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Dem Davor und Danach des Krieges auf der Spur

Es ist der Traum vieler Fotojournalist*innen: für lange Zeit an einem einzigen Projekt zu arbeiten. Meinrad Schade hat sich diese Freiheit genommen. Während er zu Hause sein Geld vor allem mit Corporate-Fotografie verdient, begibt er sich seit über 15 Jahren auf die Spuren von Kriegen und Konflikten in Israel und Palästina sowie den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Im Gespräch mit Felix Koltermann erläutert der Schweizer Dokumentarfotograf im Rahmen unseres Themenschwerpunkts "Kriegs-, Krisen & Konfliktfotografie" seine Motivation und die Herausforderungen seines Langzeitprojektes, die fotografische Umsetzung und die Bedeutung lokaler Bezugspersonen.

Felix Koltermann: Meinrad, die frühesten Bilder deines Projektes "Krieg ohne Krieg" reichen bis ins Jahr 2003 zurück. Hättest du damals gedacht, dass dich das Thema so lange fesseln würde?

Meinrad Schade: Nein, auf keinen Fall. 2003 habe ich in Tschetschenien und Inguschetien gearbeitet und noch gar nicht gewusst, dass das mal Teil von "Krieg ohne Krieg" sein würde. Damals habe ich an einem Langzeitprojekt zum Thema Flüchtlinge gearbeitet und Tschetschenien und Inguschetien waren ein Teil davon. Erst später, als ich das erste Buch gemacht habe, ist mir aufgefallen, dass die Bilder dort perfekt reinpassen. Denn die Flüchtlingsthematik ist ja auch ein Bestandteil von "Krieg ohne Krieg".


Du hast dein Projekt "Krieg ohne Krieg" genannt. Woher kam denn diese Motivation über Krieg zu sprechen, ohne diesen zu zeigen?

Da kommen verschiedene Punkte zusammen. Ein Punkt ist, dass ich keine klassische Kriegsfotografie machen könnte. Da ist zum einen sicher die Angst: Auch wenn ich wollte, ich könnte es nicht. Und zum anderen muss ich mich als Fotograf einigermaßen wohl fühlen - wobei wohlfühlen vielleicht das falsche Wort ist - aber ich muss eine Rolle haben, wo ich sagen kann, doch, damit kann ich dealen. Wenn ich mir vorstelle, dass ich mit einer Gasmaske, schusssicherer Weste und Helm unterwegs bin, dann entspricht mir das nicht. Ich bin auch nicht der Fotograf, der irgendwo fotografieren kann, wo er weiß, wenn er die Kamera hochhält, kann er erschossen werden. Ich fotografiere meistens in einem Umfeld, wo man mich als Fotograf wenigstens duldet oder besser, sogar akzeptiert.


Das andere hat mit den spektakulären Bildern zu tun. Da wird man wie zum Komplizen des Krieges. Das sieht man häufig auch daran, wie Kriegsfotografen wahrgenommen werden, von der eigenen Zunft, aber auch von anderen, z.B. den Betrachtern. Meistens bekommen die eine Art Heldenstatus, denn sie haben ja was wahnsinnig Mutiges gemacht. Diesen Mut kann man auch einfach mal akzeptieren: Das sind Menschen, die was riskieren, die ihr Leben riskieren, um Fotos zu machen. Gleichwohl denke ich, dass sich das trotzdem ein bisschen an diese Heldenhaftigkeit andient, die ich ein Stück weit verachte. Das Streben nach Heldentum ist für mich mit ein Motor dafür, dass es immer wieder Krieg gibt.


Und drittens hat es nicht nur mit Krieg an sich, sondern überhaupt mit der Berichterstattung zu tun. Du hast Krieg und zeitlich und räumlich betrachtet hängt da ganz viel dran, an Gedenken, an Industrie, an soziologischen Ursachen usw.: Krieg beeinflusst ganz viele Bereiche der Menschheit. Aber die klassische Kriegsfotografie zeigt nur einen Bruchteil dessen. Und dieser Bruchteil erklärt mir nicht wahnsinnig viel. Wenn ich diese Kriegsbilder angucke, denke ich als erstes, wie der Fotograf es geschafft hat, zu überleben. Es geht mir dann nicht zwingend um die Leute, die da gerade sterben.


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