Am Montagabend fand ein islamistischer Anschlag im Herzen von Wien statt. Vier Menschen starben, 22 wurden verletzt.
„Viele muslimisch gelesene Menschen haben Angst, jetzt noch mehr Hetze und Diskriminierung zu erfahren", sagt Rami Ali, der als Politologe und Islamwissenschaftler in Wien arbeitet. Nach den Terroranschlägen 9/11 in den USA, dem Anschlag in London, dem Angriff auf das Satiremagazin Charlie Hebdo und den jüdischen Supermarkt seien die Angriffe auf Muslim*innen und muslimisch gelesene Menschen gestiegen. „Das wird leider in Österreich nicht anders sein und die Angst vor rassistischen Ressentiments ist total berechtigt", sagt Ali. „Schon jetzt bitten Eltern ihre Söhne sich zu rasieren, ihre Töchter das Kopftuch lockerer zu tragen oder unter einer Haube zu verstecken."
Bereits seit Jahren steigen die Angriffe auf Muslim*innen in Österreich an. Waren es vor fünf Jahren noch 158 Fälle, wurden vergangenes Jahr 1051 gemeldet. Während Bundeskanzler Sebastian Kurz sich dieses Mal klar für Solidarität mit Muslim*innen in Österreich ausgesprochen hat, warnt der ehemalige österreichische Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) auf Facebook bereits vor „falscher Toleranz". Rechtsextreme Splittergruppen wie etwa die der Identitären Bewegung mobilisieren bereits seit der Tatnacht in Telegram-Gruppen und hetzen gegen „den Islam". „Rechte Parteien wie etwa die FPÖ werden den Anschlag massiv instrumentalisieren", sagt der Politologe Rami Ali. „Der Ton wird sich verschärfen."
Wir haben mit vier jungen muslimisch gelesenen Menschen aus Österreich gesprochen, die erzählen, wie es ihnen geht und was der Anschlag für ihre Lebensrealität bedeutet.
Am Abend des Anschlags war ich mit zwei Freundinnen in Wien unterwegs, die ich noch vor dem Lockdown sehen wollte. Wir gingen zusammen essen und dann spazieren. Als wir Schüsse hörten, dachten wir zuerst, das Geräusch komme von einer Baustelle. Dann bekam ich eine Nachricht auf Telegram, dass es eine Schießerei auf dem Schwedenplatz gäbe. Wir versuchten nur noch, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Ich zitterte am ganzen Körper, stand total unter Schock, konnte aber gar nicht realisieren, was passiert ist. Dass so etwas Schreckliches, das bisher doch immer gefühlt weit weg von Österreich war, jetzt auch bei uns ist.
Die Angst davor, dass meiner Familie, meinen muslimischen Freund*innen und mir etwas passieren könnte, ist mir aber nicht neu. Die trage ich immer in mir. Ich muss regelmäßig Beschimpfungen wie das N-Wort oder „Scheißmuslime" über mich ergehen lassen. Fast noch mehr ärgern mich aber stereotypische Sachen wie: „Schläfst du mit Kopftuch?", „Du sprichst aber sehr gut Deutsch" oder „Du bist nicht so wie die anderen Muslime". Es macht mich auch wütend und traurig, dass ich nie als Wienerin und Österreicherin gesehen werde. Mir nie das Gefühl gegeben wird, dass auch Österreich meine Heimat ist.
Eine Freundin erzählte mir, dass sie bereits am Tag nach dem Anschlag antimuslimisch-rassistischen Bemerkungen in der U-Bahn ausgesetzt war. Wir, die jüngere muslimische Generation, können uns vielleicht verbal verteidigen. Aber unsere Eltern und Großeltern, die die Sprache nicht so gut beherrschen, weil sie mehr damit beschäftigt waren, uns ein angenehmes Leben hier zu ermöglichen: Wer wird sie verteidigen? Wird ihnen jemand zu Hilfe eilen? Oder werden sie ganz allein dastehen?