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Stundenhotels während der WM: Fußball schlägt Liebe

Weil Hotelzimmer während der WM in Rio de Janeiro knapp und teuer sind, kommt der ein oder andere Tourist in einem Stundenhotel unter - konzipiert eigentlich für erotische Stunden zu zweit. Diese Hotels haben folgerichtig einiges zu bieten. 


Wenn die Touris kommen, muss die erotische Speisekarte weg. Eigentlich lag die in der Suite immer direkt neben der gewöhnlichen Karte mit Salaten und Grillspezialitäten. Doch das erotische Menü mit Sexspielzeug und Lederwäsche wird hier nicht mehr gebraucht. Rio de Janeiros Stundenhotels bauen um: Der Kitsch muss raus. Denn wo sich vorher Pärchen vergnügten, schlafen jetzt WM-Touristen.

Mikrofaser, wo vorher Satin glänzte

Antonio Cerqueira, ein 68-jähriger, gut gebauter Mann mit Halbglatze, schlendert durch die Copacabana-Suite seines Motels "Shalimar". Sein Hemd ist weit aufgeknöpft, um seinen Hals baumelt eine Goldkette. Die runden Betten mit Satin-Bezügen wurden ersetzt - durch rechteckige mit Betttüchern aus Mikrofaser, erklärt er etwas wehmütig. Der Deckenspiegel wurde abmontiert, erotische Gemälde auf den Müll geworfen. Hier sieht es jetzt aus wie in einem ganz normalen Hotelzimmer. Sogar ein Kleiderschrank wurde eingebaut. "Der war früher nicht nötig", sagt Cerqueira, "unsere Gäste sind immer nur ein paar Stunden geblieben."
Ins Motel, so werden die Stundenhotels in Brasilien genannt, gingen eigentlich sonst vor allem junge Pärchen, die noch bei den Eltern wohnten - oder Fremdgeher. 180 Motels gibt es allein in Rio de Janeiro, 5.000 im ganzen Land. Seit den 60er Jahren gehören Motels zur brasilianischen Kultur. Laut des Instituts für Statistik IBGE gibt es in Brasilien mehr Stundenhotels als Gästehäuser.

Zimmer mit Garage und Anonymität

Die Liebesburgen funktionieren nach dem MC-Drive-Prinzip: Man fährt mit dem Auto vor, kurbelt das Fenster ein Spalt herunter und nimmt den Zimmerschlüssel entgegen. Jedes Zimmer hat eine extra Garage. Anonymität ist Teil des Geschäftsmodells.

Doch Hotelbetten sind während der Weltmeisterschaft knapp und für viele Touristen unbezahlbar. Um bis zu 80 Prozent hat so manches Hotel den Zimmerpreis während des Turnier-Monats erhöht. Deshalb versprach die Stadtverwaltung Steuererleichterungen für Motelbesitzer, die ihre Liebesburgen fit machen für den Touristenansturm. Über 1.000 Motelzimmer wurden in Rio de Janeiro bereits ent-erotisiert, bis zu den Olympischen Spielen 2016 sollen es 7.000 werden.

Dampfbad und Whirlpool im Zimmer

Für Antonio Cerqueira hat sich der Umbau gelohnt: Zehn der 62 Zimmer seines Motels hat er in neutrale Hotelzimmer verwandelt und lockt damit nicht nur Touristen. "Viele Geschäftsmänner schlafen auch lieber in Ex-Motels, die jetzt wie Hotels funktionieren", sagt Cerqueira, "sie schätzen die komfortablere Einrichtung, denn viele unserer Zimmer haben Sauna, Dampfbad, Whirlpool oder Schwimmbad." Manche Suiten, besonders die mit Grill, würden während der WM von Gruppen zum gemeinsamen Fußball schauen gemietet.

Durch die Gänge des Stundenhotels balanciert ein Kellner in schwarzem Frack ein Tablett mit Sektgläsern. Der Zimmerservice liefert rund um die Uhr - sogar warmes Essen, das in der hauseigenen Küche gekocht wird. Auch ein Vorteil der Stundenhotels gegenüber normalen Unterkünften, findet Cerqueira. Und dafür zahlen Touristen zahlen nur rund 50 Euro pro Nacht.

Die Mittelalter-Suite bleibt für die Sex-Gäste

Eine Oase für verspielte Paare musste Antonio Cerqueira in seinem Motel jedoch unberührt lassen: die Mittelalter-Suite. Dort hängen Schwerter an der Wand, Ketten von der Decke. Es gibt einen Whirlpool, eine kleine Tanzfläche mit blinkenden Disco-Lichtern. "Die Stammkunden haben mir gedroht", sagt Cerqueria, "wenn ich die Suite auch umbaue, kommen sie nicht mehr."
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