An der Nordküste der griechischen Insel Lesbos erreichen jede Woche Tausende Flüchtlinge Europa. Während griechische Behörden sich weitgehend aus der Versorgung zurückgezogen haben, kümmern sich Dutzende Freiwillige um sie. Einer von ihnen ist der 32-jährige Salam Aldeen, der als freiwilliger Rettungsschwimmer arbeitet. Bis zum vergangenen Donnerstag. Da wurden Salam und vier weitere Helfer wegen Menschenschmuggels verhaftet.
Am vergangenen Mittwoch haben wir einen Anruf bekommen, dass sich ein Flüchtlingsboot in Seenot befindet. Wir fuhren wie immer auf das Meer raus und sahen, dass das Boot schon halb mit Wasser vollgelaufen war. 51 Menschen kauerten auf dem Boden. Immer mehr Wasser lief rein. Wir haben die Küstenwache alarmiert. Sie sagten uns, wir sollen die Leute retten. Ich habe erst Frauen und Kinder in unser Boot geholt. Danach einen Mann ohne Bein und vier weitere kranke Männer. Dann haben wir versucht, das Boot mit den restlichen Männern Richtung Insel zu ziehen.
Im Norden der Insel Lesbos liegen Europa und die Türkei nur acht Kilometer voneinander entfernt. In seeuntüchtigen Schlauchbooten kamen im vergangenen Jahr allein an dieser Küste Hunderttausende Flüchtlinge an. Doch auch mindestens 500 schafften es nicht. (SPIEGEL ONLINE) Für die Rettung der Schiffbrüchigen sind eigentlich die griechische und türkische Küstenwache sowie die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX zuständig. Doch in der Praxis kümmern sich vor allem freiwillige Rettungsschwimmer wie Salam und seine NGO "Team Humanity" um die Flüchtlinge.
Männer, Frauen aber auch viele Kinder wagen den Weg übers Meer. (Bild: Reuters/Giorgos Moutafis)
Wie hat die Küstenwache reagiert?
Es dauerte ungefähr eine Stunde, bis sie ein kleines Schiff schickten. Sie befahlen uns, unser Seil zu kappen. Sie wollten, dass wir alle Flüchtlinge auf ihr Boot bringen. Es war gefährlich, aber schließlich schafften wir es. Sie wollten es so darstellen, als hätten sie die Menschen gerettet. An Land sollten wir mit zur Hafenbehörde kommen. Sie kontrollierten unsere Papiere und ließen uns wieder gehen.
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Zwölf Stunden später hörten wir wieder von zwei Booten in Seenot. Es war 2 Uhr Nachts. Wir waren schon auf See und hatten gerade mit der Küstenwache telefoniert, als ein großes Marineschiff direkt auf uns zu fuhr. Wir konnten gerade noch ausweichen, die Wellen hätten unser Boot fast versenkt. Zehn Minuten später hatten uns drei Schiffe der Küstenwache eingekeilt. Sie befahlen uns, mit ihnen zu kommen. Wir seien verhaftet.
Mit welcher Begründung?Sie beschuldigten uns, dem sinkenden Boot am Mittag geholfen zu haben, nach Griechenland zu gelangen. Dabei waren wir die ganze Zeit in griechischen Gewässern. Und sie haben uns beschuldigt, bewaffnet gewesen zu sein. Sie meinten ein kleines Fischmesser, um Seile durchzuschneiden. Du brauchst so etwas, wenn du auf dem Wasser unterwegs bist. Sie nannten es eine Waffe.
Mehr Bilder aus Lesbos:Zusammen mit vier spanischen Rettungsschwimmern wurde Salam nach Mitilini, der größten Stadt auf Lesbos, gebracht. Von Donnerstag bis Sonntag blieben sie dort in Haft. Dutzende Aktivisten und Flüchtlinge protestierten vor dem Gerichtsgebäude für ihre Freilassung. Gegen Kaution ließ das Gericht Salam und die vier anderen Rettungsschwimmer am Sonntag frei. Während die vier Spanier jeweils 5.000 Euro hinterlegen mussten, ordnete das Gericht für Salam 10.000 Euro an. Als einziger darf er Griechenland bis zum nächsten Gerichtstermin nicht verlassen.
Angenommen, es ginge den Behörden nicht darum, dass ihr Flüchtlingen geholfen habt. Welcher Grund könnte hinter eurer Verhaftung stehen?
Das war eine politische Entscheidung. Alle Dokumente, alle Beweise, die Videos, die Handys zeigen, dass wir nicht in türkischen Gewässern waren, es war also kein Menschenschmuggel Erst am Morgen nach unserer Verhaftung hat die Küstenwache uns das geglaubt. Der Arzt der Küstenwache sagte, dass ohne unsere Hilfe wahrscheinlich ein dreijähriges Kind an Unterkühlung gestorben wäre. Es gab sogar einen Brief von einem Ministerium aus Athen, in dem stand: "Wir haben einen Fehler gemacht, tut uns leid." Aber trotzdem soll mir nun der Prozess gemacht werden. Ich darf nicht zurück nach Dänemark. Ich darf meine Familie nicht sehen. Weshalb? Habe ich jemanden ermordet?
Die Rettungsschwimmer helfen freiwillig. (Bild: Fabian Köhler)
Warum bist du nach Griechenland gekommen?
In Dänemark hatte ich ein kleines Geschäft, das nicht so besonders lief. Irgendwann sah ich die Bilder von Lesbos und ließ alles zurück, um zu helfen. Ich kam am 15. September hierher, an meinem Geburtstag. Warum ich das noch immer mache? Weil ich tote Menschen gesehen habe. Seitdem sitze ich hier fest - in einem positiven Sinn. Ich könnte so viele Geschichten erzählen. Wir hatten mehr als 160 Einsätze, retteten wahrscheinlich mehr als 10.000 Menschen. Wenn du ein Kind aus dem Wasser rettest und siehst wie sein Vater und seine Mutter es in die Arme schließen und glücklich sind, dann kannst du nicht einfach wieder gehen.
Klingt so, als würdest du weiter machen wollen.Natürlich werde ich bleiben. Ich werde auch zur Gerichtsverhandlung gehen, ich habe nichts Falsches getan. Ich bin unschuldig und kann das beweisen. Wenn die griechische Regierung mich in den Knast schickt, wäre das nur eine riesige Blamage für sie. Acht Kinder starben an unserem Küstenabschnitt, während wir im Gefängnis waren. Kein einziges starb in den anderthalb Monaten zuvor, als wir da waren. Warum? Was haben diese Menschen getan? Warum mussten sie sterben? Warum durften wir diese Menschen nicht retten? Das ist doch wahnsinnig. Wenn wir nicht mehr helfen können, wird es jeden Tag Tote an der griechischen Küste geben.