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Affäre Holm: Ein Opfer der Stasi klagt an

Der Fall Holm spaltet die Berliner. Freitagabend kam die Meldung: Er darf vorerst Staatssekretär bleiben. Für die Opfer des MfS wie Margot Rothert (64) ein unerträglicher Gedanke. Im KURIER erzählt die fünffache Mutter von ihrer Vergewaltigung durch Stasi-Offiziere, dem Kind, welches daraus hervorging und wie sie dieses nach Zwangsadoption und 30 Jahren Suche wiederfand.

1965. Margot Rothert lebte in Hoyerswerda und wurde bereits mit 16 und 18 Jahren schwanger. Doch unverheiratete Teenie-Mütter waren im SED-Staat nicht gern gesehen. Rothert fühlte sich zunehmend bedroht, hegte Fluchtgedanken. Diese kamen 1971 ans Licht. Es folgte die Verhaftung und das Verhör der damals 19-Jährigen.

Sie saß in einem kleinen Zimmer, während drei dunkel gekleidete Männer auf sie einredeten. Starr vor Angst versuchte Rothert ihre Situation zu erklären, vom Druck einer unverheirateten Mutter, Stress in der Familie. Plötzlich fuhr einer der Offiziere sie an: „Wie kannst du es wagen, deine Familie zu beschmutzen. Jetzt werden wir dir zeigen, was eine Vergewaltigung ist ..." Der triste Raum wurde auf einmal so klein, dass sie nicht mehr atmen konnte. „Ich war vor Angst wie gelähmt", erzählt sie dem KURIER. Dann fielen die Männer über sie her. Erst einer, dann der andere. Nachdem sie fertig waren, schoben sie das völlig verstörte Mädchen in die U-Haft nach Cottbus ab.

Drei Wochen später wurde dort die Schwangerschaft festgestellt. Sie bekam Ausgang bis zur Geburt. Kaum entbunden, wurde das Kind gleich wieder ihren Armen entrissen. „Sie sagten, wenn ich der Adoption nicht zustimme, würde ich meine anderen Kinder nie wieder sehen." Dann ging es für die zurück in den Knast. Zwangsarbeit und Einzelhaft. Erst als Ulbricht 1972 alle politischen Gefangenen begnadigte, kam sie frei. Sie heiratete wieder, bekam zwei Kinder, begann eine Ausbildung als Chemiefacharbeiter. Doch über ihre seelischen Narben schwieg sie. Die Ehe hielt nur bis zur Wende.

Es folgte eine Karriere in der der Versicherungsbranche und eine neue große Liebe Ingo. Doch die Tochter, die man ihr wegnahm, fehlte im Herzen. „Ich bin die Mutter, ich wollte wissen, wer mein Kind ist." Jahre der Recherche blieben erfolglos. Erst der Hinweis in einer TV-Sendung über zwangsadoptierte DDR-Kinder im Jahr 2005 brachte den Erfolg: In einem Internet-Forum fanden sie die Adresse der Tochter. Ehemann Ingo berichtet: „Ich habe dann unter einem Vorwand angerufen. Nach ein paar Sätzen sagte ich: Ich bin der Mann deiner leiblichen Mutter. Möchtest du deine Mutti kennenlernen?"

Und sie stimmte zu. Nach über 30 Jahren der brutalen Trennung lagen sich Mutter und Tochter endlich wieder in den Armen. „Sie erzählte, dass sie selber seit Jahren auf der Suche nach mir sei. Sie hatte ein Geschenk für mich: Ihr Mützchen, welches sie trug, als man sie mir wegnahm." Heute feiert die ganze Familie zusammen Weihnachten. Den leiblichen Vater der Tochter wollten beide nie ausfindig machen. „Die Kraft habe ich nicht. Ich habe schon jahrelang Gerichtsprozesse zur Anerkennung von Haftfolgeschäden geführt", sagt Rothert.

Sie war oft in Therapie, unterstützt heute Opfer von Stasi-Folter. Rachegefühle hegt sie nicht. Auch wenn es ihr zusetzt, dass ihre Peiniger nie bestraft wurden. Der Fall Holm macht sie traurig, auch wenn sie mit ihm nie was zu tun hatte und er kein Vergewaltiger ist: „Solche Leute, die mir das angetan haben, gehen heute nicht ins Gefängnis, sondern bekommen gut bezahlte Ämter-Jobs. Und ich bin für mein Leben gezeichnet."


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