Anlass für die Erklärungen waren zwei Kundgebungen in der Innenstadt am 15. Mai. Nachdem bekannt geworden war, dass für eine Versammlung unter dem Motto "Für die Freiheit Palästinas" zum Augustusplatz mobilisiert wurde, wurde eine Gegenkundgebung unter dem Titel "Gegen jeden Antisemitismus - Solidarität mit Israel" am selben Ort angemeldet. Im Laufe der propalästinensischen Kundgebung wurden antisemitische Plakate gezeigt und Parolen gerufen. Auch kam es zu Angriffen auf Teilnehmende der Kundgebung gegen Antisemitismus.
Als Reaktion auf die Vorfälle erklärte der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung in einer Stellungnahme vom 17. Mai, dass "Hass gegenüber Juden auf das Schärfste zu verurteilen" sei. "Hier darf es keine Relativierung geben, von keiner Seite und von keiner Partei."
Richard Buchner, Vorstandsmitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Leipzig, kritisiert die Äußerungen der sozialdemokratischen Politiker kreuzer gegenüber. Durch solche Stellungnahmen verschleiere "die SPD, wie sehr sie versucht, sich eben nicht zu positionieren," sagt Buchner.
Durch alle BevölkerungsschichtenDie jüngsten antisemitischen An- und Übergriffe reihen sich in weitere Vorfälle in der Stadt und im Landkreis Leipzig ein. Sie sind Ausdruck einer Bandbreite antisemitischer Motive und kommen aus der Mitte der Gesellschaft, wie der Bundesverband der Recherche und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) nach einer Auswertung vorhandener Meldungen für Sachsen betont.
Die Einschätzungen decken sich auch mit den Forschungsergebnissen des sächsischen Else-Frenkel-Brunswik-Instituts, das zu antisemitischen Einstellungen in der Bevölkerung geforscht hat. Der stellvertretende Direktor des Instituts Johannes Kiess teilte dem kreuzer mit, dass "antisemitische Narrative und Vorurteile generell sehr weit verbreitet sind, durch alle Bevölkerungsschichten hindurch".
Bedrohungslage in LeipzigDass Antisemitismus so weit verbreitet ist, stellt eine akute Bedrohungslage für Jüdinnen und Juden in der Stadt dar. Ein Fall im Mai dieses Jahres hat für besonderes Aufsehen gesorgt: Im Leipziger Stadtteil Gohlis war es zu einem antisemitischen Übergriff auf eine Leipziger Jüdin in ihrem Wohnhaus gekommen. Sie und ihre Freundin wurden von einer Frau bedrängt und beschimpft, nachdem sie diese als Jüdinnen ausgemacht hatte.
Die Dokumentationsplattform Chronik.le kommt für das Jahr 2021 bereits auf 11 offen antisemitische Vorfälle in Leipzig. Für die Jahre 2014-2019 hat die bundesweite Monitoringstelle RIAS in Stadt und Land Leipzig 224 antisemitische Vorfälle dokumentiert. Doch es gibt eine "hohe Dunkelziffer bei der Erfassung", schreibt die Informationsstelle. Auch weil die Landesregierung bis heute keine entsprechende Stelle zur Erfassung antisemitischer Taten geschaffen hat.
Bei dem Artikel handelt es sich um eine überarbeitete Fassung. (Anm. d. Red.)