Ein paar Mal auf das Handydisplay tippen und schon sieht man sie vor sich: Prunkvolle Bauten und Pavillons, die genau hier im Leipziger Clara-Zetkin-Park vor 125 Jahren standen. Damals verwandelte die Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbeausstellung (STIGA) das Areal in eine gigantische Leistungsschau. Auf 40 Hektar sollte vor allem der technische Fortschritt gefeiert werden - und die vermeintliche kulturelle Überlegenheit des noch jungen Deutschen Reiches.
Während viele andere Veranstaltungen das Jubiläum für eine feierliche Rückschau auf die Leipziger Stadtgeschichte nutzen, nimmt die Ausstellung "May Town in Zetkin Park" des Leipziger Kulturhauses Schaubühne Lindenfels die STIGA kritisch unter die Lupe. Mit im Park angebrachten QR-Codes lassen sich die Gebäude von damals durch augmented reality wieder einsetzen.
Doch die Schau einfach digital wieder aufleben zu lassen, wollen die Ausstellungsmacher nicht. Ab dem 4. Juni wird sie von Künstlerinnen und Künstlern aus zehn Ländern kritisch kommentiert. "Wir sind zusammengekommen um herauszufinden, wie die Kolonialgeschichte unsere Gegenwart prägt. Wir wollen, dass sich die Bürger von Leipzig diese Fragen stellen, denn viele wissen nicht, was hier stattgefunden hat", sagte die polnische Kuratorin Julia Asperska, die bei der Ausstellungseröffnung am Samstag per Video zugeschaltet war.
Man wolle mit der damaligen Postkartenidylle bewusst brechen, sagte Projektleiterin Lisa Dressler. Und das nicht nur im digitalen Raum. Kurz hinter dem Parkeingang erinnert nun ein großer Kubus an die menschenverachtenden Auswüchse der STIGA. Zwischen Gitterstäben und rostigen Metallplatten stehen 47 Pflanzen. Sie sind ein Symbol für jene Menschen, die hier damals als Attraktion dienten. Aus Deutsch-Ostafrika, heute Tansania, waren sie nach Leipzig geholt worden, um den über zwei Millionen Besuchern die vermeintlich wilde und rückständige Lebensart der "Fremden" darzubieten. 30 Pfennig, soviel wie ein Glas Bier damals, kostete die Menschenschau.
Für einen kritischen Blick auf Vergangenheit und Gegenwart brauche es die Sicht von außen, betont Projektleiterin Lisa Dressler: "Wenn wir versuchen, uns mit Dingen zu beschäftigen, dann können wir das nur, wenn wir viele Perspektiven nebeneinanderstellen und daraus ein Gesamtbild setzen." Das gelte nicht nur für die STIGA, sondern generell für den Umgang mit kolonialen Strukturen in Deutschland, so Dressler.
Eine dieser Perspektiven kam am Eröffnungstag vom Namensgeber der Ausstellung. Ob Karl May 1897 selbst auf der STIGA war, ist unklar. Trotzdem war er bei der aktuellen Ausstellungseröffnung als Zeitzeuge per Video zugeschaltet - natürlich in Gestalt eines Schauspielers. Er sei "vollkommen frustriert" gewesen angesichts der "erniedrigenden" Menschenschauen, zitierte der Schauspieler May. Und das obwohl auch er in seinen Abenteuerromanen die rassistischen Klischees seiner Zeit teilweise selbst bediente.
Zwar sei May Namensgeber der Ausstellung, spiegele aber nur eine unter viele Perspektiven wider und sei deshalb nicht viel mehr als ein "Türöffner", sagte Projektleiterin Dressler. Im Fokus stünden die Künstlerinnen und Künstler und ihre Sichtweisen. Die können Besucherinnen und Besucher übrigens nicht nur über die QR-Codes im Park abrufen. An mehreren Tagen im Juni und Juli stehen sie auch live per Videoschalte für Artist Talks im Kubus zur Verfügung.