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Katalonien vor der Wahl: "Wir sind keine Spanier" - SPIEGEL ONLINE

Die Stimmung war wie auf einem Popkonzert. Zehntausende hielten ihre Handys in die Höhe und sangen die Hymne der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Vor dem Nationalen Kunstmuseum von Barcelona feierten sie am Freitag das Finale eines wochenlangen Wahlkampfs: An diesem Sonntag stimmt Katalonien über ein neues Parlament ab. Gleichzeitig entscheidet die autonome Region, ob sie in Spanien verbleiben oder einen eigenen Staat gründen will.

Die Regierung der Region hatte die Wahlen vorgezogen, weil es sonst keinen legalen Weg gab, ein Referendum über die Unabhängigkeit abzuhalten.

Menschen jeden Alters füllten eine Fläche größer als fünf Fußballfelder auf der Avinguda de la Reina Maria Cristina. Begeistert schwenkten sie die "Estelada", die rot-gelb gestreifte Fahne mit dem Stern, die für ein eigenständiges Katalonien steht. Immer wieder skandierten die rund 70.000 Menschen den Ruf nach der Unabhängigkeit: "In-Inde-Independència!"

Artur Mas, der katalanische Regierungschef, versprach ihnen: "Die Wahlurnen werden uns Würde, Wohlstand und Freiheit bringen!" Damit sprach er den Leuten auf der Straße aus der Seele.

"Wir sind keine Spanier", stellt der Rentner Angel Rivera klar. Katalonien habe seine eigene Sprache und seine eigene Geschichte. Der 16-jährige Ferron Piqué sagt: "Die Regierung in Madrid repräsentiert nicht unsere Interessen. Sie ignoriert unsere Rechte." Der Jugendliche hat sich stark im Wahlkampf engagiert, Menschen am Telefon und auf der Straße über die Abstimmung aufgeklärt. Für ihn ist der Vorteil der Unabhängigkeit klar: Katalonien sei ohne den Rest Spaniens wirtschaftlich viel stärker.

Die Gesellschaft ist gespalten

Zwei Zahlen, die die Abspaltungsbefürworter wie ein Mantra wiederholen: Katalonien trage mehr als ein Fünftel zur Wirtschaftsleistung Spaniens bei, bekomme von der Regierung aber nur weniger als ein Zehntel zurück. Das Geld brauche die Region selbst, meint Ferron Piqué, zum Beispiel für bessere Renten: "Es geht hier um unsere Zukunft".

Doch in der Bevölkerung gibt es keine Mehrheit für die Unabhängigkeit. Nach den jüngsten Umfragen ist etwas weniger als die Hälfte der Katalanen für die Abspaltung. Etwa genauso viele sind dagegen. Der Rest weiß es noch nicht. Es geht ein Spalt durch die Mitte der Gesellschaft.

Bis vor ein paar Jahren hatte niemand damit gerechnet, dass die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien noch mal so stark werden würde. Dann kam das Jahr 2012, als erstmals mehr als eine Million Menschen am "Diada", dem katalanischen Nationalfeiertag, auf die Straße gingen und für einen eigenen Staat demonstrierten. Das machen sie seitdem jedes Jahr.

Der katalanische Wahlforscher LLuis Orriols erklärt das mit zwei Faktoren: Zum einen sei 2012 die Staatsschuldenkrise über das Land gekommen, die Regierung musste sparen und kürzte die Ausgaben. Das sorgte für große Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Ein anderer Grund sei die Madrider Zentralregierung um den konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy von der Partido Popular (PP), der sich kompromisslos gegen ein Referendum in Katalonien stellt. "Viele Menschen sind es leid, nicht gehört zu werden", sagt Orriols. Sie fühlten sich von der Partei unterdrückt.

"Wirtschaftlich eng mit Spanien verbunden"

Tatsächlich hätte der Kontrast zwischen der finalen Kundgebung der PP in Barcelonas Kongresszentrum und dem Straßenfest der Unabhängigkeitsbefürworter nicht größer sein können. Während auf der Straße die Jugendlichen zu Chart-Musik tanzten, saß im Sitzungssaal ein deutlich älteres Publikum und hörte Spaniens Ministerpräsident Rajoy und Frankreichs Ex-Präsident Nicolas Sarkozy für ein einiges Spanien in Europa werben.

Die Katalanen hier halten von einem eigenen Land überhaupt nichts. "Katalonien ist wirtschaftlich viel zu eng mit Spanien verbunden", sagt Jorge Plans, der mit Immobilien reich geworden ist. Die 72-jährige Inma Costa meint, dass die wirtschaftliche Stärke der autonomen Region gerade eine Pflicht sei, mit dem Rest von Spanien solidarisch zu sein. "Wir haben so stark von Menschen aus anderen Regionen profitiert. Das war nicht allein Kataloniens Verdienst", sagt sie.

Wahlforscher Orriols prognostiziert für Sonntag einen knappen Sieg der Separatisten nach Parlamentsmandaten, aber nicht nach Stimmen. Grund dafür ist eine ungleiche Verteilung der Sitze im Parlament auf die Regionen Kataloniens: Auf dem Land, wo es mehr Befürworter einer Abspaltung gibt, kommen weniger Wahlberechtigte auf ein Mandat als im zuwanderungsgeprägten Barcelona. "Wenn aber weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten für die Unabhängigkeit stimmen, geht der Charakter eines Referendums verloren."

Die katalanische Regierung hat bereits angekündigt, dass sie auch im Falle einer Mehrheit der Sitze ohne Mehrheit der Stimmen ihren Kurs fortsetzen will. Der sieht die Unabhängigkeit Kataloniens binnen 18 Monaten vor. Orriols glaubt aber, dass auch dann noch nicht das letzte Wort gesprochen wäre. Im Dezember finden in Spanien die nationalen Parlamentswahlen statt. Je nachdem, wer dann an die Regierung kommt, könnte es auch wieder Verhandlungen über eine stärkere Autonomie Kataloniens geben - ohne Unabhängigkeit.


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