Eistee, Pizza, Wein: Deutsche Rapper haben zuletzt viele neue Märkte erschlossen. Jetzt ist ein Textblatt von Kool Savas versteigert worden – als Non-Fungible Token. Vor ihm hatte Cro die erste deutsche NFT-Auktion überhaupt initiiert.
„Ich stehe hier mit der Notarin Frau Massih, der ich eidesstattlich erklärt habe, dass es sich um das Originaldokument ,King Of Rap' handelt." Savas Yuderi alias Kool Savas hält ein handbeschriebenes Blatt Papier in die Kamera, als er diese Worte in einem Instagram-Video ausspricht. Dann sagt er: „Das werde ich jetzt verbrennen." Es ist das echte Textblatt zu „King Of Rap" aus dem Jahr 2000, seinem wichtigsten Song, der ein Klassiker des deutschen Raps ist. Entsprechend andächtig wird der Clip mit dramatischer Musik unterlegt.
Yurderi trägt sogar medizinische Handschuhe und eine ernste Miene, als er den zwanzig Jahre alten Papierfetzen einige Augenblicke später in den Flammen seines Feuerzeugs aufgehen lässt. Die verbliebene Asche wird in einem Glas mit Schraubverschluss beigesetzt. Es ist ein bizarres Szenario. Eine clevere Marketing-Aktion? Oder will Kool Savas seine fragwürdigen Zeilen aus der Vergangenheit hier endlich beerdigen? Wie kommt ein deutscher Rapper auf die Idee, seine Texte zu verbrennen?
Die Antwort ist „ein Commitment an die digitale Welt", so lässt sich Yurderi zitieren. Zusammen mit dem Digital-Auktionshaus NIFTEE hat Kool Savas nämlich diesen alten Songtext und drei weitere Erinnerungsstücke aus seinem Privatarchiv digitalisiert und online zur Auktion angeboten. Die „King Of Rap Collection" beinhaltet neben besagtem Textblatt zwei ikonische Plattencover und die allererste Musikaufnahme des Berliners, der seit Ende der neunziger Jahre eine prägende Figur im deutschen Rap ist. Der Clou: Das Textblatt, die Cover und die Aufnahme existieren fortan digital als sogenanntes Non-Fungible Token, kurz NFT. Der Hype um diese „nicht-ersetzbaren" Objekte entwickelte sich Anfang des Jahres in der Kunstwelt. Es handelt sich im Grunde um digitale Echtheits- und Eigentumszertifikate: Ein digitales Kunstwerk wird auf einer Blockchain registriert und erhält eine einzigartige digitale Signatur, die aufgrund der Blockchain-Technik praktisch nicht verändert werden kann.
Spätestens als das Auktionshaus Christie's im Februar NFTs des amerikanischen Grafikdesigners Beeple mit Option auf Bezahlung via Kryptowährung anbot, war klar, dass diese Neo-Tech-Spielerei eine größere Dimension erreichen würde. Jetzt sind auch deutsche Rapper eingestiegen. „Es ist noch nicht lange her, dass ich mit dem Thema konfrontiert wurde", sagt Kool Savas. „Ich habe das anfänglich auch nicht richtig verstanden, was ich wahrscheinlich auch immer noch nicht genug tue. Aber ich finde es wahnsinnig interessant. Es ist halt eine neue Ebene." Nicht unzuträglich für das „Experiment", wie Yurderi seine Verbrennungsaktion nennt, sei gewesen, dass sein Rapper-Kollege Sera Finale einer der Gesellschafter des besagten Auktionshauses ist und ihn beraten hat. „Er war Feuer und Flamme, nicht nur weil das viel Aufmerksamkeit bringen würde, sondern weil er meine Idee mit dem Textblatt supergeil fand. ,Die Aktion ist schon ein bisschen Kunst', sagte er zu mir."
„King Of Rap“ ist eines der meistzitierten deutschen Rap-Lieder überhaupt, etliche deutsche Musiker beziehen sich bis heute auf das Stück aus dem Jahr 2000, jeder deutsche Rap-Fan kennt Zitate aus dem Lied. Der originale Songtext ist jetzt ein NFT. Yurderi sagt, es sei ihm nicht leicht von der Hand gegangen, die Grundlage seiner 20-jährigen Karriere als Top-Ten-Rapper in Asche zu legen und nur noch digital verfügbar zu machen. „Kulturerbe zerstört“ oder „Tut irgendwie weh“, hieß es in den Kommentarspalten unter dem Video, als Savas seine Fans in den Tagen vor Auktionsstart noch im Ungewissen über den Zweck der Zeremonie gelassen hatte.
Cro war der erste Rapper
Allerdings war es nicht Kool Savas, sondern sein Kollege Cro, der sich dem Phänomen NFT in Deutschland als erster Rapper angenähert hat. Der Musiker mit der Pandamaske hatte Mitte des Jahres die erste deutsche NFT-Auktion überhaupt veranstaltet. Ebenfalls in Kooperation mit NIFTEE waren von dem 3D-Künstler Simon de Payrebrune vier digitale Unikate von Cros Masken erstellt worden, die er im Laufe seiner Karriere getragen hat. Jetzt existieren sie als fälschungssichere NFTs in der Blockchain. Cro hat sich bis heute nicht ausführlich zu der Aktion geäußert, obwohl seine Käufer zusammengerechnet mehr als 45.000 Euro für die digital-geschützten Dateien ausgegeben haben.
Interessant für Fans sind NFTs, weil sie einzigartig und nicht kopierbar sind, sagt NFT-Fachmann Thomas Euler. „Man muss sich nur angucken, was bei Vinyl passiert, wenn Originalpressungen für viel Geld gekauft werden, obwohl die gleiche Musik auch auf Spotify zu hören ist. NFTs folgen hier einem ähnlichen Gedanken.“ Es geht um Sammlerstücke. Thomas Eulers Firma Liquiditeam beschäftigt sich mit Blockchain-basierten Lösungen wie NFTs für Personen aus der Sport- und Kreativbranche. Er sagt, im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit seien Einzigartigkeit und Emotionen entscheidender als die dauerhafte Verfügbarkeit von Kulturgütern. Das habe auch mit der fortschreitenden Verflechtung des Digitalen und Analogen zu tun. „Wir haben früher Autogramme gesammelt. Heute fragen Kids, ob sie ein Selfie machen können“, sagt Euler.
NFTs eröffneten Künstlern und Kreativen neue Wege, im Digitalen mit genau dieser Limitierung und Authentizität zu spielen. Auch wenn vieles heute noch in den Anfängen liege und eher Experimentiergeist habe, betont Euler die wachsende Bedeutung von „digitalen Statussymbolen“, als die NFTs künftig funktionieren könnten. „Das Verbrennen des Textblattes von ,King Of Rap‘ basiert ja auf einer Idee, die letztlich durch Banksy populär wurde, als er das Ganze mit einem Kunstwerk gemacht hat. Was ich bei den NFTs von Kool Savas so spannend finde, ist, dass er sein erstes Demo in ein NFT verwandelt hat“, sagt er. „Das ist für mich als alter Savas-Fan interessant. Wenn ich als einer der wenigen so ein Demo haben kann, ist das etwas Besonderes. Vielleicht ist es sogar cooler, weil es digital ist und ich es überallhin mitnehmen kann.“ Am Freitag endete die Auktion zum NFT von „King Of Rap“: Für 30.000 Euro kann der Käufer die Datei jetzt überallhin mitnehmen.