Als Student war er der Freak mit dem Klotz im Gesicht: der ersten Datenbrille. Heute ist Thad Starner Chefentwickler von Google Glass. Er will, dass wir sehen und nicht mehr denken.
Herr Starner, Sie entwickeln seit 25 Jahren Computerbrillen und waren wohl der erste Mensch, der ein solches Gerät täglich benutzte. Warum?Als Student am Massachusetts Institute of Technology hatte ich das Problem, den Vorträgen von meinen Professoren folgen und gleichzeitig mitschreiben zu müssen. Ich versuchte es mit einem Laptop, aber das nahm trotzdem noch zu viel meiner Konzentration in Anspruch, um die Vorlesungen auch zu verstehen. Die Lösung war für mich ein Bildschirm an meiner Brille, durch den ich meine Notizen und zugleich den Dozenten und die Tafel im Blick haben konnte. Zum Schreiben benutzte ich eine Einhandtastatur, mit der ich bis zu 108 Wörter pro Minute tippen kann - und stehend immerhin noch 70.
Sie tragen Ihre selbstkreierten Computerbrillen-Modelle seit 1993. Wie haben sie Ihnen im Alltag weitergeholfen?
Die wichtigsten Erkenntnisse meines Studiums sammelte ich nicht in Vorlesungen, sondern in persönlichen Gesprächen mit berühmten Wissenschaftlern. Sobald ich meine Computerbrille trug, konnte ich jederzeit Ideen festhalten, die ich zum Beispiel in Gesprächen auf den Gängen der Universität oder auf der Straße hatte. Das war extrem hilfreich und ermöglichte mir erst das Wissen, das ich heute habe.
Wie kamen Sie zu Google Glass?
1998 zeigte ich Larry Page und Sergey Brin, als sie noch Studenten in Stanford waren, auf einer Computermesse eines meiner Vorführmodelle. Sie fragten: Was ist das für ein Ding? Und ich antwortete: Ich benutze es für Notizen, für E-Mails und SMS, und ich schreibe meine Arbeiten darauf. Wir tauschten Telefonnummern, hatten dann aber eine ganze Weile keinen Kontakt mehr. Ich wurde Professor, Larry und Sergey gründeten Google. 2010 schickte ich eine E-Mail an Sergey. Wie sich herausstellte, hatte ich mich genau zur richtigen Zeit gemeldet, denn die beiden hatten sich da gerade entschieden, eine eigene Computerbrille zu entwickeln.
Was bringt normalen Leuten eine Computerbrille?
Viele Leute kaufen Google Glass, um Urlaubsfotos zu schießen. Sie wollen möglichst spontan und einfach ein Foto machen. Nach einer Weile merken sie dann aber, dass das Gerät auch simple Alltagsroutinen wie das Lesen und Schreiben von Mitteilungen oder das Führen von Kalendern und Blogs vereinfacht. Es hilft einem dabei, Unterbrechungen besser zu managen. Sobald man eine Mitteilung bekommt, gibt die Brille mit Hilfe eines Knochenleitungs-Lautsprechers am Brillensteg ein kurzes Audiosignal, das nur der Nutzer hört. Wann immer man möchte, kann man den Kopf heben, der Bildschirm geht an, und die Nachricht wird sichtbar. Entweder kann ich dann sofort antworten, oder ich nicke ein weiteres Mal, und der Bildschirm geht wieder aus. Auch der Zugang zu Notizen und anderen Informationen ist so viel einfacher und zeitsparender als über ein Smartphone. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, man ist weniger abgelenkt und somit produktiver.
Seit April ist Google Glass in den Vereinigten Staaten erhältlich. Wie viele Leute tragen die Brillen?
Mehrere tausend. Besonders in Kalifornien sieht man die Brille mittlerweile ziemlich häufig.
Wie sind die Reaktionen der Nutzer?
Viele, die die Brille zum ersten Mal ausprobieren, sind überrascht, dass der Bildschirm nicht die normale Sicht stört. Danach führe ich meist Funktionen wie die Websuche und die Navigation vor oder wie man eine Nachricht verschickt. Die meisten sind besonders verblüfft darüber, wie gut die Sprachsteuerung der Brille funktioniert.
Welche Funktionen wünschen Sie sich noch für die Datenbrille?
Ich hätte gern ein besseres „augmented memory", also zum Beispiel bessere Wege, To-do-Listen zu erstellen, die klassische Post-It-Zettel ersetzen. Ich finde, in diesem Bereich können wir bei Google Glass noch manches besser machen. Das ist im Übrigen etwas, an dem ich in meiner Forschungsarbeit intensiv gearbeitet habe. Es geht um die Grundidee, die Zeit zwischen einer Intention und Aktion mit Hilfe von Technologie möglichst kurz zu gestalten. Wir müssen Technologie so konzipieren, dass sie unsichtbar wird, weil man sie rein intuitiv nutzt, als wäre sie ein Teil des menschlichen Körpers - so wie Ihre normale Brille oder die Bremsen Ihres Fahrrads.
In Europa gibt es noch eine Menge Vorbehalte gegen das Produkt.
Die meisten Kritiker haben das Gerät noch nie gesehen. Bei einer Vorführung lösen sich die Ängste dann oft in Luft auf. Wir haben zum Beispiel streng darauf geachtet, dass dem Nutzer und auch seinem Gegenüber jederzeit bewusst ist, wann das Gerät eingeschaltet ist. Es ist eindeutig zu erkennen, ob der Bildschirm an oder aus ist.
Macht es Ihnen überhaupt keine Sorgen, dass die technisch aufgerüstete Brille als Überwachungsinstrument missbraucht werden kann?
Jede Technologie kann in den falschen Händen eine Gefahr sein. Jeden Augenblick könnte jemand das Navigationssystem in Ihrem Auto, Ihr Telefon oder Ihr Wi-Fi anzapfen, das wäre gar nicht schwer. Aber denken Sie ständig an diese Gefahr? Neue Technologie schürt immer Erwartungen und Ängste. Nehmen Sie den ersten massenweise verfügbaren Fotoapparat von 1890, die Kodak Brownie. Wenn man Zeitungsartikel von damals liest, sieht man, wie beunruhigt die Leute über diese Erfindung waren. Manche dachten, das sei das Ende der Welt. Und heute wissen wir, dass das nicht der Fall war.
Aber im Fall der Google-Brille geht es ja konkret um eine sehr weitreichende Bedrohung der Privatsphäre. Fürchten Sie denn nicht auch um Ihre eigene Privatsphäre?
Ich bin ein Fundamentalist, wenn es um Privatsphäre geht. Ich forsche und halte Vorträge darüber, wie man Privatsphäre technisch implementiert. Im Fall von Google Glass mag das eine schwierige Aufgabe sein. Als Technikentwickler habe ich besondere Designkriterien für Geräte zum Schutz der Privatsphäre, die auch meinen eigenen moralischen Prinzipien entsprechen. Mir geht es aber nicht darum, die technischen Möglichkeiten des Endgeräts zu beschränken, sondern um einen gesellschaftlichen Verhaltenskodex, sich ethisch korrekt zu verhalten. Und das bedeutet für mich, Geräte möglichst so zu entwickeln, dass sie ein solches Verhalten begünstigen.
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