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San Sebastián im Baskenland: Auf Joggingtour mit Edurne Pasaban - SPIEGEL ONLINE

Edurne heißt Schnee. Der fällt in der baskischen Küstenstadt San Sebastián zwar eher selten. Doch auch hier hat man schon Langläufer nach Winterstürmen über den kilometerlangen Strand der Concha-Bucht flitzen sehen. Wesentlich häufiger trifft man allerdings die Höhenbergsteigerin Edurne Pasaban, die hier ihre Runden dreht.

Wie eine Sichel dehnt sich der Stadtstrand zwischen zwei Bergkuppen entlang der Häuserfront. Davor liegt der Paseo de la Concha - für die einen Flaniermeile, für andere wie Pasaban die schönste Trainingsstrecke der Welt. Zwischen Gehsteig und Straße ziehen sich Bidegorris dahin, so heißen die breiten, rot markierten Radler-Highways. Hier radelt oder läuft Pasaban, so oft sie kann.

"Die Basken sind ambicioso, ziemlich ehrgeizig", sagt Pasaban, während sie sich die Laufschuhe schnürt. "Ich trainiere immer ein bisschen, aber nicht mehr vier Stunden täglich wie damals zwischen meinen Expeditionen." Es sei toll, beim Laufen die Brise des Meeres zu spüren. "Im Himalaja beim Klettern hab ich oft an diesen Geruch gedacht. Man kann hier fast zehn Kilometer über die Strände der Stadt laufen. Und die Berge sind auch nur fünf Minuten entfernt."

2010 hat sie mit dem Shisha Pangma in Tibet den letzten ihrer 14 Achttausender bestiegen, als erste Frau überhaupt. Seitdem betrachten die sportverrückten Basken sie als eine Art Nationalheiligtum. Die 1,80 Meter große Alpinistin stammt aus dem nahen Tolosa, seit vier Jahren lebt sie in San Sebastián. "Wir lieben beinahe jede Art von Sport, auch mitten in der Stadt", sagt Pasaban. "Segeln, Schwimmen, Laufen, Tauchen, Kajak, Rudern - und zu fast jeder Disziplin gibt es einen saisonalen Wettbewerb."

Freiheitsgefühl im Himalaja

Von ihrer Wohnung mit Blick auf den Fluss Urumea sind es nur ein paar hundert Meter bis zum Strand, wo ein futuristisch anmutender Baukomplex aufragt - das architektonisch preisgekrönte Kongresszentrum trägt den Namen Kursaal. Über die Zurriola-Brücke geht es weiter in Richtung Jogger-Run. An der Ampel und gegenüber den Prachtboulevards warten drei Surfer, barfuß, mit Tattoos und Bodyboard unterm Arm. Nur Touristen wundern sich hier über tropfnasse Menschen auf der Straße.

"Der Zurriola-Strand liegt nur 150 Meter entfernt", sagt Pasaban. Ihre Stimme klingt tief, leicht rau. Wenn sie lacht, dann richtig. Sie wirkt selbstbewusst. Das war nicht immer so. "Ich war früher ein Sorgenkind und extrem schüchtern. Ich hab erst am Berg und nach Depressionen gelernt, an mich zu glauben." Von Selbstzweifeln ist heute nichts mehr zu spüren, sie hält Reden vor vollen Sälen und coacht Führungskräfte. Die Maschinenbau-Ingenieurin sagt gerne, was Sache ist. Das lernt man spätestens am Berg. Wo die Luft dünn ist, bleibt keine Zeit für Geplänkel.

Die Hausberge San Sebastiánssind nicht das, was Edurne Pasaban vom Himalaja oder Karakorum kennt: Beim Joggen umrundet sie den 135 Meter hohen Monte Urgull mit seiner Festung, bevor sie auf den malerischen Monte Igeldo am anderen Ende der Bucht zusteuert. Dort hat der weltbekannte Bildhauer Eduardo Chillida mit seiner eisernen Windskulptur Peine del Viento den brachialen Stürmen der Biscaya ein abstraktes Denkmal gesetzt.

Auch an den Achttausendern hat sie manches Unwetter überstanden, am K2 verlor sie zwei Zehen durch Erfrierungen. Trotzdem: "So wohl und so frei wie im Himalaja hab ich mich nirgends gefühlt", sagt die Baskin. Auf 21 Expeditionen kann sie zurückschauen, beinahe ganze Jahre hat sie in Basecamps verbracht. Wann immer sie kann, fliegt die 41-Jährige nach Katmandu, wo sie die Stiftung Mountaineerers for Himalaya (MHF) gegründet hat.

Cousin als Seelenverwandter

Rechts das Meer, links die Altstadt, vorbei am Schiffsmuseum und an der breiten Bootsrampe, die Kinder, Hunde, Kajakfahrer nutzen sie für einen schnellen Sprung in den Fluten. Und weil Extremsportler ja auch beim Laufen locker plauschen können, erzählt Pasaban einfach weiter. Vom nahen Tolosa, wo sie geboren wurde und von den Bergen der Heimat. "Der Txindoki ist zwar nur 1346 Meter hoch, aber er hat einen ziemlich steilen Kamm. Wir nennen ihn das baskische Matterhorn. An seinem Fuße hab ich Klettern gelernt."

Ihre erste Kletterstunde hatte sie mit 14, bei Asier Izaguirre - ihrem Cousin. Bis dahin wussten die beiden nichts voneinander, die Familien sind zerstritten. Mit Asier, er ist ein Jahr älter, entdeckte sie das Bergsteigen, gemeinsam mit ihm stand sie später auf sechs ihrer 14 Achttausender. Auch er lebt in San Sebastián. "Asier ist nicht nur mein Bluts-, sondern auch mein Seelenverwandter", sagt sie.

Nicht weit von Tolosa, liegt bei Zizurkil das kleine Landhotel der Familie. Abeletxe heißt es, Silberdistel. Pasaban hat es aufgebaut, zwischen ihren Expeditionen zum Kangchendzönga oder K2. "Jedes der Zimmer heißt nach einem Berg der Gegend: Uzturre, Txindoki, Loatzo oder Belkoain" - Baskisch klingt manchmal, als würde man rückwärts sprechen. "Bei uns geht jeder am Wochenende auf den Berg. Es gibt so viele schöne Wanderrouten, zu Bauernhöfen oder in eine Sidreria, wo es den typischen Apfelwein gibt - Routen, die nur Insider kennen".

Daher hat die Alpinistin die Reiseagentur Kabi Travels gegründet. Kabi ist das baskische Wort für K2. "Während das Baskenland eher unspanisch und ziemlich grün ist, mit vielen Hügeln, Wäldern und Nationalparks, sind die Pyrenäen wild, karg, einsam und zerklüftet. Sogar Gletscher gibt es hier, und der 3404 Meter hohe Pico de Aneto ist ein Ziel für echte Bergsteiger."

"Hola, Edurne, una foto?"

Nach dem Joggen und dem Streifzug durch die Stadt steht eine Kneipentour an - immer auf der Suche nach den besten Pintxos, den besten Minischnittchen der Welt. Das Niveau der baskischen Sterneköche hat längst auf die heimische Imbisskultur abgefärbt. Zu den kleinen Häppchen gibt es einen Txakoli, einen regionalen Weißwein. Natürlich geht auch ein Bier. Bezahlen. Gehen. Nächste Bar. Punkt. So geht eine Pintxo-Tour. Sofern man nicht mit Pasaban unterwegs ist. Dann dauert es etwas länger.

"Hola, Edurne, una foto?" Aber ja doch, Pasaban grinst in fremde Kameras, trifft alte Freunde, gibt ein Autogramm, dann entwischt sie in die nächste Kneipe. Dort hängt der Himmel voll mit luftgetrocknetem Schinken. Auf dem Tresen stapeln sich Teller mit mehrstöckigen Delikatessen. Auch Ensaladilla Russa gibt es, Russischen Salat, den isst Pasaban für ihr Leben gern - sei es im Basecamp am Annapurna oder hier in der Bar la Cepa.

"Gutes Essen ist den Basken wichtig", sagt Pasaban. Dann verrät sie noch mehr über ihre Landsleute: Sie jodeln sogar, die Basken. Das heißt dann Irrintzi. Unaussprechlich, auch nach dem dritten Txakoli.

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