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Schizophrenie: Irre ist menschlich

Schizophrene Patienten gehören in die Nervenklinik und nicht in die Öffentlichkeit - so eine herrschende Meinung. Noch immer wird vielen Menschen mit dieser Diagnose die Hoffnung auf ein normales Leben genommen. Aber es geht auch anders.

Depression gehört inzwischen zum psychiatrischen Alltag. Wer depressive Phasen erlebt, kann oft seiner täglichen Arbeit nachgehen und wird in den meisten Fällen von Kollegen und Freunden aufgrund seiner Krankheit nicht weniger wertgeschätzt. Von Menschen, die an einer Schizophrenie leiden, lässt sich so etwas nicht behaupten. Ist Depression eher eine "Gefühlsstörung", fühlte sich die Diagnose einer " schizoaffektiven Störung" für Elyn Saks "wie ein Todesurteil" an, wie sie in ihrem Buch schreibt.

"Leute wie ich dürften nicht existieren"

Vor einigen Wochen betitelte die New York Times einen langen autobiografischen Artikel von Saks mit den drei Worten: " Erfolgreich und Schizophren". Ihr Arzt stellte die Diagnose vor 30 Jahren. Das hieß für sie damals: Aufenthalt in einer Klinik oder einem Pflegeheim, von debilen Mitbewohnern umgeben, vielleicht ein paar einfach anspruchslose Arbeiten ohne Verantwortung. Ein Leben in Phasen mit Wahnvorstellungen, Stimmen im Kopf, die sie ständig mit zermürbenden Botschaften ansprachen. Wenn es nach den Überzeugungen der damaligen Psychiater gegangen wäre, "dürften Leute wie ich nicht existieren". Denn Elyn Saks ist seit vielen Jahren glücklich verheiratet und hat eine erstaunliche berufliche Karriere gemacht. An der University of Southern California besetzt sie einen juristischen Lehrstuhl. Gleichzeitig forscht sie mit einem " Genius-Grant " am neuen Zentrum für Psychoanalyse in San Diego.

Schlimmster Feind und bester Freund

"Was ich nicht akzeptiert habe, ist die Prognose", schreibt Saks. Ihren Aufstieg im Beruf führt sie auf eine exzellente Behandlung mit Medikamenten und psychoanalytischer Betreuung zurück. Dabei hat die Krankheit nicht aufgehört zu existieren. Noch immer gibt es "Auszeiten", in denen der Wahn und die Halluzinationen zurückkommen. Mit verhaltenstherapeutischen Strategien versucht sie jedoch, die "Geister" zu besänftigen. Erfüllung im Beruf, so Saks, sei jedoch die beste Therapie: "Mein Geist, so beschreibe ich es inzwischen, ist mein schlimmster Feind und mein bester Freund". Saks ist mit ihrer Erfahrung nicht allein, obwohl es keinen typischen "Schizophrenie-Verlauf" gibt. Andere Autoren wie Kurt Snyder oder Hannah Green "Ich habe Dir nie einen Rosengarten versprochen" berichten über eine Heilung von ihrer Krankheit, über die es immer noch ganz wenig Erkenntnisse gibt. Bisher sind jedoch nur vage Voraussagen über den Verlauf der Schizophrenie möglich.

Zusammenwirken von Genen und Umweltfaktoren

Etwa ein Prozent der Bevölkerung erkrankt irgendwann einmal in ihrem Leben an dieser mentalen Störung. Männer oft im Alter zwischen 18 und 20, Frauen im Schnitt fünf Jahre später. Psychosen mit schizophrener Ausprägung sind dabei ungefähr so häufig wie die Polyarthritis, die häufigste rheumatische Erkrankung. Manche erleben nur eine einmalige Episode, bei einem Drittel dauert die Krankheit jedoch lebenslang an. Als Basis der Schizophrenie sprechen die meisten Experten heute vom " Vulnerabilitäts-Stress-Modell". Vereinfacht ausgedrückt bedeutet es, dass die genetische Faktoren eine große Rolle beim Risiko für die Krankheit spielen. Dazu kommen jedoch noch Auslöser der Umwelt, wie etwa traumatische Erlebnisse, Drogenkonsum oder andere besondere psychische Belastungen. Wie diese Faktoren zusammenwirken, erforscht zur Zeit ein großes EU-Forschungsprojekt (EU-GEI), das noch bis 2015 läuft und mit über zehn Millionen Euro gefördert wird.

Filter nur fürs Grobe?

Was führt genau im Gehirn dazu, dass etwa Traum und Realität, Phantasie und wahre Erlebnisse miteinander verschmelzen? Darüber gibt noch viele Theorien, aber wenige klare Erkenntnisse. Möglicherweise handelt es sich um eine späte Entwicklungsstörung, die schon im Embryo angelegt ist, und sich beim Umbau des Gehirns in der Pubertät bemerkbar macht. Und was ist mit dem sprichwörtlichen Zusammenhang zwischen "Genie und Wahnsinn"? Eines der Modelle sieht in der Schizophrenie eine Überlastung des "Eingangsfilters" im Thalamus. Dieser Filter erleichtert uns die Konzentration aufs Wesentliche. Wenn er aber schwach eingestellt ist, erleichtert er Querdenkern, also besonders kreativen Menschen, die Arbeit.

Einen Hinweis dafür lieferten die Untersuchungen von Frederik Ullén vom schwedischen Karolinska Institut im Jahr 2010. Er untersuchte bei Gesunden die Dichte des Dopamin-D2-Rezeptors, die in dieser Region besonders hoch ist. Die geringste Konzentration fand er bei besonders kreativen Teilnehmern seiner kleinen Studie. Auch Schizophrene haben im Thalamus eine besonders niedrige Konzentration dieser Rezeptoren. Studien aus den USA zeigen ausserdem, dass auch die Struktur und Größe der weißen Substanz im Frontallappen mit einem kreativen Geist zusammenhängt.

Therapieansatz mit Neurofeedback

Mit diesem Wissen haben Ärzte am Aachener Uniklinikum auch einen neuen Therapieansatz für die Schizophrenie gestartet. Mittels Neurofeedback sollen Patienten die Aktivität im vorderen Cingulum (ACC) willentlich steigern. In Echtzeit erhalten sie im Kernspin-Tomografen Informationen über ihre derzeitige Aktivität und sollen diese dann steigern. Bei gesunden Personen hat diese Methode bereits funktioniert und auch Schizophrene Menschen berichten, dass die störenden Stimme in ihrem Kopf zum ersten mal seit langer Zeit geschwiegen hätte. Vorerst befindet sich aber die Methode im Experimentalstadium.

Geheilte Autisten

Es scheint also so, dass sich in der "Black Box" Schizophrenie gerade in den letzten Jahren einiges bewegt hätte. Die düsteren Prognosen, als etwa Elyn Saks von ihrer Krankheit erfuhr, müssen heute nicht mehr sein. Das gilt nicht nur für die Schizophrenie, sondern auch für andere mentale Störungen, die bis vor kurzem als unheilbar galten. Im Journal of Child Psychology and Psychiatry erschien vor einigen Wochen ein Bericht über Kinder, die vor Jahren noch eindeutig als autistisch diagnostiziert wurden, sich aber in ihren mentalen Fähigkeiten inzwischen nicht mehr von gesunden Altersgenossen unterscheiden und völlig normal kommunizieren.

In der Fachzeitschrift " Schizophrenia Bulletin " schreibt Saks: "Noch immer sind viele Mediziner relativ pessimistisch, was die Genesung von Schizophrenie angeht. Sie betonen Defizite, Behinderungen und Gefahren. Die Genesenen selber aber werden immer mehr ein Teil der Gesellschaft. Man begegnet ihnen jetzt mit mehr Würde und sie bekommen respektierte soziale Rollen. Das schließt auch ihre Berufstätigkeit ein."

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