Gesicht und Oberschenkel sind angeschwollen, feuerrot und übersät mit nässenden Stellen. Stellen, die später oft trocken und rissig werden. Das Quälendste aber sieht man nicht: den Juckreiz. Das Kind kratzt sich die Haut wund und blutig und hört gar nicht mehr auf zu schreien. Für die Eltern ist dann an Schlaf nicht zu denken, die Sorgen sind groß. Neurodermitis ist laut einer Umfrage der Krankenkasse DAK die meistgefürchtete Diagnose unter Eltern. Mehr als jeder Vierte hat Angst, dass die eigenen Kinder erkranken.
Nicht ganz zu Unrecht: In Deutschland sind 14,3 Prozent der 0- bis 17-Jährigen von Neurodermitis betroffen. In der Hälfte der Fälle tritt die Krankheit schon im ersten halben Jahr nach der Geburt auf. Zwar bildet sich die Neurodermitis bei etwa jedem zweiten Kind bis zum Schulalter zurück, bei anderen aber bleibt sie ein Leben lang. Aber woher kommt das Hautleiden und was hilft gegen den Juckreiz?
Um zu erklären, wie Neurodermitis entsteht, benutzen Forscherinnen und Forscher ein wenig tröstliches Wort: multifaktoriell. In diesem Fall bedeutet das eine Mischung aus genetischer Veranlagung, einer überschießenden Reaktion des Immunsystems und Umwelteinflüssen, wie etwa dem Aufwachsen in der Stadt. In letzter Zeit steht dabei vor allem die Hautbarriere im Mittelpunkt der Forschung (: Weidinger & Novak, 2016), also der Schutzwall, den die obersten Zellen der Hautschicht bilden. Wird die Hautbarriere undicht, können mikroskopisch kleine Allergene in den Organismus eindringen. Diese werden von Abwehrzellen, die in den oberen Hautschichten patrouillieren, aufgenommen. Dann beginnt eine Enzündungskaskade, an deren Ende Nervenfasern in die Haut einsprießen und der Botenstoff Histamin ausgeschüttet wird. Beides sorgt dafür, dass die Haut anfängt zu jucken. Das Fatale: Wer jetzt kratzt, schwächt die Barriere zusätzlich und setzt damit einen Teufelskreis in Gang.
Die Mikroben Gesunder sollen die Flora der Haut wiederherstellenDas nutzen auch Bakterien aus, die bei einer gesunden Hautbarriere kaum Überlebenschancen hätten - etwa Staphylococcus aureus. Dieser Keim gibt Toxine in die Haut ab und trägt so dazu bei, dass sich die Entzündung weiter verschlimmert. Sowieso scheint das Zusammenspiel der Bakterien, die die Haut bevölkern, bei der Neurodermitis eine Schlüsselrolle zu spielen. Dieses Hautmikrobiom unterscheidet sich zwischen Gesunden und Neurodermitikern. Bei Letzteren tummeln sich weniger schützende Mikroben (Allergy, Asthma & Immunology Research: Kim et al.; 2018). Diese Fehlbesiedlung versuchen Forscherinnen seit Kurzem zu korrigieren. Sie wollen die guten Bakterien eines Gesunden auf die geschwächte Haut eines Neurodermitikers verpflanzen. In einer kürzlich veröffentlichten Studie behandelten Medizinerinnen und Mediziner zehn an Neurodermitis erkrankte Erwachsene und fünf Kinder mit dem Bakterium Roseomonas mucosa, das sie auf der Haut von Gesunden gesammelt hatten (JCI Insight: Myles et al.: 2018). Zweimal wöchentlich sprühten sich die Probanden eine Bakterienlösung auf die erkrankten Hautstellen. Tatsächlich zeigte sich bei ihnen nach sechs Wochen eine deutliche Verbesserung der Neurodermitis. Nun müssen größere Studien die Wirksamkeit der Methode bestätigen. Auf desinfizierende Cremes und Chlorbäder, wie sie früher empfohlen wurden, sollte man bei Neurodermitis aber schon jetzt verzichten, denn dadurch sterben auch die nützlichen Keime.
Auch einem anderen Aspekt der Neurodermitis wird immer mehr Aufmerksamkeit zuteil: der Psyche. Psychoimmunologen erforschen das komplexe Zusammenspiel von Seele und Körperabwehr. "Psychische Belastungen beeinflussen das Immunsystem. In Stressphasen wird die Neurodermitis deshalb bei vielen Patienten schlimmer", sagt Angelika Buske-Kirschbaum, Professorin für Biopsychologie an der TU Dresden. Ein möglicher Grund: Neurodermitiker schütten bei Stress weniger Cortisol aus als gesunde Patienten (The Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism: Buske-Kirschbaum et al., 2002). Cortisol ist ein Hormon, das die Immunantwort hemmt. Ist davon zu wenig vorhanden, ist das Immunsystem überaktiv. Cortisoncremes sollen das bei Neurodermitikern teilweise kompensieren. Deshalb zählt das Medikament noch immer zur Standardtherapie bei Neurodermitis.