1 subscription and 7 subscribers
Article

Wie gefährlich sind Bürgerwehren?

Seit den Übergriffen in der Silvesternacht in Köln haben sich in einigen Städten Nordrhein-Westfalens Männer und Frauen zu Bürgerwehren zusammengeschlossen. Die gab es auch schon vorher - aber wohl nie zuvor entwickelten sich neue Gruppen so schnell wie jetzt.

Bürgerwehren gibt es in sehr kleinen Kommunen, zum Beispiel in Sassenberg. Doch auch in größeren Städten: So formieren sie sich unter anderem in Essen und Bielefeld.

Was ist eine Bürgerwehr?

Laut Duden ist eine Bürgerwehr die "Gesamtheit der von Bürgern einer Gemeinde gebildeten bewaffneten Einheiten". Geht man von dieser Definition aus, dann gibt es in Deutschland keine Bürgerwehren - also keine Menschen, die sich gezielt bewaffnen und dann in Gruppen formieren. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff aber meist anders verwendet: Eine Bürgerwehr ist demnach eine Gruppe von Bürgern, die sich zusammengeschlossen hat, um für Recht und Ordnung zu sorgen. Obwohl keine Ausbildung sie dazu befähigt und kein offizielles Amt sie dazu legitimiert. "In Deutschland gibt es keine marodierenden bewaffneten Horden. Schutz und Sicherheit der Bürger sind hoheitliche Angelegenheit der Polizei", sagte Wolfgang Beus, ein Sprecher des Innenministerium NRW, dem WDR. Was die Allgemeinheit heute als "Bürgerwehr" bezeichne, sei eher ein nachbarschaftlicher Zusammenschluss von Bürgern zum Schutz vor Verbrechen.

Im Gegensatz zur Polizei seien die Mitglieder von Bürgerwehren nicht ausgebildet, sagt Marco Ueberbach, Sprecher der Polizei Essen, zu bento. "Gefährlich wird es, wenn sie sich anmaßen, hoheitliche Tätigkeiten auszuführen. Also zum Beispiel Personen anhalten und kontrollieren."

Was für Bürgerwehren gibt es in Deutschland?

Bürgerwehren bilden sich oft spontan; in einigen Kommunen der Republik gibt es Gruppen mit weniger als 100 Mitgliedern: Sie setzen sich beispielsweise gegen Diebstähle oder Wohnungseinbrüche ein. Bundesweit soll es insgesamt 30 Bürgerwehren geben ( FAZ), offizielle Zahlen dazu gibt es nicht.


Die größte Bürgerwehr bildete sich als Reaktion auf die Übergriffe in der Kölner Silvesternacht: Auf Facebook schreibt "Düsseldorf passt auf", an Wochenenden und bei Großevents durch die Stadt zu ziehen und durch "Präsenz und Gewaltlosigkeit" für Sicherheit zu sorgen. Mittlerweile hat die Gruppe, die sich als eine der ersten im Internet gründete, mehr als 14.000 Mitglieder. Auf eine Anfrage von bento hat "Düsseldorf passt auf" bis Freitagmorgen nicht reagiert.

Haben Bürgerwehren oft eine eher rechte politische Einstellung?

Grundsätzlich lässt sich das nicht bejahen. Tofigh Hamid, dem Gründer von "Düsseldorf passt auf", ist es wichtig, nicht in die rechte Ecke gestellt zu werden - schließlich sei das Anliegen der Gruppe ein völlig unpolitisches. Außerdem, sagt er, sei er als Kind selbst als Flüchtling aus dem Iran nach Deutschland gekommen. Erst kürzlich distanzierte Hamid sich öffentlich von dem Begriff Bürgerwehr und gründete einen gemeinnützigen Verein ("Kölner Stadt-Anzeiger").

Doch andere Mitorganisatoren der Gruppe scheinen eine andere Einstellung zu haben als Hamid: Dennis H. zum Beispiel, der mit Hamid und anderen gemeinsam den Facebook-Auftritt der Gruppe verwaltet, teilt auf seinem Profil ganz offen rassistische Texte und Bilder von NPD und anderen Neonazi-Organisationen. In Dortmund treten bereits seit 2014 Aktivisten der Neonazi-Kleinpartei "Die Rechte" als "Rechter Stadtschutz" immer wieder im öffentlichen Raum auf. Mit Fotos und Videos von angeblichen Patrouillen, zum Beispiel in der Dortmunder U-Bahn, erregen die Rechtsextremen immer wieder Aufmerksamkeit. Tatsächlich im Stadtbild präsent sind sie aber nicht. ( Die Welt). Auch in Essen hat sich vor kurzem eine Bürgerwehr gegründet. Ihr anfänglicher Sprecher Pierre M. war nach eigenen Aussagen Mitgründer der Dortmunder Neonazi-Band "Oidoxie", die über gute Kontakte in die rechtsterroristische Szene verfügt ( Ruhrbarone). Im Internet prahlte er mit seiner Bereitschaft zur körperlichen Auseinandersetzung - und seinem Teleskopschlagstock aus Metall. Auch diese Gruppe reagierte nicht auf eine bento-Anfrage.

Sind Bürgerwehren also gefährlich?

Welche Gefahr von Bürgerwehren ausgeht, lässt sich kaum pauschal definieren. Zumindest bei dem ersten öffentlichen Treffen von "Düsseldorf passt auf" rückte die Polizei an - die von ihrer ehrenamtlichen "Konkurrenz" wenig begeistert war: Für die Einsatzkräfte sei die Truppe keine Hilfe, sondern vielmehr eine zusätzliche Belastung, sagte ein Polizeisprecher der "Rheinischen Post". 20 Beamte hatten für Ruhe gesorgt, als sich auch linke Gegendemonstranten am Treffpunkt der Bürgerwehr versammelten.

Auch in Bielefeld wollten Ende Januar Personen aus der "Rocker-, Türsteher- und Hooliganszene" als selbst ernannte Bürgerwehr marschieren ("Westdeutsche Allgemeine Zeitung"). Nachdem die Bielefelder Polizei Hinweise auf das Treffen bekommen hatte, stoppte sie 68 Personen. Bei Durchsuchungen stellte die Polizei Gegenstände sicher, die nicht gerade auf friedliche Absichten schließen lassen: Sturmhauben, Mundschutz, Quarzsandhandschuhe, Feuerwerkskörper, Bengalos, Drogen, eine Gartenfackel und ein Messer ( Pressemitteilung der Polizei). "Es kann nicht angehen, dass Uniformierte auf die Straße gehen und meinen, die Polizei ersetzen zu können", sagt Polizeisprecher Marco Ueberbach.

Was sagt das Innenministerium?

Das nordrhein-westfälische Innenministerium beobachtet die "Bürgerwehr-Gruppen" sehr genau. Die meisten Gründungen seien zwar nur "virtueller Art" und würden es oft nicht aus Facebook hinaus schaffen, sagt Wolfgang Beus zu bento. Dort, wo es aber über die Internetaktivitäten hinausgehe, würden die "Bürgerwehren" eher zu einer Verunsicherung der Bevölkerung beitragen. Viele Gruppen seien, wenn nicht direkt von Rechtsextremen gegründet, doch zumindest von ihnen beeinflusst und instrumentalisiert. "Das sieht man bereits, wenn man sich das auf Facebook anguckt", sagt Beus. Die Polizei spricht Bürgerwehr-Mitglieder laut Innenministerium deshalb in sogenannten "Gefährderansprachen" direkt an - um ihnen klar zu machen, dass ihre Aktionen genau beobachtet werden. Und wenn es Hinweise auf bewaffnete Aktionen wie in Bielefeld gebe, reagiere die Polizei auch mit Durchsuchungen, sagt Beus.

Karneval ist die nächste Großveranstaltung in Nordrhein-Westfalen. Was wird da passieren?

Die Essener Bürgerwehr, die sich mittlerweile den Namen "Wir für Essen" gegeben hat, will beim Karnevalsumzug in der kommenden Woche zum ersten Mal in Aktion treten ("Westdeutsche Allgemeine Zeitung"). Ihr Kostüm: einheitliche orangene Pullover.

Bei der Essener Karnevalsgesellschaft stößt das auf Ablehnung. Eine Bürgerwehr sei bei dem Umzug nicht nötig, sagte ein Sprecher zur "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung": "Fanatiker von Rechts und Links sollten sich andere Tummelwiesen für ihr Gedankengut suchen".


Original