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Wenn die Mieten in Berlin ungehindert steigen

Die Gegend rund um die Langhansstraße in Weißensee hat sich stark gewandelt, vor allem ältere Bewohner sind betroffen. Ein Besuch.

Wenn an der Langhansstraße in Weißensee wieder ein neues Baugerüst auftaucht, ist Rainer Haenel dankbar, dass er mit der Miete so viel Glück gehabt hat. Die Frage, wann sie teurer wird, beschäftigt den Mittsechziger trotzdem. Bis zur Rente erhält er Transferleistungen. Sanierungen und Mieterhöhungen sind ein großes Thema, wenn er mit Freunden spricht - auch beim Kaffeetrinken im Stammkiosk. Von dort blicken die Männer direkt auf ein Mehrfamilienhaus. Irgendwann war die Fassade rosa. Jetzt bröckelt der Putz. Das Regenwasser hat ihn an manchen Stellen ockerbraun gefärbt. Am Haus daneben wird gehämmert. Durchs Baugerüst schimmert strahlend weiße Farbe.

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Haenel sagt, er sei heilfroh, wenn bei ihm daheim alles so bleibt, wie es ist. Seit fast 20 Jahren lebt er in Weißensee. Damals war die Gegend noch eher Randgebiet. Seit Kurzem ziehen immer mehr Menschen hinzu. Haenel scheint es, als würde jede Lücke mit Neubauten gefüllt, jede Wohnung in Eigentum umgewandelt. Statt wie sonst ins Grün blickt er neuerdings auf Tiefgaragen. Rund um die Langhansstraße könnte deshalb bald ein Milieuschutzgebiet entstehen - das haben die Bezirksverordneten entschieden (siehe Text unten).

Laut Bezirksamt Pankow zogen zwischen 2009 und 2015 mehr als 28.000 Menschen nach Pankow. Auch im Gebiet Langhansstraße rechnen Investoren mit Zuzüglern. An der Behaimstraße, Börne­straße und Rossinistraße entstehen gerade 65 Eigentumswohnungen. Kaufpreise liegen zwischen 250.000 und 500.000 Euro. Drei Zimmer für 300.000 Euro im Schnitt.

Eigentumswohnungen für Anwohner zu teuer

Kaum ein Alteingesessener in dem Weißenseer Kiez kann sich das leisten. Manche von Haenels Bekannten können bereits die Mietsteigerung nicht finanzieren. Sie ziehen weg. Andere bezahlen 50 oder 60 Euro ihres Hartz-IV-Satzes, um die Miete mittragen zu können. Sie wollen bleiben. „Wo sollen sie auch sonst hin?", fragt Haenel. „Die Außenbezirke sind ja auch voll."

Für eine 40-Quadratmeter-Wohnung liegt der Pankower Mietspiegel zurzeit bei durchschnittlich 13,51 Euro. Noch vor einem Jahr waren es 12,20 Euro. Beide liegen über dem Berliner Durchschnitt von derzeit 11,97 Euro.

Der Kiez rund um die Langhansstraße in Weißensee wirkt gemütlich. Ein paar alte Häuser, so wie das rosafarbene, verharren unangetastet und etwas morsch. An vielen anderen wurde nachgeholfen. Jedes zweite Haus ist frisch gestrichen, hier und da wurden Doppelglasfenster und Balkone angebracht. Darauf stehen Blumenkästen und Windräder. Es gibt einen neuen Aldi, dazu einen Bioladen mit Parkplatz. Hunde werden spazieren geführt, Eltern bringen Kinder zur Schule.

Gerade Eltern prägen heute das Kiezbild. Von Neubauten und Modernisierungen profitieren sie jedoch kaum - im Gegenteil. „Ich habe Freunde, die sich ein zweites oder drittes Kind wünschen", sagt ein Vater aus der Börnestraße. „Aber sie haben keinen Platz in ihrer Wohnung. Ein Umzug kommt wegen schulischer oder beruflicher Verpflichtungen nicht infrage. Sich hier zu vergrößern ist finanziell unmöglich.

Also verzichten sie auf Kinder." Der Vater von zwei Kindern lebt seit sechs Jahren zur Miete. Sie verdienen nicht schlecht, sagt er. Trotzdem berichtet er von Schockmomenten, wenn der Vermieter im Haus plötzlich etwas erneuert. Vor Kurzem erst wurden die Fensterbänke, dann das ganze Haus gestrichen. „Ich habe richtige Bauchschmerzen bekommen. Ob sich die Miete erhöht, müssen wir jetzt abwarten." Milieuschutz begrüße er, wünsche ihn sich flächendeckend für ganz Berlin.

Das Klima ist verunsichert, die Menschen haben Angst

Heike Edler führt jeden Tag in der Max-Steinke-Straße ihren Hund spazieren. Sie sagt, sie sehe den Menschen an, dass sie Sorgen haben. „Das Klima ist unsicher. Die Anwohner sind unglücklich. Aber wir wissen nicht, was wir tun können, wo wir anfangen sollen." Die Bürokratie sei komplex, die Thematik schwierig. Wer keine Zeit habe, sich intensiv in Bezirksverordnungen und Gesetze einzulesen, könne resignieren. Im Milieuschutz sieht sie einen kleinen Anfang, den Mietern helfend unter die Arme zu greifen.

An der Straßenecke ein paar Meter weiter will man vom Milieuschutz nichts wissen. Hart arbeiten, die Miete aber trotzdem kaum bezahlen können. Dafür macht man hier Ausländer verantwortlich. Der Gedanke, dass sie Geld, gar Wohnraum umsonst erhalten, ist unerträglich. „Wir schützen uns selbst", sagt ein älterer Herr im Blaumann. „Die sind ja schon überall hier", fügt ein jüngerer hinzu. Fast jede zweite Person, die in den vergangenen sechs Jahren in den Bezirk gezogen ist, kommt aus dem Ausland, vor allem aus der Europäischen Union.

Dass nicht sie an der prekären Situation schuld sind, dass der Milieuschutz helfen soll, weitere Mietsteigerungen zu verhindern, ist den beiden Männern egal. „Die Politik da oben hat uns nichts mehr zu sagen." Vom Bürgerkrieg wird hier gesprochen und davon, dass man sich bald zurücknehmen werde, was den Deutschen gehört.

Im Gegensatz zu manchem Nachbarn findet Gerold Genssler es schön, dass jetzt mehr im Kiez los ist. Ihn stört stattdessen, dass einige Häuser, gerade die repräsentativen Neubauten, mit Zäunen umgeben werden. „Eine Entwicklung wird im Kiez immer sichtbarer: Es gibt jetzt Menschen, die von Hartz IV leben müssen, und Menschen, die nach Weißensee kommen, um in der Vorortentspanntheit ihren Nachwuchs aufzuziehen, ansonsten aber abgeschirmt leben." Seine Werkstatt an der Börnestraße hat der Musiker und Saitenmacher seit zehn Jahren. Er sagt, er könne nur durch extreme Selbstausbeutung überleben. Dafür ist er sein eigener Herr.

Im Gebiet rund um die Langhansstraße ist wenig Gewerbe übrig geblieben. Die neuen Anwohner scheinen nicht darauf angewiesen zu sein, vor Ort einzukaufen, vermutet Genssler. „So haben die Anwohner nicht wirklich etwas von dem neuen Reichtum." Wird das Bezirksamt Pankow die Langhansstraße unter Milieuschutz stellen, könnte dieser Prozess aufgehalten werden. Dann werden Häuser, so wie das mit der rosafarbenen Fassade, vielleicht noch eine Weile bleiben, wie sie sind und das alteingesessene Gewerbe erhält vielleicht eine neue Chance.

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