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WM in Brasilien: "Wir Lateinamerikaner halten zusammen"

Die Lateinamerikaner haben bei dieser WM allerhand Gründe zur Freude: ausgezeichnete Spielergebnisse und ein Turnier auf dem eigenen Kontinent. In Brasiliens WM-Städten feiern Latinos gemeinsam - bis es um den Titel geht. 


Felipe Gonzales muss jetzt tapfer sein. Die Chilenen sind raus. Vor wenigen Minuten hat er in der Bar direkt am Strand von Copacabana zugeschaut, wie seine Mannschaft im Elfmeterschießen gegen den WM-Gastgeber rausgeflogen ist. "Wir haben gut gespielt", sagt Felipe und kippt den letzten Schluck Bier herunter.Seine Lippen bibbern, dem Chilenen mit den aufgepumpten Oberarmen versagt die Stimme, seine Augen werden feucht. Jetzt hofft Felipe, dass die Brasilianer Weltmeister werden. "Wir Lateinamerikaner sind alle Hermanos", sagt er, Brüder, und klopft sich mit der Faust auf das Chile-Wappen auf seiner Brust.

Die WM der Hermanos

Diese WM ist die WM der Hermanos: Sieben lateinamerikanische Teams haben es ins Achtelfinale geschafft und auf dem Weg dahin auch europäische Mannschaften aus dem Turnier gekickt. Ein Grund für den Erfolg der Latinos: der Heimvorteil, findet doch die WM auf dem eigenen Kontinent statt. Fast 40.000 Eintrittskarten gingen an Chilenen, 55.000 an Kolumbianer, 61.000 an Argentinier. Und Zehntausende sind auch ohne Ticket nach Brasilien gereist, um ihre Mannschaften zu unterstützen.
Franco Paltinieri zum Beispiel. Für den Fußball ist er von Buenos Aires nach Rio de Janeiro getuckert, 3.000 Kilometer - mit seinem VW-Bus. Und der parkt jetzt auf einem Gelände im Stadtzentrum, umgeben von Favelas und direkt neben dem Sambadrom, durch das beim Karneval die Sambaschulen tanzen. Ein eingezäunter Betonplatz, etwas größer als ein Fußballfeld. Die Landessprache auf dem Platz: Spanisch.

Zu viert im Auto

Denn hier parken neben Franco rund 200 lateinamerikanische WM-Touristen. Die Stadtverwaltung von Rio stellt ihnen das Gelände kostenlos zur Verfügung, inklusive Sicherheitspersonal und Toiletten. Die einen sind mit riesigen Bussen gekommen, andere schlafen zu viert in einem Auto. An ihren fahrenden Unterkünften wehen Nationalflaggen, eine Gruppe Argentinier hat den ganzen Bus weiß-blau gestrichen.
Die lateinamerikanische Invasion – so wird der Touristenansturm in den brasilianischen Medien oft genannt – prägt nicht nur das Stadtbild von Rio de Janeiro. Überall, wo die Teams aus Brasiliens Nachbarländern spielen, sammeln sich deren Anhänger. Nach Porto Alegre, in den Süden Brasiliens, wo Argentinien sein letztes Gruppenspiel gegen Nigeria bestritt, pilgerten rund 50.000 argentinische Fans.

"Wir haben Messi und den Papst"

Am Abend herrscht Campingplatz-Stimmung im Zentrum von Rio de Janeiro. Die Feierlaune lassen sich die Latinos auch von der ungemütlichen Umgebung nicht verderben. Franco sitzt bei den Nachbarn, auf einem Campingstuhl vor deren Kleinbus. Die Chilenen haben den Grill angeworfen, die Bierdosen zischen. "Wir Lateinamerikaner halten zusammen", sagt Franco. Er habe hier sehr viele Freunde gefunden, aus Uruguay, Kolumbien, Argentinien und Chile.

Doch wenn es  um den Titel geht, ist die frisch geschlossene Freundschaft schnell vergessen. Dann ist Francos Campingplatz-Nachbar Matias Mainero wieder ganz patriotisch. "Wir haben Messi, wir haben den Papst, also werden wir gewinnen", sagt der Argentinier aus Córdoba und deutet auf die Fahne mit dem Franziskus-Bild, die er an seinem Bus aufgespannt hat. Und für die Brasilianer wäre ein Turniersieg der Argentinier so, wie es für die Deutschen wäre, wenn Holland die WM gewinnt: ein Supergau. Mit der lateinamerikanischen Bruderschaft wäre dann Schluss.
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