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Keine Visa für Festival-Auftritt - Waisenkinder-Band darf nicht nach Wacken

Die Band bei einem Videodreh in ihrem Stadtteil Stung Meanchey, der ehemals größten Müllkippe KambodschasFoto: Lola García-Ajofrín

Vier Jugendliche, die in bitterer Armut auf Kambodschas größter Müllhalde aufwuchsen, bekamen die Chance, auf dem Wacken-Festival zu spielen. Doch die deutsche Botschaft macht ihnen einen Strich durch die Rechnung: zu arm!



Es ist eine Geschichte wie aus dem Heavy-Metal-Märchenbuch.

Geboren in den Slums von Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh wuchsen die drei Waisenkinder Theara, Vichey und Hing zwischen Müllsammlern, Drogendealern und Prostituierten auf. Als Jugendliche kamen sie in ein Heim, blieben jedoch auch dort Problemkinder ohne Aussicht auf eine Zukunft.

Bis ihr Heimbetreuer, ein Schweizer Sozialarbeiter namens Timon Seibel, die Jungs mit auf ein Metal-Konzert in die Innenstadt von Phnom Penh nahm, „einfach weil sie die Ältesten und Aggressivsten waren", wie er sich erinnert.

Dieser Abend im November 2014 veränderte ihr Leben. Mitgerissen von der befreiend aggressiven Kraft der Musik gründeten die Jungs am nächsten Tag im Waisenhaus ihre eigene Metal-Band - die erste, die in der Landessprache Khmer textet.

„Sie sind dann fast jeden Tag im Musikzimmer des Heims ausgerastet. Ich bin zwar mit Kunsttherapie und solchen Dingen vertraut, aber dass sie sich zu Metal dermaßen abreagieren würden, hat mich doch überrascht", so Seibel. Wacken entdeckt die Band

Doch Chkae spielen Death-Metal, die härteste Spielart des Metal. Ihre morbide Totenkopf-Ästhetik verstört in Kambodscha besonders, da sich unter den Roten Khmer vor 40 Jahren auf den sogenannten Killing Fields ganz real die Totenköpfe stapelten.

► Die Erinnerung an das Massaker ist im Land noch sehr präsent, öffentlich aufgearbeitet wurde die Tragödie jedoch kaum. Vielleicht hat sich das Bandprojekt, das eigentlich als Aggressionsventil gedacht war, gerade deshalb zu einer kleinen Sensation entwickelt.


Lokale Reporterteams ließen sich von der Band durch die Slums ihrer Kindheit führen. In Deutschland berichtete „Fluter", das Jugendmagazin für politische Bildung, über die Geschichte. Einer chinesischen Dokumentarfilmerin erzählten die Jungs, dass es ihr großer Wunsch ist, einmal in Deutschland zu spielen. Auch weil Timon in Deutschland studiert hat, ihre wichtigste männliche Bezugsperson, er brachte sie zum ersten Mal mit Heavy Metal in Kontakt.

Anfang des Jahres geschah dann das Unglaubliche: Die Organisatoren des Wacken Open Air, des größten Heavy-Metal-Festivals der Welt, waren auf die Geschichte der kambodschanischen Waisen aufmerksam geworden. Sie luden die Band ein, im August auf dem Festival in der Nähe von Hamburg aufzutreten, zu dem jedes Jahr rund 80 000 Metal-Fans aus aller Welt anreisen. Für Doch Chkae schien ein Traum in Erfüllung zu gehen.

Ein großer Traum von Doch Chkae: der Auftritt auf dem Wacken-Festival in Schleswig-Holstein


Die bittere Absage

Zum ersten Mal in ihrem Leben wurden den Jungs, die noch nie zuvor ihre Stadt verlassen hatten, Pässe ausgestellt.

„Wacken, wir kommen", posteten sie euphorisch auf Facebook. Drei Wochen vor dem Abflug dann die bittere Absage:

Die Visa für ihre fünf Tage Aufenthalt wurden von der deutschen Botschaft abgelehnt. Dabei hatten die Jugendlichen alle Dokumente vorschriftsmäßig vorgelegt, darunter Rückflugtickets, die offizielle Einladung des Festivals, die Bürgschaft ihres Schweizer Erziehers sowie Anstellungsbescheide und Schulimmatrikulationen.

Die „Slum Kids", so der deutsche Sachbearbeiter wörtlich, seien nicht ausreichend ökonomisch in Kambodscha verwurzelt, weswegen eine Absicht zurückzureisen nicht erkannt werden könne. Sprich: Die Jugendlichen sind zu arm, als dass man ihnen trauen kann.

Das Auswärtige Amt erklärt auf Anfrage, dass „sich in Fällen, in denen der Antragsteller nicht selbst über ausreichende finanzielle Eigenmittel verfügt, ein Dritter durch die Abgabe einer Verpflichtungserklärung verpflichten kann, für die aus dem Aufenthalt seines Gastes in Deutschland entstehenden Kosten aufzukommen". Dabei wäre das Festival für alle Kosten aufgekommen. Doch das hat anscheinend nicht als Sicherheit ausgereicht. Was hätten sie also noch tun können?

Im Stadtteil Stung Meanchey leben die Menschen noch immer vom Müllsammeln. Die vier Jungs möchten ihr Leben anders verbringenFoto: Lola García-Ajofrín

Auch hier bleibt die Pressestelle des Auswärtigen Amtes vage:

Bei der Prüfung der Visumanträge muss die Auslandsvertretung in jedem Einzelfall eine Rückkehrprognose erstellen, die sich auf die sozialen, wirtschaftlichen oder familiären Bindungen der Antragsteller an ihr Heimatland stützt, wie „familiäre oder persönliche Bindungen im Wohnsitzstaat beziehungsweise im Schengen-Raum, Familienstand, Regelmäßigkeit und Höhe des erzielten Einkommens, sozialer Status im Wohnsitzstaat, Immobilienbesitz".


Ein kleiner Hoffnungsschimmer

Alles Dinge, die ein Kind, das in einem Heim in Kambodscha aufgewachsen ist, nur schwer erbringen kann. Hätte das deutsche Außenministerium, das behauptet, dass „der Kulturaustausch ein wichtiges Instrument zur Erreichung der Ziele unserer auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik" und so wichtiger Bestandteil der deutschen Außenpolitik ist, hier nicht etwas genauer auf den Einzelfall eingehen müssen?

„Wir hatten die Belege, dass sie Arbeit haben, aber natürlich haben sie keine Bankkonten, und die Gehälter sind mit 150 bis 200 Dollar wohl nicht ausreichend", erklärt Timon Seibel, der der Botschaft zudem schriftlich garantiert hatte, dass er den Jungs während des gesamten Aufenthalts nicht von der Seite weichen und mit ihnen auch wieder in den Flieger steigen würde.

„So ist es einfach nur unfassbar traurig, dass so etwas Schönes und Hoffnungsvolles an den Beamten der deutschen Botschaft scheitert", sagt er zerknirscht. „Um Träume zu erfüllen, braucht man offenbar ein gut gefülltes Bankkonto."

Auch beim Wacken ist man enttäuscht: „Es ist sehr bedauerlich für uns, dass wir die Band aufgrund der Visaproblematik nun doch nicht bei uns haben werden", erklärt Pressesprecherin Anna Walter.

Sie bietet der Band immerhin noch einen kleinen Hoffnungsschimmer: „Wir hoffen sehr, dass wir sie zum 30-jährigen Wacken-Jubiläum nächstes Jahr bei uns begrüßen dürfen."

* Fabian Peltsch ist Sinologe und Kulturjournalist und lebt in Peking.  Original