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Feature

Kaminglimmen mit Alpenglut


Hier muss man nix müssen, kann einfach nur sein. Warum das in der Adler Mountain Lodge zu Füßen des Langkofels ein tagesfüllendes Programm ist, zeigt
der Selbsttest von Franziska Horn


Wie eine Zeitkapsel surrt die Gondel aus dem dörflichen Treiben hinauf in die Stille.

"Zur Adler Lodge? Nimm einfach die Rote", hatte der Wirt gesagt, unten in St. Ulrich im Grödental. Und zeigte auf die signalrote Umlaufbahn mit weißem "Mont Sëuc"-Schriftzug, so der ladinische Name der Seiser Alm. Per Gondel ins Hotel? Das klingt vielversprechend. Die Häuser im Tal werden zu Punkten, gegenüber schimmern die weißen Hänge von Raschötz und Seceda, dort, wo das pralle Pistenleben tobt. Unter dem Gondelboden stürzt sich ein Nordhang talwärts, bedeckt mit schweigenden Wäldern, dick verschneit. Hohe, schmale Nadelbäume, die Äste eng wie Arme an den Stamm gelegt, um nicht unter der schweren Schneelast zu brechen. Diese Fichten sind heimlicher Hauptdarsteller hier im Stück über die Auszeit am Berg.


800 Meter höher stoppt die Kugel. Aussteigen, Bergstation. Dem breiten Weg in den lichten Wald folgen, hieß es, und in weitem Rechtsbogen hinüber zur Lodge. Es beginnt zu schneien, ganz sachte. Der Wald öffnet sich auf eine weite, weiße, sanft gewellte Almenfläche mit ein paar versprengten Nadelhölzern. So geht Winter, denkt man sich. Vom berühmten Langkofel, Wahrzeichen Grödens, ist heute nichts zu sehen, obwohl, er muss da irgendwo sein. Noch eine Piste queren. Da ist sie schon, die Lodge – ein massiv wirkender Holzbau, der sich in den Hang hinein schmiegt. Klare Linien. Zwei Außenflügel, ein Mittelteil, dazu ein geschindeltes, flaches Satteldach, auf dem jetzt eine Lage Watte ruht.


Das helle Fichtenholz verrät: Lang steht dieses Fünf-Sterne-Haus noch nicht. Und überhaupt: Was macht eine Lodge auf einer Südtiroler Alm? Dazu später. Dahinter ducken sich ein paar Chalets an den Schneehang wie Küken hinter der Glucke. Der Adler ist gelandet, könnte man sagen. Nach vorne und Süden öffnet sich eine große, gerahmte Fensterfront, die tagsüber Sonne hinein und abends Kaminglimmen hinaus lässt. So ein Feuer in der Winternacht, das bedeutet: Licht. Wärme. Ankommen. Schon steh ich drin. "Willkommen!", sagt Managerin Sara Vinatzer und strahlt. Führt in die weite Halle mit Lobby und Lounge. Auch hier: viel Holz. Man folgt ihr – und spricht, geht, bewegt sich deutlich eine Spur leiser. Kommt irgendwie runter, dabei ist man grad erst hinauf geliftet auf 2000 Meter … es muss am Haus liegen, an den Räumen. Sogar im Aufzug riecht es nach Holz.


Das Zimmer geht gen Süden. Mit Balkon: Geschnitzte Adler- und Drachenköpfe ragen von den Firsten ins Tal, sind Dekor und Logo der Adler Resorts. 18 Suiten und 12 Chalets hat das neue Hoteldorf. Innen ist die Suite ist offen geschnitten, wertige Möbel, schlicht und modern, ohne kühl zu sein. Dafür sorgen Leder, Flanell – und noch mehr Fichtenholz. Hier kommt es her, da gehört es hin, das "singende" Holz von Fichte und Lärche, beides heimische Arten. Draußen schluckt die Nacht den Nebel, jetzt schimmert er tiefblau. "Wenn der Vollmond auf die weiten Almböden scheint und der Schnee das Licht reflektiert, ist das wirklich magisch", sagt Sara. Abends zu Tisch gibt es ein Fünf-Gänge Menü, Gerstlsuppe, Tomatencarpaccio, Hirschfilet, dazu feine Weine wie ein "Stoa", ein grüner Veltliner. Das alles handverlesen, nicht überkandidelt.


Über Nacht reißt es auf. Wie ein Schatten hebt sich der Langkofel, ein versteinertes Korallenriff, im Dunkel vom Sternenhimmel ab. Am nächsten Morgen steht er dann da, der Berg. Wild, eine hohe Kathedrale, zerklüftet wie gefrorene Gischt, hypnotisierend und alles beherrschend, mit zackigen gotischen Spitztürmen, dazu ein seitliches Schrägdach – der Plattkofel. Was für ein Kontrast, ein Bruch zu den ruhig dahin fließenden Wellen der Alm. Als die Sonne über den Langkofel steigt, flirrt die Luft, noch feucht vom Schneefall des Vortags. Plötzlich steht ein kreisrunder, vielfarbiger Regenbogen minutenlang am blitzblauen Himmel über der Alm, zwischen Hotel und Berg. Ein Halo wie ein Heiligenschein. Die beinah übernatürliche Erscheinung macht sprachlos, man sieht sie vielleicht einmal im Leben. Als sie verblasst, ziehen wir mit Schneeschuhen Richtung Saltrìa, ein Weiler in einer schmalen Senke der Hochalm, die mit ihren Wellen, Wäldchen rund 57 qkm Fläche die größte Europas ist. In Sommer, Herbst und Winter ist sie mit zahlreichen Wegen "bewandert" und Gäste der Adler Mountain Lodge können sie beim geführten Pisteln, Langlaufen oder nächtlichem Sternenwandern erkunden. "In meinen Armen schlafen Wälder ein, und ich, ich bin das Klingen über ihnen …", dichtete Rilke einst. Ob er mal hier oben war, auf der Seiser Alm?


Dieser besondere Fleck hier hat schon immer zu Fantasien angeregt, zu Sagen, Geschichten, Legenden. Man ahnt langsam, warum. Bis hinüber zum Schlern, ein brachialer Felsriegel, dehnt sich die Fabelwelt. Wohl kein Zufall, dass Roman Polanski 1967 hier die Außenaufnahmen zu seiner Horrorkomödie "Tanz der Vampire" drehte, am alten Hotel Mezdì, genau dort, wo heute die Adler Lodge steht. Statt Vampirgeheul klingt heute das Glöckchenklingeln der Pferdekutschen über die Alm, denn der Autoverkehr ist hier im Naturschutzgebiet eingeschränkt. Hausgäste dürfen jedoch vorbei an Pisten, Almen und lauschigen Hütten direkt bis in die unterirdische Tiefgarage der Lodge anreisen. Dieser Berg, die Alm ist also Inspiration und die Dolomiten seit 2009 UNESCO Welterbe – weil sie einfach mit keinem Gebirge der Welt zu vergleichen sind. Und, was soll man hier im Tal anderes werden als Bergführer oder Gastwirt, Hotelier – oder Künstler, denn irgendwie muss man diese Natur ja verkraften, oder einfach nur mit ihr fertig werden.


Man wird es wohl nie. Deswegen bleiben die meisten Grödener daheim im Tal der Holzschnitzer. Oder sie kehren zurück. Wie Sara Vinatzer, die nach Jahren in Südfrankreich heute mit Daniela Demetz zusammen die Adler Mountain Lodge führt. "Das Licht hier oben, die Alm, der Berg, das macht beinah abhängig", sagt sie. Dass man dieser gewaltigen Natur hier keine Konkurrenz machen muss oder darf, und "trotzdem eine Aussage haben", diesen Balanceakt haben die beiden Architekten der Lodge mit Können und echtem Feingefühl beantwortet. Die Brüder Hugo und Hanspeter Demetz, ein erfolgreiches Architektenduo, entstammen einer eingesessenen Hoteliersfamilie aus St. Ulrich, der Familie gehört das Hotel Engel. Hugo Demetz, Jahrgang 1950, studierte Architektur in Innsbruck und Florenz, ging dann 15 Jahre nach Paris, baute Hotels. Seit 1997 ist er zurück, mit eigenem Büro in Brixen, das er in einer ehemaligen Kapelle in der Stadt eingerichtet hat. Sein älterer Bruder Hanspeter ist Künstler, Karikaturist und ebenfalls Architekt. Über 20 Projekte haben die Demetz-Brüder im Alpenraum realisiert, umgebaut oder neu errichtet.


"Wir nehmen die Natur, die besonderen Umweltaspekte und Nachhaltigkeit überhaupt sehr ernst," sagt Hugo Demetz bei einer Tour durchs Hotel.13 Jahre dauerte es, bis die Auftraggeberfamilie Sanoner aus St. Ulrich, Inhaber der hochklassigen Adler Resorts und allesamt Fünf-Sterne-Häuser – die Baugenehmigung erhielt. Auch, weil der Grund im Naturpark liegt. Es gab Gegner, es gab Befürworter. Am Ende blieb der Anti-Fraktion mangels Argumenten nur das Schweigen, denn schließlich stand hier mit dem Hotel Mezdì schon lange zuvor ein Hotel, das zwar kleiner, dafür aber aus der Zeit gefallen war. Nach 14 Monaten Bauzeit wurde das 15-Millionen-Objekt im Juli 2014 eröffnet. Was die Lodge heute ausmacht, sind jedoch nicht all diese Zahlen, es ist die Seele Hauses, die sich in vielen Details äußert. Auf einem Treppenabsatz bleibt Hugo Demetz stehen. In einem Eck am Boden gruppieren sich messingfarbene Schalen zu strahlenden Lichtinseln. "Wenn man das Licht dämpft, sprechen die Menschen automatisch etwas leiser. Diesen Effekt haben wir hier im Haus genutzt", erläutert er (den Griff in die Trickkiste). Vielleicht ist man als Architekt ja immer auch ein bisschen Regisseur, so aus der Ferne. Ein Raum, seine Proportionen und seine Materialien bestimmen die Atmosphäre, das Erleben. Gediegen, modern, so der Gesamteindruck. Mit durchdachten, überraschenden Details, wie gesagt, seien es die Schnitzereien des Grödener Künstlers Markus Delago, seien es der Sägeschnitt der holzverkleideten Wand. Oder die gut ausgestattete Minibars in den Suiten, ein schließbarer Würfel in Form eines Louis-Vuitton-Koffers.


"Der Gesamtklang ist wichtig", sagt Hugo Demetz und dass er für seine Arbeit kein großes Orchester hinter sich will, das schließlich dirigiert werden muss. Lieber kümmert er sich selbst um Details. Lässt Ethno-Muster in Schlitzen an der Holzdecke aufblitzen oder strukturiert selbige mit Holzapplikationen. Im Wellnessareal unterm Dach stempelte er graphische Muster per Laserdruck an die Holzwand, in den Behandlungskabinen schweben Alpenblumen und Gräser in den blauen Kunstharzboden gegossen dahin, es wirkt, als ob sie im Wasser treiben. In den von Rudi Perathoner, dritter Architekt im Bunde, wunderbar gestalteten Chalets mit lauschigen Ecken und Nischen warten graue Capes aus Grödner Loden darauf, den Gast beim Gang in den sphärischen, 35 Grad warmen Sole-Außenpool zu wärmen. Sogar der prominente Berg draußen hat seine Finger bei der Gestaltung im Spiel: "Wir haben den mittleren Teil des Restaurants abgesenkt und damit tiefer gelegt, damit man auch beim Essen auf den Langkofel schauen kann", sagt Demetz. Dieser Berg – vielleicht gäbe es ohne ihn diese Lodge am Ende gar nicht.


Eine weitere Stimme im Gesamtklang ist die des Künstlers Adolf Vallazza,1924 geboren in St. Ulrich. Jetzt, mit 91, lieferte Vallazza ein zwölf Meter hohes Totem aus alten Hölzern für das Atrium des Hotels. Mit seinen naiv-primitiven Zügen könnte das Totem in Chile stehen oder in Colorado – oder eben hier auf der Seiser Alm, denn vor allem anderen hat es mit altem ladinischen Volkstum zu tun. Archaisch und kraftvoll hat sich Vallazza vom klassischen Herrgottschnitzer zum Holzbildhauer entwickelt, abstrahierte dabei die traditionellen Formen, es entstanden "Torsi" und "Throne". Zwei dieser Stühle stehen im Treppenaufgang der Lodge, Stühle, die eher Skulptur denn Möbel sind und deren Proportionen mit den gelängten Rückenlehnen ein bisschen an den "Hill House Chair" des Schotten Charles Rennie Mackintosh (von 1902) erinnern. Spannend, dass Vallazzas Back-to-the-roots-Entwürfe wie eine Befreiung von allzu fest gelegten Formen wirken – und das vielleicht seine größte Leistung ist. "Ab einem bestimmten Punkt sind alle Menschen gleich, ob in Tibet oder Südtirol", kommentiert Hugo Demetz. Vielleicht wurden Vallazzas Entwürfe ja genau deshalb in der Guggenheim Collection New York gezeigt – weil es ein universellen Sinn für Schönheit gibt, der jenseits von Kulturkreise und Stilen überall auf der Welt verstanden wird.


Warum aber eine Lodge oben auf der Alm? Die Idee stammt von den Bauherren, Familie Sanoner, mitgebracht von einer Afrika-Reise. Deshalb also die afro-, ethno- oder indianischen Spuren(elemente) im Haus? Da will sich Demetz sich nicht festlegen lassen: "Ich weiß nicht, wo aus meinem Kulturrucksack genau das her ist, das hat keine Systematik. Das ist eher wie eine große Damenhandtasche, eine Art von Gemüsesuppe – wenn man so will". Man hört eine feine Spur von Ironie heraus. Dann ist er wieder ernst: "Es sind eher die Schwingungen, die einen solchen Ort ausmachen. Nach ihnen entscheide ich", sagt er dann. Und erzählt, wie er anfangs über die Almwiese gegangen ist, wie er sich hingestellt, gesetzt, gelegt hat, um ein genaues Gefühl für jenen Kraftort zu bekommen, an den das Haus hin gehört. "Ich bin auch nicht der Alleinkünstler hier. Ich wollte keine bäuerlichen Elemente zitieren, im Grunde auch keine Stile, sondern diese eher durch künstlerische Elemente ersetzen"


Für die große, offene Halle, die Foyer, Lobby, Lounge und Restaurant in einem ist, hat Demetz die Polstermöbel eigens anfertigen lassen. Der langgestreckte Raum mit durchgehender Fensterfront hat Blickachsen vom Eingang bis hinten zum Frühstücksbuffet. Raumteiler und arrangierte Sitzgruppen setzen Akzente und in den üppigen, geerdeten Sesseln kann man beinah verschwinden, abtauchen und für sich sein. Die Oberflächen der niedrigen Holztische davor wirken, als seien sie geprägt, mit kurzen Strichen im Reliefmuster. Ob das wohl altes, transferiertes Holz mit Gebrauchsspuren ist? "Nein, da war nur der Hobel kaputt", amüsiert er sich und zerstreut elegant alle Zuordnungen. "Der Aufwand bestand eher darin, das Holz auszusuchen, das hat Zeit gebraucht", erklärt er dann. Als Freigeist will er wohl nichts hineingeheimnisst wissen, keine Etiketten oder Stilmerkmale hindübeln, zumindest, wo keine hingehören.


Gut, die Ponyfelle wie hier auf den Holzdielen hat man schon wo anders gesehen, sie scheinen zum Standard gehobener Designhotels zu gehören. Aber man muss das Rad ja nicht komplett neu erfinden, um eine dermaßen runde Sache hinzubekommen. Schlicht, unaufdringlich und trotzdem raffiniert, ist die Lodge ein Heim für Weltbürger, das auch der Grödner Bergführer gern mal zum Abendessen besucht. Der Gast spürt: Hier oben ist er gut aufgehoben. Und dankbar dafür, dass man an diesem besonderen Fleck keine architektonisch-alpenländische Motto-Fete mit Folklore-Gags veranstaltet hat. "Es jodelt nicht!", lobt ein Hotelgast aus Bayern das Hotel. Zu einem stimmigen Haus gehören für Demetz neben dem Ex- und Interior auch die Menschen, die dort arbeiten. "Vor allem Menschen, die mitdenken", sagt er. Es gibt sie hier: Da ist zum Beispiel Arik Oberrauch, der im Restaurant serviert und außerdem bei der Grödener Bergrettung arbeitet. Hier wie dort gehört er gehört zum alpinen Spitzen"personal". Außerdem fotografiert Arik, das richtig gut und inzwischen professionell. Seine feine Beobachtungsgabe und der geschärfte Blick für Details bekommen beiden Metiers, ob's dabei um die Stimmungen der Natur oder die seiner Gäste geht. Und – er macht sich weit mehr Sorgen um das nicht verspeiste Frühstücksei als der Gast selbst.


Das Fazit? Vielleicht reicht es, einfach, sich auf die zu Wiese setzen, wie der Architekt es tut, auf den Balkon oder unter den abendlichen Glashimmel der Ruhezone. In die Sterne schauen oder auf den Langkofel. Die Augen zumachen. Alle fünf Minuten nachschauen, ob er wirklich noch da steht, der Wahnsinnsberg. Wenn man dann da so sitzt und schaut – und gar nicht fertig wird damit, weiß man genau, warum jetzt genau hier sitzen möchte und nirgendwo sonst.