Langsames Internet, Mitgliedschaft im Trachtenverein, der Gang in die Kirche - im Vergleich zu pulsierenden und anonymen Städten klingt das Leben auf dem Dorf im 21. Jahrhundert wenig verlockend. Aber auch, wenn die Beschreibung voller Klischees steckt: Bei ständiger Abwanderung und strukturellen Defiziten scheint die älteste Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens nicht mehr zeitgemäß. Wie steht es aber wirklich um das Dorf und wie zukunftsfähig sind seine Strukturen? Sieben Studentinnen der Zeppelin Universität haben sich in ihren ersten beiden Semestern mit ländlichen Strukturen beschäftigt und einiges über die Zukunft des Dorfes herausgefunden.
Von der Architektur des Dorfes
Im sogenannten Zeppelin Projekt forschen neue Studenten der Universität im 1. und 2. Semester zu einem breiten Überthema. „Architekturen" war es dieses Jahr, doch anstatt sich mit Bauwerken zu beschäftigen, wollte ein Teil der Nachwuchsforscher lieber gesellschaftliche Strukturen untersuchen. „Unser Blick fiel sehr schnell auf Beziehungsgeflechte und die Zusammenhänge zwischen Menschen", erklärt Gruppensprecherin Sarah Zwink. Dazu sei dann ein generelles Interesse an kommunalen Ereignissen und gesellschaftlichen Strukturen gekommen, fügt Gruppenmitglied Theresa Adenstedt hinzu: „So haben wir dann tatsächlich schnell und bewusst den Blick auf die Entwicklungen im ländlichen Raum gerichtet."
Forschung live: Das Zeppelin Projekt
Wo sich Fuchs und Hase „Gute Nacht" sagen
Schließlich dominiert die Zukunft des Dorfes immer wieder die Schlagzeilen deutscher Medien. Landflucht, der demografische Wandel und rechts-konservative Tendenzen sorgen häufig für hitzige Diskussionen. Was ist es aber, das viel zitierte Dorf? „In der Tat ist es gar nicht so leicht, herauszufinden, was ein Dorf zu einem Dorf macht", erklärt Zwink. „Für uns war vor allem die Gruppe zwischen 500 und 1000 Einwohnern interessant. „Wir haben das Dorf als Begegnungsstätte des öffentlichen Lebens ausgemacht", fügt Adenstedt hinzu. Besonders beschäftigt haben sich die jungen Forscher mit den Dorfbewohnern und ihren Verbindungen untereinander. „Das ist für uns das Elementare in einem Dorf", erklärt Ronja Lind, ein weiteres Mitglied der Gruppe. „Viele von uns kommen selbst vom Dorf. Dadurch ist das Projekt für uns noch interessanter geworden", fügt sie hinzu.
Zur Information: Was ist eigentlich Sozialkapital?
Sozialkapital statt Ackerbau
An welcher Stelle soll man aber beginnen, um einen Dorfbewohner zu erforschen? „Wir haben schnell darauf abgezielt die Gruppenprozesse im Dorf zu beleuchten", erklärt Adenstedt. Ein Faktor, der aktuell viel zu wenig betrachtet wurde, sei das Sozialkapital. Diese Größe stellt Handlungsbegünstigungen dar, die durch die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entstehen. Zunächst einmal hat die Gruppe dazu ein eigenes Modell auf Basis intensiver Literaturrecherche entwickelt. „Wir haben uns mit allen wesentlichen Autoren von Putnam über Coleman bis Bourdieu beschäftigt und daraus eine eigene Grundlage entwickelt", erklärt Zwink. Besonders schwer sei es gewesen, Sozialkapital greifbar zu machen. Für ihr Modell haben die Studentinnen deshalb auf einer allgemeinen und einer spezifischen Ebene gearbeitet. Erste Grundannahme war, dass Dorfstrukturen das Sozialkapital beeinflussen können. „Der einzelne Dorfbewohner kann das Sozialkapital für sich nutzbar machen. Wer ein hohes Sozialkapital hat und sich sozusagen wohl fühlt, zieht seltener aus dem Dorf", erklärt Zwink die Hypothese der Gruppe. „Ganz zum Schluss können wir dann Schlüsse auf die Zukunftsfähigkeit ziehen", erklärt ihre Kommilitonin Ronja Lind.
Feldversuch zwischen Fischingen und Neenstetten
Um ihr Modell am lebenden Objekt zu testen, haben sich die Nachwuchsforscher drei Dörfer in Baden-Württemberg gesucht. Ihre Wahl fiel auf Neenstetten, Fischingen und Häg-Ehrsberg. „Wir haben Annoncen in den Lokalblättern geschaltet und mit 700 Leuten jeden aus dem Telefonbuch angerufen", erklärt Adenstedt das Vorgehen der Gruppe. 108 Probanden nahmen sich am Ende Zeit für die Befragung durch den wissenschaftlichen Nachwuchs, der selbst von der großen Bereitschaft überrascht war. „Die Leute haben regelrecht auf uns gewartet und ihre ganze Lebensgeschichte erzählt", sagt sie erfreut. „Besonders wichtig war uns, dass die drei Dörfer ähnlich groß sind, in einem gewissen Abstand zu den gleichen, größeren Städten liegen und die selben wirtschaftliche Strukturen aufweisen", erklärt sie weiter. Gleichzeitig habe die Gruppe aber auch darauf geachtet, Gemeinden mit unterschiedlicher Vereinskultur auszuwählen. Denn gerade die Vereinsstruktur sei zentraler Punkt im Dorf. „Sehr viele Befragte sind bei den Landfrauen, im Trachtenverein oder dem Sportclub aktiv", bestätigt Zwink. Die Leute, die aktiv in Vereinen sind, fühlten sich wohler. „Ihr Sozialkapital ist höher, die Wegzugsbereitschaft deutlich geringer", führt Adenstedt aus und sieht ihre erste Hypothese bestätigt.
Das Dorf hört mit
Doch nicht nur auf die Mitgliedschaft in Vereinen käme es beim Thema Sozialkapital an. Informelle Treffen und Vertrauen hätten einen weit höheren Stellenwert. „Auch wenn auf dem Dorf viel getuschelt wird, ist das Vertrauen stark ausgeprägt", erklärt Lind. Bei intimen Fragen oder materiellen Dingen sei aber Schluss, haben die Gruppenmitglieder festgestellt: „Probleme in der Partnerschaft werden höchsten mit drei engen Freunden behandelt. Und auch der Kostenvoranschlag vom Handwerker aus dem Dorf reicht nicht aus, sondern wird mit anderen Angeboten verglichen", erklärt Lind Parallelen zum Stadtleben.
Neben Netzwerken und Vertrauen sind Werte und Normen die dritte Komponente des Sozialkapitals. Diese im Dorf zu erkennen, sei aber besonders schwer gewesen, erklärt Zwink mit Blick auf zukünftige Forschung. Am Ende hat die Gruppe trotzdem acht Indikatoren beleuchtet und Aussagen über Vereinsmitgliedschaften, die Teilnahme an Dorfaktivitäten und verschiedene Formen von Unterstützung und Vertrauen getroffen. In Anbetracht knapper Zeit sei dieser Index ein beachtliches Ergebnis, finden die Studentinnen.
Zum Durchklicken: Die Abschlusspräsentation der Forschungsgruppe
Hohes Sozialkapital senkt Bereitschaft zum Wegzug
Auch wenn einige Gruppen leicht über- oder unterrepräsentiert seien, fällt das Ergebnis der Studienbeginner relativ klar aus: Wer den Dorfbewohnern vertraut und in Vereinen aktiv ist, der weist ein hohes Sozialkapital auf und zieht seltener in die Stadt. Generalisieren will die Gruppe ihre Ergebnisse nicht. „Vielleicht wählt jemand unseren Ansatz für intensivere Forschung. Es wäre sicher spannend, einen Index mit mehr Indikatoren und Fragen zu entwickeln und besonders Werte und Normen im Dorf greifbar zu machen", hofft Adenstedt. Einen generellen Schluss fasst Gruppenmitglied Lind am Ende aber doch: „Die Stadt überlagert das Dorf. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass es das Dorf auch in zwanzig Jahren noch geben wird. Schließlich wird städtischer Wohnraum teurer und knapper." Und auch wenn sie nur einen kleinen Teil des Dorfes beleuchtet haben, sind die Studentinnen zufrieden. „Unsere Analyse des Sozialkapitals ist zwar noch ausbaufähig, lohnt sich aber auf jeden Fall für kommunale Akteure", sagt Gruppensprecherin Zwink selbstsicher und lächelt.
Fotos: Ksenia via jugendfotos.de (Titel), Florian Gehm (Portrait & Text)Zum Vertiefen: Der Forschungsbericht der Studierenden