Das Smartphone ist vielen Flüchtlingen eine große Hilfe auf ihrer Reise: Google Maps, GPS, Facebook-Gruppen mit Tipps. Vor allem aber ist es die einzige Verbindung in ihr altes Leben. Vier Flüchtlinge erzählen.
Text: Nadja Schlueter , Bisenk Ergin & Eva Hoffmann
Wenn du ein Smartphone hast, kannst du jederzeit mit Menschen auf der ganzen Welt kommunizieren. Aber wenn du den falschen Pass hast, kannst du nirgendwohin. Dann hat die grenzenlose Welt plötzlich viele harte Grenzen. Ein Flüchtling braucht Wochen, um bis nach Deutschland zu gelangen, er verlässt seine Familie, er gefährdet sein Leben, er gibt all seine Ersparnisse aus, er wird aufgehalten oder eingesperrt - aber wenn er es schafft, kann er an einem Montag um 15 Uhr eine Nachricht an seinen Bruder schicken und sagen, dass er angekommen ist. Und der Bruder kann diese Nachricht an diesem Montag um 15 Uhr lesen. Menschen, die nach Europa fliehen, wollen Frieden, Sicherheit, Freiheit, eine bessere Zukunft. Das sind ihre wichtigsten Ziele. Aber erst mal brauchen sie: ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen. Und gleich danach die Möglichkeit, zu kommunizieren und sich zu informieren. Sie brauchen Smartphones. Darüber gab es in den vergangenen Monaten immer wieder Diskussionen, meist angestoßen von Asylgegnern, die Sätze wie „Die haben ja alle Smartphones - so schlecht kann es denen gar nicht gehen!" sagen und in Blogs und Kommentarspalten schreiben. Andere halten dagegen. „A 21st-Century Migrant's Essentials: Food, Shelter, Smartphone", schrieb zum Beispiel die New York Times, „Smartphones sind für Flüchtlinge überlebenswichtig" das Magazin Wired. „Das Smartphone ist für einen Flüchtling meist sein einziger Guide durch eine fremde und gefährliche Welt der Grenzen und Regime, Polizisten und Schleuser, Asylgesetze und Kontaktadressen", sagt Professor Wolfgang Kaschuba, Direktor des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung. Erkundung von Route und Ziel, die Suche nach Kontakten und Hilfsadressen, Informationen zum Asylverfahren und zur Rechtslage - für all das kann man ein Smartphone nutzen. Das ist die praktische Seite. Doch es gibt auch die emotionale Seite - die, die es schon gab, bevor Schleuser in Facebook-Gruppen um Kunden warben, und in anderen Gruppen erklärt wurde, wie man es ohne Schleuser nach Europa schafft: Das Smartphone hilft den Flüchtlingen, den Kontakt zu den Menschen zu halten, die ihnen am Herzen liegen und denen sie vertrauen. Über alle Grenzen hinweg. Zur Familie in der Heimat, aber auch zu Menschen, die sie auf ihrer Flucht kennengelernt haben, oder zu Verwandten und Freunden, die es geschafft haben und schon angekommen sind. Dieser Kontakt ist wichtig, denn viele Flüchtlinge sind allein unterwegs. Nachrichten von Freunden und Familie können aufbauen, helfen, lindern. Andererseits müssen gerade Flüchtlinge aus Krisenregionen mit repressiven Regimes aufpassen, dass sie ihre Familie nicht gefährden, wenn sie sich melden. Und viele wollen auch nicht, dass sich Mutter, Vater und Geschwister zu viele Sorgen machen, und überlegen lange, wann und wie sie sich melden. Wir haben vier junge Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, gefragt: Wie hast du mit Freunden und Familie kommuniziert, als du auf der Flucht warst? Und wie hört ihr heute voneinander?
Nach meiner Ankunft in Berlin hat es drei Monate gedauert, bis ich genug Geld für ein Handy zusammengespart hatte. Es sollte ein Smartphone sein, damit ich online telefonieren kann. Zuerst wählte ich die Nummer meiner Mutter. Schon als sie meine Stimme hörte, fing sie an zu weinen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ich mich jemals wieder melde.
Als ich in Syrien zum Militär einberufen wurde, war klar, dass ich das Land verlassen muss. Kriegsdienstverweigerung wird bei uns nicht akzeptiert. Damaskus war meine erste Fluchtstation. Da wurde ich ständig auf offener Straße kontrolliert. Die Polizei sucht besonders bei jungen Leuten nach Smartphones, weil die Demos mitfilmen und twittern. Ich habe meins immer im Schuh versteckt, wenn ich unterwegs war.
Von Damaskus bin ich über den Libanon nach Kairo geflohen. Dort musste ich ein Jahr arbeiten, bevor ich die 3000 Dollar für die Überfahrt nach Europa zusammen hatte. Die ganze Zeit habe ich übers Handy Kontakt mit meinen Verwandten in Syrien gehalten, die mich bei der weiteren Planung unterstützt haben. Aber mir war klar, dass ich ab der Überfahrt den Kontakt abbrechen muss. Niemand nimmt sein Handy mit aufs Meer: Es wird nass, man hat keinen Empfang, und wenn die Schlepper es finden, schmeißen sie es über Bord. Viele haben auch Angst, dass die Funksignale von der Grenzpolizei abgefangen werden.
Sechs Tage war ich mit 50 anderen in einem Holzboot auf dem Wasser. Dann hat uns die Polizei vor Sizilien abgefangen, und wir wurden in ein Auffanglager gebracht. Ich hätte gern meine Familie angerufen und sie beruhigt, dass es mir gut geht - aber zu dem Zeitpunkt besaß ich nichts mehr, auch kein Handy. Ich habe ein Ticket nach Wien bekommen, von dort fuhr ich weiter nach Berlin. Ich war so froh, endlich angekommen zu sein! Mein erster Impuls war, meine Familie anzurufen, aber ich hatte keinen Cent für ein Telefonat.
Seit ich mein Smartphone habe, telefonieren meine Mutter und ich einmal die Woche. Sie hält mich auf dem Laufenden, wie es meiner Familie geht. Die ist mittlerweile auf der halben Welt verteilt: ein Bruder in der Türkei, einer in Ägypten, ein anderer im Libanon und einer noch zu Hause in Syrien. Wir schreiben täglich über Viber und WhatsApp. Mein Bruder schickt mir Fotos von Gebäuden, die zerstört wurden, meine Mutter informiert mich über die Lage in Damaskus. Aber wir müssen sehr vorsichtig sein. Es ist kein Geheimnis, dass die Telefone in Syrien abgehört werden. Deshalb ersetzen wir Wörter wie „Bombe" durch banale Begriffe. Dann kommen so Sätze raus wie: „Heute ist wieder eine Paprika in das Haus von XY gefallen." Ich lösche zur Sicherheit trotzdem alle Nachrichten sofort, nachdem ich sie gelesen habe. Das ist allerdings auch schade, sie sind die einzigen Erinnerungen an meine Familie zu Hause.
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