Trainer Ewald Lienen hat eine schwierige Aufgabe beim griechischen Traditionsverein AEK Athen. Im Interview spricht Lienen über die Arbeit mit Spielern, die mit knurrenden Mägen zum Training kommen - und sein Verhältnis zu den Fans.
Die Terminvereinbarung war außerordentlich mühselig. Nicht, weil Ewald Lienen nicht reden möchte. Im Gegenteil er hat Gesprächsbedarf: Griechischer Fußball in der Finanzkrise ist eine Mischung aus alltäglichem Überlebenskampf und Flickschusterei. Aber immer wieder musste Lienen das Interview verschieben, weil er so viel zu tun hat bei AEK Athen, seit er im vergangenen Oktober beim griechischen Erstligisten das Traineramt übernahm. Auch zur verabredeten Zeit war es dann wieder schlecht: Lienen aß gemeinsam mit der Mannschaft in der Geschäftsstelle zu Mittag. Eineinhalb Stunden später rief er dann zurück.
Herr Lienen, wussten Sie, was Sie erwartet, bevor Sie im Oktober das Traineramt bei AEK Athen übernommen haben?
Dass die Situation in Griechenland schwierig ist, das habe ich gewusst und das hat sich bestätigt. Auch dass sich AEK in der tiefsten Krise der Vereinsgeschichte befindet, war mir klar. Ich wollte nach einem Jahr Pause wieder arbeiten und den Klub wieder an die Spitze bringen. Doch das ganze Ausmaß der Situation war mir nicht bewusst. Wir arbeiten hier unter Bedingungen, die man sich woanders gar nicht vorstellen kann.
Wie steht es um den Verein?
Der Schuldenberg ist so angewachsen, dass im Sommer bis auf einige Reservisten fast alle Spieler den Verein verlassen haben. Aufgrund der finanziellen Situation ist der Verein trotz der sportlichen Qualifikation nicht für die Europa League zugelassen worden. Einnahmen hat der Klub kaum noch: Die Eintrittsgelder wurden drastisch reduziert, weil sich die Fans die Karten sonst nicht mehr leisten können, Sponsorenverträge brechen weg. Die Einnahmen durch die Werbe- und Fernsehverträge der Super League sind größtenteils automatisch blockiert, um alte Schulden, zum Beispiel die Forderungen ehemaliger Spieler zu begleichen.
Wie sind die Bedingungen für ihre Mannschaft?
Der Großteil der neuen Spieler ist sehr jung und konnte nur sehr schlecht dotierte Verträge erhalten. Für sie und auch für die Angestellten im Klub geht es um die pure Existenz. Viele Spieler verdienen 500 bis 1000 Euro im Monat, die der Klub in der Regel nicht hat. Sie müssen darauf hoffen, dass der Verein in der Lage ist, ihre Miete zu bezahlen. Doch selbst das ist seit Monaten kaum möglich. Viele müssen befürchten, dass sie ihre Wohnung verlieren. Das ist für alle Beteiligten unglaublich belastend.
Wie macht sich der Existenzkampf noch bemerkbar?
Zu Beginn meiner Tätigkeit hier musste ich ein gemeinsames Frühstück einführen, weil einige Spieler mit knurrendem Magen zum Training kamen. Zum Glück gibt es Restaurants, in denen die Spieler kostenfrei essen können und Anhänger, die uns immer wieder einladen. Für Spieler, die nicht direkt am Vereinsgelände wohnen, ist es ein Problem, zum Training zu kommen. Die müssen die Autobahn nehmen, pro Tour 2,60 Mautgebühren zahlen, dazu den Sprit, der mit 1,70 Euro teurer als in Deutschland ist. Doch das ist nicht alles, es gibt noch viele größere Probleme.
Welche?
Einige Fans halten seit Dezember die Geschäftsstelle besetzt, weil sie von den Besitzern, die nicht mehr bereit sind, neues Geld zu investieren, wissen wollen, wie es zu diesem immensen Schuldenberg gekommen ist. Die Konsequenz ist jedoch, dass die Mitarbeiter einen Monat lang nicht zur Arbeit gekommen sind. Die kamen erst wieder, als ich gedroht habe, auch nicht mehr zu kommen. Dabei brauchte ich sie für die täglich Arbeit und auch um in der Winterpause Transfers zu tätigen. Ein Videostudium unserer Gegner für die Mannschaft war zu der Zeit auch nicht mehr möglich, weil die Fans, um fernzusehen, die technischen Anlagen auseinandermontiert haben. Als ich mit ihnen sprach, entschuldigten sie sich und beteuerten, unsere Arbeit nicht behindern zu wollen.
Wie ist Ihr Verhältnis zu den Anhängern?
Das sind Leute, die ihr Leben lassen für den Klub. Die haben selber kein Geld und fahren trotzdem überall hin. Doch immer wieder kommt es zu Szenen, die man sich nicht vorstellen kann. Bei unserem Rückrundenauftakt in Tripolis hat ein Spieler beim Warmlaufen eine abfällige Geste gegenüber den mitgereisten Fans gemacht, die ihn zuvor beleidigt hatten. Daraufhin haben einige von ihnen am nächsten Tag den Trainingsplatz gestürmt und ihn verprügelt. Aus Angst wollte die Mannschaft danach nicht mehr zum Training kommen, hat ihre Meinung aber revidiert. Nach diesen Vorkommnissen ist inzwischen glücklicherweise wieder etwas Normalität eingezogen.
Inwiefern ist eine Arbeit auf Profi-Niveau möglich?
Entscheidend ist, dass die Spieler gut ernährt sind, dann ist das Training auf dem Platz so professionell, wie es nur sein kann. Wir fordern sehr viel von ihnen und versuchen trotz aller Widrigkeiten, gute Leistungen abzuliefern. Die Mannschaft und die Mitarbeiter im Verein leisten angesichts der anhaltenden wirtschaftlichen Widrigkeiten eine unglaubliche Arbeit, die nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
Was können Sie mit Ihrer Arbeit bewirken?
Ich habe hier eine Rasselbande rumlaufen, vorwiegend Spieler um die 20 Jahre, viele ohne Erstligaerfahrung. Als ich angetreten bin, hatten wir zwei Punkte, waren Tabellenletzter. Im Winter habe ich zwei erfahrende Spieler dazu bekommen, inzwischen läuft es viel besser. Wir stehen jetzt bei 26 Punkten und haben uns auf den elften Platz hochgearbeitet.
AEK spielte zuletzt im Athener Olympiastadion vor gerade einmal 6000 Zuschauern. Wird der Fußball in Zeiten der Krise unwichtiger?
Die Stadien waren während meiner früheren Tätigkeit in Griechenland, in den Jahren 2006 bis 2008, auch schon leer, aber natürlich ist es der ökonomischen Krise geschuldet, dass jetzt noch mehr Fans wegbleiben. Die Fans picken sich Highlights raus. Beim Länderspiel gegen die Schweiz waren wir neulich fast allein im Stadion, gegen Bosnien-Herzegowina waren 30 000 da.
Wie geht es für Sie und den Verein weiter?
Wenn wir die Probleme nicht gelöst bekommen, dann gehen hier die Lichter aus. Wir hoffen, dass AEK finanziell gerettet wird. Dafür sind wir jedoch auf die Hilfe eines Investors angewiesen. Der stünde auch bereit, kommt aber bislang nicht, weil die Regierung auf Druck der EU und der Troika beschließen musste, dass alle Steuerschulden binnen eines Jahres beglichen werden müssen, anstatt diese über drei, vier Jahre strecken zu können, wie es der ursprüngliche Plan war. Der Investor, der bereit ist, alle sonstigen Schulden zu übernehmen, müsste monatlich 700 000 Euro zurückzahlen. Das kann er nicht. Das Ende vom Lied ist, dass der Staat gar nichts kriegt, weil das Geld nicht da ist, um die Schulden fristgerecht abzubezahlen. Mit diesem Gesetz wird den Vereinen, aber auch den einfachen Leuten die Luft zum Atmen abgeschnürt. Das ist unerträglich.
Hätten Sie das Angebot von AEK auch angenommen, wenn Ihnen die Bedingungen alle schon vorher bekannt gewesen wären?
Ich denke, ja. Ich hätte ebenso die Hoffnung gehabt, hier etwas bewirken zu können. Denn es lohnt sich, alles dafür zu tun, dass der Verein, der immer zu den besten des Landes gehörte, wieder in die Spur kommt. AEK ist einer der beliebtesten Klubs Griechenlands. Und was die Menschen betrifft, hat mich mein positives Gefühl nicht getäuscht.
Das Gespräch führte Erik Peter. 21. Februar 2013
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