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Der riskante Weg von Tottenham Hotspur

Tottenhams Trainer Mauricio Pochettino.

(Foto: AFP) Tottenhams Trainer Mauricio Pochettino forderte eine mutige Transferpolitik. Er bekam das Gegenteil: nicht einen Zugang. Gerade in der Premier League wirkt das wie eine Gegenbewegung auf dem Transfermarkt. Hier geht es zur Tabelle der Premier League.

Der Fußballklub Tottenham Hotspur aus London, das weiß jeder, der seinen Shakespeare in der Schule gelesen hat, ist nach einem englischen Lord aus dem Mittelalter benannt. Jener Henry Percy war ein rechter Heißsporn, und so bekam er den Beinamen "Hotspur" - kein schlechter Name für eine Fußballmanschaft. Aber in diesem Sommer ist er etwas unpassend.

Tottenhams Trainer Mauricio Pochettino hat am Ende der vergangenen Saison wohl eher nicht an den adeligen Namenspatron gedacht. Aber im Mai forderte er, der Klub müsse ein wenig heißsporniger agieren. Der Argentinier hat das nicht auf das Spiel auf dem Rasen bezogen. Sondern auf das Spiel mit den Millionen, die jeden Sommer für den Erwerb talentierte Fußballer in dicken Bündeln die Insel verlassen oder einmal quer durch England geschoben werden.

Seit ein paar Jahren fließen diese Millionen so reichlich, dank lukrativer Fernsehverträge oder schwerreicher Klubbesitzer, dass die Ablösesummen in absurde Höhen wachsen. Pochettino forderte relativ unverblümt, der Klub müsse bei diesem Transfergebaren kräftiger mitmischen als bisher. Die Spurs sind im Vergleich zu den anderen großen Klubs in England und für einen Champions League-Teilnehmer eher konservativ, was das Geldausgeben angeht. Der teuerste Einkauf in den vergangenen Jahren war der Kolumbianer Davinson Sánchez mit 40 Millionen Euro. Pochettino sprach seinen Wunsch nach teureren Transfers zwar nicht direkt aus, sagte aber, der Klub müsse "mutig" sein und "Risiken eingehen" um wirklich Pokale einzufahren. Er werde mit Klubchef Daniel Levy darüber reden. Doch wahrscheinlich endeten die Gespräche nicht in seinem Sinne.

Kane, Eriksen, Alli - die Offensive ist bereits herausragend besetzt

Als einziger Klub der Liga hat Tottenham nicht einen einzigen Spieler verpflichtet. Das hatte es seit Einführung des Transferfensters im Jahr 2003 in der Premier League nicht gegeben, rechnete der Guardian aus. Es wirkt wie eine Gegenbewegung in einem Sommer, in dem der FC Chelsea einen jungen Basken namens Kepa Arrizabalaga zum teuersten Torhüter der Welt machte, umgerechnet rund 80 Millionen Euro betrug die Ablösezahlung an Athletic Bilbao. Aber, so fragten sich in der vergangenen Woche Englands Zeitungen: Kann das gut gehen?

Der Kader der Spurs ist in der Spitze herausragend, im Angriff spielen WM-Torschützenkönig Harry Kane, Dänemarks Vorlagengeber Christian Eriksen und Englands Spielmacher Dele Alli zusammen. Doch im Vergleich zu Chelsea, Meister Manchester City, United und Liverpool sind die Planstellen hinter den Starspielern und die Reservebank nicht so prominent besetzt. Der Kader bleibt wie er ist, denn auch kein Spieler verließ London. Risikoreich ist das aus zwei Gründen.

Da sind zum einen die vielen WM-Fahrer, die erst verspätet nach ihrem Urlaub zurückkehrten. Neun Spieler stellte Tottenham unter den WM-Halbfinalisten, mehr als jeder andere Klub. Fünf für England, drei bei Belgien und der Torwart Hugo Lloris wurde mit Frankreich Weltmeister. Wie fit sie sind, ist unklar. Das zweite Risiko hat sich die Premier League selbst eingebrockt, nämlich die Verkürzung ihrer Transferperiode. Die Klubs dürfen ab dem ersten Spieltag keine neuen Spieler mehr verpflichten, nur noch verkaufen. Pochettino hat schon mitgeteilt, diesmal klar und deutlich, dass er die Verkürzung für Quatsch hält. Was, wenn ein europäischer Topklub nun um einen Spieler der Spurs mit unmoralisch hohen Summen bietet? Tottenham könnte nicht mehr reagieren.

"Ich bemitleide die englische Bevölkerung", sagt Pochettino

Zum Saisonstart ist Pochettino auf den Gegensatz zwischen seinen Aussagen und dem passiven Gebaren auf dem Transfermarkt angesprochen worden - und er sprach vom Brexit. Tottenham hat letzte Saison ein neues Stadion an der alten Stelle gebaut, an der White Hart Lane. Das koste fast eine Milliarde Pfund, sagte Pochettino. Und nun ja, der Brexit mache eben alles nochmal um 30 Prozent teurer: "Ich bemitleide die englische Bevölkerung."

Allzu sehr sollte sich Pochettino aber nicht grämen. Sein Team, dessen Kern die letzten Jahre zusammengespielt hat, hat zwar noch keinen Pokal gewonnen, war in den letzten drei Jahren aber nie schlechter als Platz drei. Die Saison begann am Samstag gut, mit einem 2:1 bei Newcastle United. Und allzu viel Draufgängertum, das lehrt die Geschichte, kann ja manchmal auch schaden. Lord Henry Percy rebellierte gegen seinen König, fiel dann aber in der entscheidenden Schlacht.

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