaffte. „Ohne Schuhe, das macht es noch interessanter“, sagt Albert. Obwohl es dabei einen Kraftverlust gebe, den man mit Armen und Fingern ausgleichen müsse. Dem Blog Fanatic Climbing erklärte er: „Du kannst nicht so agieren wie mit Schuhen, du musst die Probleme also anders lösen. Und du musst präziser und fokussierter klettern“. Auch Toe- und Foothooks seien ohne Schuhe schwieri- ger. Warum er trotz Nachteilen auf Fin- ken verzichte? „Es ist billiger, natürlicher, instinktiver. Und komplizierter. Ja, es macht deine Haut kaputt. Aber es erin- nert dich daran, dass dein Körper Grenzen hat. Auch dann, wenn es kalt ist.


Barfuß, blind, begnadet

Andererseits könne man barfuß ein- zelne Zehen gut in Löcher und Spalten klemmen, bei perfekter Reibung, das mache es wiederum leichter. Auch wenn's immer etwas weh tue. Noch ein Nachteil? Dass die französische Clim- bing Federation kein Barfußklettern er- laubt. Doch unbekümmert davon lotet Albert weiter die Grenzen aus. Die der Schwerkraft, die der Felsen von „Bleau“, die körpereigenen: Routen wie „Berez- Carnage“ (7C+) und „L'abbé résina“ (7c) absolvierte er barfuß – und noch dazu mit verbundenen Augen, die Route vor dem inneren Auge, die Sinne aus- schließlich auf Tasten und Fühlen gerichtet. Das Körperwissen abfragen, ganz intuitiv, darum geht es ihm.

Wer ihm zuschaut, entdeckt eine eigene Choreographie, eine flüssige und sehr logische Abfolge seiner Bewegungen. Kein „try and error“. Ausgewogen und effizi- ent, lang eingeübt, zielgerichtet und trotzdem spielerisch leicht. Sich mit wenigen, gut gesetzten Klimmzügen über meterhohe Überhänge hieven, als wär's die eigene Bettkante, das ist nicht jedem vergönnt. Mit 1,80 Meter Größe, stimmigen Proportionen und rund 65 Kilogramm Gewicht hat Charles Albert ideale Voraussetzungen. Und die Hebelkräfte der Physik auf seiner Seite.

Charles Albert ist nicht der erste im Barfußklettern. Aber mit dem Verzicht auf Crashpad und Schuhe hat er die Dinge auf ein neues Niveau gehoben. Sein Zukunftstraum? Ein Profi-Kletterer zu werden. Wir drücken die Daumen, oder besser: Zehen!

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