An den Strommasten entlang der schlecht ausgebauten Landstraße wehen israelische Flaggen im Wind. Der „Nadi Al-Madina Club" befindet sich in „Zone C" des Westjordanlandes; hier bestimmen die Israelis seit 1995 alle militärischen und zivilen Angelegenheiten. Ein Clubhaus mit Restaurant, Gartenterrasse, Fitnessraum, Spielplatz, Swimmingpool und Sportanlagen - alles gut versteckt hinter dicht aneinandergepflanzten Nadelbäumen. Mitten im Nirgendwo zwischen Nablus und Tulkarem.
„Arme Leute? Gibt's hier nicht." Clubmanager Jafar Ismail grinst unter seinem Schnurrbart und lehnt sich in seinem Chefsessel zurück. Hier lautet das Motto: Members only. Keine Armen, keine Fremden, keine Fotos, die Israelis hätten die Augen schließlich überall. „Hier sollen die reichen Leute von Nablus ungestört ihr Geld genießen", sagt Ismail stolz. „Sie haben ja sonst nirgends die Gelegenheit dazu."
In Nablus gibt es weder Bier noch Bars, kaum ein Mädchen ist unverschleiert, nach Sonnenuntergang verschwinden sie aus dem Stadtbild. Die 130 000-Einwohner-Stadt gilt als ehemalige Terroristenhochburg: Seit der zweiten Intifada kamen von hier mehr als 50 Selbstmordattentäter. Bis 2009 war Nablus deshalb abgeriegelt vom israelischen Militär. Bei den Kommunalwahlen 2005 erhielt die ultrakonservative Partei Hamas über 70 Prozent der Stimmen.
Davon ist im „Nadi Al-Madina" nichts zu spüren. Am Donnerstagabend beginnt im Westjordanland das Wochenende, dann rollen große Familienlimousinen auf den Clubparkplatz, teure deutsche Automarken. Viele Wagen rauschen gleich wieder ab, nachdem eine Horde Kinder von den Rücksitzen gerutscht und auf den Sportplatz gestürmt ist. Das „Al-Madina" ist Spielplatz, Kita, Jugendzentrum und Heiratsvermittlung in einem. Man wird in den Club hineingeboren, verbringt dort Kindheit und Jugend, heiratet clubintern und wird dann selbst wieder zahlendes Mitglied. „Die Hand eines Al-Madina-Mädchens lehnt man nicht ab - da hat man gar keine Wahl", sagt der Manager und grinst.
Rund 100 Familien sind hier Mitglied, ein winziger Teil der sonst vorwiegend armen Bevölkerung von Nablus. In der Altstadt und in den drei Flüchtlingslagern liegt die Arbeitslosigkeit bei 80 Prozent. Spricht man in diesen Teilen der Stadt über das „Al-Madina", weiten sich die Augen der Gesprächspartner. Ja, da wolle man gern mal hin. Ruhig soll es sein da und wunderschön, schwärmen sie.
Doch sie werden es nie schaffen: Wer Mitglied werden will, muss sich einer elfköpfigen Jury stellen und mindestens neun Stimmen erhalten. „Überall auf der Welt gibt es eben gute Menschen - und welche, die Ärger bringen", sagt Club-Direktor Samir Mugrabi. Deshalb wird hier gründlich ausgesiebt. Integrität sei wichtig, ein guter Ruf, und aus der Stadt sollte man kommen, am besten aus einer alteingesessenen Handelsfamilie. Wer es durch die Jury schafft, wird in den erlesenen Kreis aufgenommen - vorausgesetzt, er kann neben 300 Euro Jahresbeitrag auch die 4000 Euro Aufnahmegebühr pro Kopf bezahlen. Das ist im Durchschnitt das Jahreseinkommen einer palästinensischen Familie.
Hinter den hohen Nadelbäumen scheinen andere Regeln zu gelten als in der Stadt. Bis spät abends rauchen junge Frauen auf der Terrasse Wasserpfeife mit Pfirsich-Aroma, tragen die Haare offen und lachen laut. Raniah Ahmad, 18, trägt große goldene Ohrringe, hat ihr Gesicht sorgfältig geschminkt und ihre Fingernägel farblich passend zu ihrem Smartphone lackiert. Zusammen mit zwei Freunden sitzt sie an einem Gartentisch und diskutiert über Mode. Ist der Club eine Art freiheitliche Oase?
Raniah jedenfalls liebt das „Al-Madina": „Es ist der einzige Ort, an dem wir wirklich tun können, was wir wollen." Damit meint die Studentin Schwimmen, Shisha-Rauchen und Abendessen. Denn auch im „Al-Madina" achtet man auf gewisse Regeln - und ist stolz darauf. Im Pool baden Jungs und Mädchen an unterschiedlichen Tagen, Alkohol ist tabu, und die Tanzfläche bleibt für Hochzeiten reserviert. Raniah findet das richtig: „Hier ist es anders als in Ramallah. Dort sind alle sehr aufgeschlossen und wollen nur Party machen." Der Ausdruck „open-minded" klingt aus ihrem Mund wie ein Schimpfwort: „Dort spielen Traditionen und Familie keine Rolle mehr. Bei uns in Nablus ist das anders, wir sind sehr konservativ, und das ist gut so."
Mit neureichem Prunk oder heißen Partynächten hat das „Al-Madina" nichts zu tun. Wer hier Mitglied ist, kauft sich vielmehr eine Privatsphäre und ein Stückchen Seelenfrieden. „Die wohlhabende Gesellschaftsschicht in Ramallah", sagt die französische Soziologin Dalila Boualam, „besteht zum Großteil aus Familien, die nach den Osloer Friedensverträgen aus dem Ausland nach Palästina zurückgekehrt sind. Sie pflegen ihren westlichen Lebensstil weiter und zeigen gerne ihren Reichtum." Boualam forscht in Nablus über die „jeunesse dorée" - die reiche Jugend von Palästina. Ihren Beobachtungen zufolge sind es in Nablus wenige Großfamilien, die das öffentliche Leben bestimmen: „Sie zeigen ihren Reichtum nicht nach außen, bleiben sehr diskret und oft unter sich."
Bereits 1972 kauften elf reiche Familien aus Nablus ein Stück Land außerhalb der Stadt, einen „Platz zum Atmen", wie ein Gründungsmitglied es nennt. Sie pflanzten Bäume, um ihre Kinder vor Sonne, Staub und den Sorgen der Stadt zu schützen, verbrachten die Freitage dort gemeinsam. Sie beschlossen, eine kleine Hütte zu bauen; doch bis sie dazu die Bau-Erlaubnis der israelischen Besatzungsmacht bekamen, dauerte es fast 20 Jahre.
Kaum stand das Fundament, griffen israelische Soldaten ein: Baustopp. Aus Sicherheitsgründen. Noch heute ist die Einfahrt nur halb geteert. Erst seit Ende der Neunziger steht das fertige Clubhaus. Regelmäßig kontrollieren die Israelis, ob nicht illegal weitergebaut wird. Sich mitten in der kontrollierten Zone ein privates Paradies zu errichten bedeutet für die Gründer keineswegs, die Besatzung zu akzeptieren oder die Situation zu normalisieren. Im Gegenteil. Gedacht war der Club einst als Ort des stillen Widerstandes.
Von diesem Gedanken ist heute nicht mehr viel übrig. „Das ,Al-Madina' dient heute lediglich als Möglichkeit, die Realität der palästinensischen Gesellschaft auszuklammern." Moaz Tamimi, Sohn des Präsidenten des „Al-Madina", wirkt halb verzweifelt, halb peinlich berührt, wenn er über den Club spricht. Auch er sitzt jedes Wochenende mit Frau und Tochter auf der Club-Terrasse und trinkt Kaffee mit Kardamom.
Tamimi, 33, hat in Jordanien und England studiert, wollte raus aus dem Käfig, in den die Israelis Nablus verwandelt hatten. Auch wenn der in seinem Fall ein goldener war. Als er 2003 zurückkam, spürte er bereits die Veränderung, die die Blockade bewirkt hat. „Es war ein Schock für mich. Ich hatte das Gefühl, dass sich meine Freunde, die hier geblieben sind, eingeigelt haben und dadurch träge und tatenlos geworden sind."
Mit der fortschreitenden Besatzung, dem Siedlungsbau und den Demütigungen an den Checkpoints habe sich nicht nur ein wirtschaftliches und politisches, sondern auch ein kulturelles Problem weiterentwickelt. „Während der Blockade war es schon ein Erfolg, für zwei Stunden vor die Tür zu gehen. Das hat die Ambitionen der Jugendlichen auf ein Minimum herabgeschraubt." Das „Al-Madina" ist für Tamimi eine Art Spiegel der palästinensischen Gesellschaft. „Als wir jung waren, haben wir im ,Al-Madina' Bäume gepflanzt und Sportwettkämpfe veranstaltet. Heute gibt es so etwas nicht mehr, jetzt geht es nur noch um Kartenspiele und Tabaksorten."
Eine „geschlossene Schachtel" sei der Club inzwischen, sagt Tamimi, in der die meisten Jugendlichen eingeschlossen seien und aus der sie auch gar nicht heraus wollten. „Wie sollen wir uns weiterentwickeln und weltoffen werden, wenn hier nicht einmal Leute aus den umliegenden Dörfern akzeptiert werden?" Dann wird er unterbrochen. Sein Freund, auch er heißt Moaz, möchte eine Shisha mit ihm rauchen. „Okay", sagt Tamimi. „Mit Pfirsich- oder Apfelgeschmack?"
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