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Niederlande: Corona-Proteste zwischen rechten Bürgerwehren und migrantischer Jugend

Angefangen hat alles mit Protesten gegen Corona-Maßnahmen, jetzt sehen sich die Niederlande mit einem Kampf um politische Machtverhältnisse konfrontiert. Felix Sassmannshausen skizziert die Aufstellung der Proteste und erklärt, wie die niederländische Rechte Covid für einen autoritären Staatsumbau zu nutzen versucht.

Am Wochenende vom 22. Januar schlugen in den Niederlanden Proteste gegen die Corona-Maßnahmen in Ausschreitungen und Plünderungen um. Die für die Niederlande ausgesprochen heftigen Randale richteten sich gegen die Verschärfung der Regierungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Besonders im Fokus stand die nur wenige Tage zuvor vom Parlament mit Unterstützung der linken Opposition beschlossene Ausgangssperre. Die Dynamiken zeichnen sich durch eine Vielfalt an verschiedenen Akteur:innen und politischen Interessen aus.

Ihren Ausgang nahmen die gewaltsamen Proteste der Niederlande in der religiösen, rechten Hochburg Urk, wo die evangelikale Staatkundig Gereformeerde Partij (SGP) besonders stark ist. Die Kleinstadt am Ijsselmeer ist ein Ausläufer des niederländischen Bible Belts. Dort wird die Regierung in Den Haag wegen ihrer liberalen Sexual- und Geschlechterpolitik abgelehnt. Die Pandemie hat dieses Ressentiment gegen die „liberale Elite" weiter verschärft. Nicht zum ersten Mal kam es in der Kleinstadt zu Ausschreitungen gegen die Corona-Maßnahmen. Doch diesmal waren sie besonders heftig. Im Zuge der Proteste wurde ein Corona-Testzentrum angezündet, das vollständig abbrannte. Die Aktionen in Urk strahlten auf die angekündigten landesweiten Proteste zwei Tage später aus.

Linke Esoteriker:innen, Unternehmer:innen, rechte Splittergruppen

Für den Tag hatte unter anderem Viruswaarheid („Viruswahrheit") zu zwei Demonstrationen in Eindhoven und Amsterdam zum „Kaffee trinken" mobilisiert. Diese Gruppierung hatte sich bereits im Frühjahr letzten Jahres gegründet. Neben Demonstrationen klagt sie vor Gericht gegen die Regierungsmaßnahmen. Ihre Öffentlichkeitsstrategie zeichnet sich durch eine scheinwissenschaftliche Argumentation und verschwörungsideologische Welterklärungen aus. Dabei macht sie privatwirtschaftliche Interessen gegen einen als totalitär wahrgenommenen Staat stark. Diese Querfrontbewegung mobilisiert linke und weniger linke esoterische Milieus, Künstler:innen und kleine und mittelgroße Unternehmer:inneninteressen.

Aber auch extrem rechte Splitter- und Hooligangruppen beteiligen sich an ihren Mobilisierungen. Bei einer Demonstration im Sommer vergangenen Jahres hatte dieses krude Gemisch zu ersten Ausschreitungen gegen die Regierungsmaßnahmen geführt. Für die Demonstrationen am 24. Januar spielte nun auch die recht junge Gruppierung Nederland in Verzet („Niederlande im Widerstand") eine wichtige Rolle. Sie war Anmelderin für die Demonstration in Amsterdam. Die Gruppe bedient sich in ihren Social Media Plattformen einer nationalistischen Programmatik und offen antisemitischer Bildsprache.

Motiv: Diffuses Machtgefühl

Zu den Protesten hatten daneben die extrem rechten Parteien Partij voor de Vrijheid von Geert Wilders und Forum voor Democratie von Thierry Baudet aufgerufen. Schon im Oktober mobilisierten sie gegen die gesetzliche Einhegung der Notverodnungspolitik durch die Tijdelijke Wet Coronamaatregelen („Zeitlich beschränktes Gesetz Coronamaßnahmen"). Die Rhetorik der beiden Parteien hatte sich zuletzt mit Blick auf die Ausgangssperre zugespitzt. So sprach FvD von sich selbst als „die Verzetbeweging" (Widerstandsbewegung) gegen die „diktatorialen Maßnahmen" der Regierung. Die implizite historische Anleihe zum bewaffneten Widerstand gegen die nationalsozialistische Besatzung war durchaus gewollt.

Am 24. Januar kam es vor allem in Eindhoven zu Auseinandersetzungen zwischen vornehmlich extrem rechten Akteur:innen und der Polizei, denen sich im Laufe des Nachmittags und Abends vermehrt Jugendliche anschlossen. Im Sog der spektakulären Bilder aus Eindhoven versammelten sich am Sonntagabend junge Männer in den Großstädten Rotterdam, Den Haag, Den Bosch und Amsterdam. Aber auch in kleineren Städten, vor allem im Süden und Osten des Landes kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. In Enschede wurde ein Krankenhaus angegriffen. Den Jugendlichen scheint es dabei weniger um politische Forderungen, als um ein diffuses Machtgefühl gegangen zu sein. Die organisierte extreme Rechte verlor in dieser Dynamik an Bedeutung. Stattdessen wandte sie sich vehement gegen die Ausschreitungen, die sie selber beschworen hatte.

Rechte Bürgerwehren gegen migrantische Jugendliche

Wilders, der die stärkste Oppositionspartei im Parlament anführt, bezeichnete die Randalierer als „überwiegend ausländisches Gesocks". Teile des extrem rechten Hooliganmilieus kündigten für die Folgeabende Bürgerwehren zum Schutz „unserer Städte und Unternehmen" an. Dabei wurden sie von der Polizei nicht nur toleriert, in Den Bosch wurden sie gar aktiv eingebunden. Derweil inszenierte sich Wilders als „Law and Order Mann", der mit dem Militär gegen den vermeintlich drohenden „halben Bürgerkrieg" vorgehen wolle.

Hierin drückt sich die Strategie des Ausnahmezustandes aus, die die extreme Rechte seit Beginn der Pandemie verfolgt. Durch gezielte Provokationen und Eskalation sollen die Exekutiven Behörden (Polizei, Armee) gegenüber demokratischen Institutionen in einen Ausnahmezustand versetzt und gestärkt werden. Parallel zu dieser autoritären Umwandlung des Staates wollen sie mit einer „Law and Order" Politik an die Macht gelangen. In der breiteren Debatte wurde Wilders für seine Strategie belohnt. So war im öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Rede davon, dass die Ausschreitungen „un-niederländisch" seien.

Die rassistische Argumentation funktionierte auch, weil viele der jungen Männer, die sich - anders als in den Provinzen, wo die extreme Rechte das Bild dominierte - in den Großstädten an den Ausschreitungen beteiligten, vermeintlich oder tatsächlich einen Migrationshintergrund haben. Zentrale Orte waren hierfür proletarische Viertel, wie die Schilderswijk in Den Haag, Amsterdam Oost und Kanaleneiland in Utrecht, wo es bereits im August zu heftigen Ausschreitungen gekommen war. In den wenigen Stellungnahmen die es von beteiligten Jugendlichen gibt, thematisieren sie unter anderem Langeweile und Perspektivlosigkeit sowie ihre Rassismuserfahrung, die sie mit der Polizei, auf dem Job- und auf dem Wohnungsmarkt gemacht haben. Ihre proletarisierte Lage hat sich im Zuge der Pandemie weiter verschärft.

Männliche Vorstellungen von Autonomie

Mit der extremen Rechten und den Querfrontprotesten teilen einige der Jugendlichen die Verschwörungsideologien über das Virus. So beschimpften sie Polizist:innen in der Amsterdamer Molukkenstraat in antisemitischer Manier als Juden. Dabei geht es ihnen unter anderem um die Freiheit von der Verantwortung gegenüber der gesundheitlichen und emotionalen Verletzlichkeit anderer. Die verschiedenen Akteure in den Klein- und Großstädten teilen auch eine ausgesprochen männliche Vorstellung von Autonomie, die sie gegen den Staat behaupten wollen. Ein junger Mann in Eindhoven stellte sich unter Jubel vor die Polizeiketten und spielte demonstrativ mit seinen Genitalien.

In diesen emotionalen und ideologischen Schnittmengen liegt der Grund für die Vehemenz der Ausschreitungen der Niederlande. Auch wenn sich die Situation aktuell beruhigt zu haben scheint, sind doch die den Ausschreitungen zugrundeliegenden Triebfedern nicht weg. Sie werden darum auch nicht die letzten gewesen sein.

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