Eine Rakete steigt zum Himmel auf und platzt in einem Hagel voller bunter Effekte. Eine weitere folgt und bricht mit ihrem Donner die Dunkelheit der Nacht. Dann setzt ein Klavier ein und schärft den Sinn dafür, das nicht schon wieder ein Jahr vorbei ist, sondern im Laufwerk lediglich die ersten Takte eines der meist erwarteten Alben 2013 rotieren.Zwei Jahre haben Freunde deutschsprachiger Musik auf den 12. April 2013 gewartet, an dem der Berliner Musiker Friedrich Kautz unter dem Namen Prinz Pi seine neueste Langspielplatte „Kompass ohne Norden" veröffentlicht. Zu Recht, denn mit der Suche nach seiner inneren Mitte liefert der studierte Kommunikationsdesigner sein bislang rundestes Album ab.
Vorbei sind die Zeiten von Verschwörungstheorien und Berliner Untergrund mit dem Pseudonym Prinz Porno. „Friedrich hat im Moment eine ganz wichtige Phase, in der er sehr viel nachdenkt und reflektiert", verriet Produzent Matthias Millhoff im vergangen Jahr und fasst damit den Grundton der rund einstündigen Platte in die richtigen Worte. Denn wer da spricht, ist ein gealterter Prinz Pi, der voller Weisheit seine eigenen Fehler reflektiert, der voller Bitterkeit den Verfall von Freundschaft und Liebe anprangert und der voller Sorge auf die Globalisierung und ihre wirtschaftlichen Folgen blickt. Ein Mittdreißiger, Vater einer kleinen Tochter und Besitzer eines Familienwagens. Ein Spießer, wie ihn der Spiegel kürzlich nannte.
Selten fand ein deutscher Musiker so feine Worte, um seiner Chronologie der Welt den richtigen Schliff zu verleihen. Wie aus 15 Jahren Musikerfahrung bekannt, spricht und singt sich Kautz in höchster Eloquenz durch die 13 Anspielstationen seines neusten Machwerks. Zusammen ist Kautz und Millhoff mit „Kompass ohne Norden" ein kleines Juwel gelungen; ruhig und melodiös. Die hochwertig produzierten Instrumentals untermalen die Geschichten, die Kautz auf ihnen ausbreitet. Verstärkt werden sie durch handverlesenes und selbstständig gelötetes Equipment, das verschiedenste Instrumente zu einem ganz besonderen Teppich verwebt. Ein beeindruckendes Trompetensolo im Song „Glück" oder wütende Synthesizer im „Frühstücksclub der toten Dichter" sorgen für neugieriges, begeistertes oder nachdenkliches Aufhorchen.
Ziellosigkeit. Erwachsenwerden. Sich selbst finden. Fast schon verzweifelt wirkt es, wenn Kautz in „Moderne Zeiten" zu seiner Mutter sagt: „Mama. Diese Welt von heute ist doch designt für ewig junge Leute". Im nächsten Moment sprüht der Berliner vor Zuversicht auf der Suche nach der großen Liebe; singt auf dem Song „Glück" Zeilen wie: „Wenn nichts anderes übrig bleibt, bleibt das wir", nur um ein Lied weiter von der eigenen Ernüchterung eingeholt zu werden. Allzu oft erkennen sich vor allem junge Hörer wieder, ständig dem digitalen Konsumdruck ausgesetzt. Und so schaut man das ein oder andere Mal betroffen zu Boden, wenn Kautz messerscharfe Diagnosen einen selbst treffen: „Unsere smarten Handys machten aus Beziehungen, Chats, Text, Messages und Touchscreen-Berührungen." Die Liste an nennenswerten Zitaten ließe sich an dieser Stelle endlos fortführen. Wie schon das Spex-Magazin für Popkultur erkannte: Er gehört „zu den wenigen deutschen Rappern, die Zeilen produzieren, die geschrieben manchmal noch schöner werden, als gesprochen". Denn die Stimmungen sind abwechslungsreich wie selten auf deutschsprachigen Alben, wenn sich auch ein zu starker Fokus auf das berühmt-berüchtigte „Coming of Age" kritisieren lässt.
Doch auch Kritiker beruhigt Kautz schnell, besonders mit seinem einzigem Gast, dem langjährigen Wegbegleiter Casper, an seiner Seite. Gemeinsam beweisen sie mit „100x" ihre Ausnahmestellung im deutschen Musikgenre, wenn sich zu Kautz melodischer Stimme das raue Kratzen des in den Vereinigten Staaten aufgewachsenen Benjamin Griffey gesellt. Doch zusammen singen auch sie vor allem von Perspektivlosigkeit, dem aussichtslosen Leben in den Randgebieten der Metropolen und auf den Dörfern der Republik: „Vorstadtidylle für Eltern, Hölle für Kids."
Glücklich. Melancholisch. Traurig. Manisch depressiv. Vielleicht fehlt der Druck vergangener Alben, der gesellschaftliche Hass im Vergleich zu den - gerade in Kautz' Kontext oft zitierten - „alten Tagen", doch ist dieser bei seinem sprachlichen Gewicht kaum mehr nötig, wenn Aufzählungen und Metaphern das Bild einer ganzen Gesellschaft am Reißbrett skizzieren. Denn Kautz blickt auf die Menschen nieder, steht über dem Trubel, dem Verkäufer bei Porsche, dem Sprecher der Tagesschau, dem Aktivisten einer Nichtstaatlichen Organisation. „Alle wissen, was sie sind. Alle wissen, wo sie stehen.Ich guck' in das Goldfischglas und kann all die Fische sehen", erklärt er in „Säulen der Gesellschaft", einem der thematischen Höhepunkt des Albums.
In welche Richtung er seinen inneren Kompass ausrichten muss, weiß Kautz wohl am Ende seiner musikalischen Reise immer noch nicht. Doch das ist auch gut so. Denn so bleibt zu hoffen, dass der Berliner seine treue Zuhörerschaft auch weiterhin mit hochwertigen Machwerken versorgt. Und wenn nicht die, dann wenigstens die Gesellschaft und den verbitterten Lehrer, der im Jahr 2040 gemeinsam mit seinen Schülern Zeilen wie „Wenn die Flüge billig werden, dann freut Euch das doch auch. Der große, rote Drache hustet für Euch Flatscreens aus seinem Bauch" konsumkritisch analysiert, um sie auf eine Song-Interpretation eines gewissen Prinz Pi in ihrer Abiturklausur einzustimmen.
Florian Gehm und Tom Schliemann haben das neue Prinz Pi Album zwei Wochen vor Release unzählige Male durchgehört. Die Beiden danken Friedrich für seine Musik, Wassif für die Bearbeitung ihrer Anfragen und Sven und Vivien von der "verstärker medienmarketing gmbh" für die gute Zusammenarbeit. (Florian Gehm und Tom Schliemann | Erschienen im SHZ)