Von Eva Casper und Julia Hägele
In der Scheune neben Traktor und Mofa steht das, was Josef Neumair seit seiner Kindheit nicht ruhen lässt. Der 78-Jährige läuft über den Kies seines Bauernhofs in Aichach bei Augsburg und öffnet das Scheunentor wie einen Bühnenvorhang. Zum Vorschein kommt eine Maschine, die aussieht wie ein mannshohes Kreissägeblatt. Josef Neumair zieht die Folien herunter, vier verschiedene Lagen.
Eine fünfstellige Summe hat er investiert. Alles für seinen Traum eines Perpetuum mobile, einer Maschine, die ewig läuft, ewig Strom produziert ohne Kohle, Atome, Wasser, Wind oder was Menschen sonst noch nutzen, um Kaffee zu kochen oder Autos zu fahren. Allein die Bodenplatte des Mobile wiegt eine Tonne. Die beiden Scheiben nochmal jeweils 50 Kilo. Dazwischen kleine Zylinder, die für Antrieb sorgen. Alles aus Metall.
Josef Neumair schiebt das Rad an. Die Zylinder tanzen zwischen den Scheiben. Ein Knacken und Knirschen. Fünf Sekunden, zehn Sekunden. Dann ziehen die Zylinder nach rechts, schaukeln, bremsen. Das Rad bleibt stehen. „Die Verlagerung vom Drehpunkt ist das Problem", sagt Neumair. Ein Kollege hat die Scheiben für ihn ausgefräst. „Er hat mich nicht verstanden". Er spricht langsam und leise. Alle Teile mussten einzeln angefertigt werden. Er bekam zwei linke Scheiben geliefert, brauchte aber eine Rechte und eine Linke. Die Rillen waren falsch platziert. Warum, weiß er nicht.
Er weiß, was es heißt, keinen Strom zu haben
Auf den Nachbardächern spiegeln die Photovoltaik-Anlagen das Sonnenlicht. Neumair hätte auch eine auf seine Scheune bauen können. Aber davon hält er nicht viel. Wenn es neblig oder bewölkt ist, könne man sich noch nicht einmal einen Kaffee kochen. Es bräuchte doch etwas, was immer läuft. Immer Strom produziert, für alle. „Es ist die Pflicht von jedem, für seine Mitmenschen etwas Gutes zu tun", sagt er.
Schon als Kind betrachtete Neumair in seinem Heimatort in Bayern die Wassermühle, die das kleine Dorf mit Strom versorgte. Er stellte sich eine Maschine vor, die auch ohne Wasser läuft. Als die Alliierten die Bombenangriffe auf die nahe Schießpulverfabrik flogen und der Bevölkerung das Licht abgedreht wurde, wusste er, was es heißt, keinen Strom zu haben. Damals entstand das Perpetuum mobile in seinem Kopf. Dort drehte es sich immer weiter, bis heute.
Neumair war Metzger, Zimmermann, Landwirt, Maurer und arbeitete in einer Landmaschinenfabrik. Dort lernte er das technische Zeichnen. „Immer, wenn ich in etwas richtig gut geworden war, habe ich etwas Neues angefangen", sagt er. „Es hat mich einfach alles interessiert." Er erneuerte den gesamten Bauernhof, den seine Frau geerbt hat. Baute seinen drei Kindern Häuser, den Nachbarn eine Treppe. Alles funktioniert, alles steht noch. Nur das Perpetuum mobile, das will einfach nicht gelingen.
Schon Leonardo da Vinci zeichnete Konstruktionen einer Maschine, die sich ewig bewegen soll. Er zweifelte am Ende an der Machbarkeit. Jedes Kraftwerk braucht einen Antrieb: Wärme, Wasser oder Wind. Energie aus dem Nichts zu produzieren, ist physikalisch unmöglich. Hermann von Helmholtz formulierte das 1847 im Energieerhaltungssatz, der dem Perpetuum mobile den wissenschaftlichen Totenschein ausstellte. Patentämter lehnen heute jede Erfindung mit Verweis auf die Naturgesetze ab. Neumair ist trotzdem hingegangen. Immer wieder. Zweimal hat er Beschwerde eingereicht. Ohne Erfolg.
Er will auch gar nicht unbedingt Energie aus dem Nichts erschaffen. „Es reicht ja auch ein Gerät, das einfach mehr Strom produziert, als verbraucht wird." 600 Watt hineingeben, 3000 Watt wieder herausbekommen. Aber auch das geht physikalisch nicht. Energie wandert von einem System in ein anderes. Von der Kohle in die Stromleitung. Von der Steckdose in den Mixer. Aber die Menge an Energie bleibt dabei immer gleich. Nichts geht verloren, nichts kommt hinzu. Wenn man Energie in eine Maschine gibt, kommt am Ende die gleiche Menge wieder heraus. Naturgesetz. Unumstößlich. Niedergeschrieben in Hunderten Physikbüchern.
Die Maschine aller MaschinenAber Neumair liest keine Physikbücher. „Da steht ja eh nur drin, dass es nicht geht", sagt er, „und auch Leonardo da Vinci hat sich mal geirrt." Er will es zumindest versuchen. Im Wohnzimmer liegt ein Stapel Mappen voll mit Zeichnungen. Durchnummeriert, mit Name, Datum und Adresse. Bleistiftkreise, die sich irgendwann einmal drehen sollen. Artikel über andere Erfinder, die auch an der Maschine aller Maschinen arbeiten. Wenn er wieder eine Idee hat, holt er seinen Zeichenblock raus und die Lineale: Kreise, Dreiecke, Ellipsen. Dann setzt er sich an den Wohnzimmertisch. An jeder Wand Engel oder Jesus.
Wo hat es beim letzten Mal gehakt? „Ich bin da zu hoch hinaus und da zu tief gegangen", sagt er und fährt mit seinem Fingerstumpf über das Foto eines früheren Modells. Die Kuppe von seinem Zeigefinger hat er bei Sägearbeiten verloren. Er hatte mal ein kleineres Modell bauen lassen, 70 Zentimeter hoch, ein paar Tausend Mark. Als er es bei der Firma abholen wollte, war es weg. Er vermutet, ein Mitarbeiter hat es gestohlen, aber er konnte niemanden verdächtigen, nichts beweisen. Er klagte nicht.
Ab dann wurde alles groß und schwer. Nichts, was man schnell stehlen konnte. Ein Sattelschlepper mit Anhänger brachte die fertige Maschine. Ein Rad mit Zylindern, wie abstehende Haare. Sie lief mehrere Stunden, aber nicht ewig. „Da wollte ich das erste Mal wirklich aufgeben." Dann las Neumair einen Artikel über eine Maschine, die schon seit einer Woche durchlief und angeblich mehr Strom produzierte, als sie verbrauchte. Neumair fasste neuen Mut. Zeichnete neue Entwürfe, kratzte neues Geld zusammen.
„Ich mache mir nichts aus Geld"
Der Sohn ist genervt: „Lass es bleiben, Papa. Es funktioniert nicht." Aber der Vater bleibt stur. Es gibt eine Abmachung in der Familie Neumair: Wegen des Mobile, wie sie sagen, wird nicht gestritten. Neumairs Frau Brigitte ist klein und freundlich, ihr Händedruck zart. „Ich lass ihm sein Mobile."
Auch wenn die Nachbarn ihn für verrückt halten, aufhören will Neumair nicht. Zweifel, Häme und Lacher machen ihm nichts aus. „Ich hab's versprochen", sagt er mit dem feierlichen Stolz eines Kindes, das einen Schwur geleistet hat. „Ich hab Jesus versprochen niemals aufzugeben." Neumair hat den Krieg überlebt, eine Bombe, die nur 15 Meter entfernt von ihm explodierte. Zwei schwere Autounfälle. „Aber es ist immer gut ausgegangen", lacht er. Eigentlich lacht er immer.
Josef Neumair ist dankbar für sein Leben, möchte etwas zurückgeben. Mitte der Neunzigerjahre ging er nach Kroatien, um dort nach dem Krieg beim Wiederaufbau zu helfen. Baute Kirchen und Notunterkünfte, half den Menschen. Und mit dieser Maschine - könnte er da nicht allen Menschen helfen? Keine Umweltverschmutzung mehr, keine teuren Stromrechnungen, die manche nicht bezahlen können. Bei denen wird dann der Strom abgedreht und es wird dunkel, als wäre wieder Krieg.
Was ist da schon eine fünfstellige Summe? „Ich mache mir nichts aus Geld", sagt Neumair. Auf dem Tisch liegen die Fotos aus Kroatien. Eines zeigt ihn beim Holzhacken. Auf der Rückseite steht in blauer Schrift: „Wir leben nicht nur für uns selbst, sondern auch für andere."
Er hat schon wieder einen Entwurf in Arbeit. Nur das Geld für die Umsetzung hat er nicht. Wenn wieder welches da ist, wird es in die Entdeckung des Perpetuum mobile fließen. „Oder es findet sich vielleicht ein Investor." Brigitte Neumair bleibt verständnisvoll. „Aber ein paar Mal in den Urlaub gefahren wäre ich schon ganz gern."
Fotos: Erol Gurian und Julia HägeleOriginal