Napoleon und andere „große“ Männer
Michael Gamper setzt
sich große Ziele und entwickelt noch größere Thesen. Weniger wäre seinem
Gegenstand, der Geschichte des „politischen Phantasmas“ des „großen
Mannes“, auch nicht angemessen gewesen. Souverän bewegt sich der
Kulturwissenschaftler durch die Literatur- und Geistesgeschichte
vornehmlich des 19. Jahrhunderts. Dabei entsteht das Bild einer in
Büchern herbeigeschriebenen, auf Bühnen herbeigespielten und durch
symbolische Praktiken erzeugten Figuration von Macht, die in „großen
Männern“ wie Friedrich II. und Napoleon ihren Ausdruck fand.
Neben den Kapiteln über Schiller, Hebbel, Kleist, Hegel, Grabbe und
Heine, die sein Kerngebiet betreffen, brilliert Gamper an jenen Stellen
des Buches, in denen er die Entstehung des Pariser Panthéon und
Napoleons Krönung in seine Geschichte der „Imaginärpolitik“ des großen
Mannes einbettet.
Dieses Konzept, das er gegen Michel Foucaults „Biopolitik“ und Louis
Marins „Symbolpolitik“ konturiert, ist die theoretische Leistung des
Buches. Mit ihm erklärt Gamper, wie Literatur und andere mediale
Praktiken Räume erschaffen, die Realpolitik auffüllen kann, aber nicht
muss.
Der Teufel steckt nicht im großen Konzept, sondern im philologischen
Detail. Teilweise können die zitierten Ausgaben nicht eruiert werden, da
sie keinen Weg ins Literaturverzeichnis gefunden haben.
Gampers Methode, die eigenen analytischen Termini in die Referate seiner
Quellen so einzuflechten, dass mitunter keine Klarheit über die
Urheberschaft der Argumente mehr besteht, wird besonders in den sehr
dicht gedrängten „Vorgeschichten“ zum Problem. Es ist ja inzwischen
üblich, jedem Phänomen eine lückenlose Genealogie bis in die Antike
herbeizuschreiben, aber hier wird die Lektüre der ewig gleichen Autoren
(Aristoteles, Plutarch, Machiavelli, Hobbes) deutlich überspannt.
In der komprimierten Coda gelingt Gamper aber eine Skizze des
„Nachlebens“ des großen Mannes im 20. Jahrhundert, bei der die
Umdeutung von „Größe“ in „Führerschaft“ überzeugen kann.
FALTER 33/2016 vom 19.08.2016 (S. 26)
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